12 Jahre Madrid
von Alexander Knobel
Wie die Zeit vergeht. Am 01.03.2010, also vor etwas mehr als 12 Jahren, habe ich meine „Clinica Dental“ in Madrid eröffnet.
Heute kann ich über meine Naivität nur noch den Kopf schütteln.
Mein Name ist Dr. Alexander Knobel und ich habe mein Examen 2000 an der Uniklinik in Heidelberg abgeschlossen.
Anschließend habe ich 10 Jahre als Assistenzarzt, angestellter Zahnarzt und final als Partner in einer Gemeinschaftspraxis im Rhein-Neckar Kreis gearbeitet.
Dazu und wie ich überhaupt auf die damals verrückte Idee kam, nach Spanien auszuwandern und in Madrid eine Praxis zu gründen, hatte ich bereits in mehreren Beiträgen (hier und hier und hier und hier) auf WURZELSPITZE veröffentlicht.
Kurz zusammengefasst: Meine Frau ist gebürtige Madrilenin und wollte aus familiären Gründen wieder zurück und ich sah hier meine Chance für angestrebte 2 Jahre etwas Auslandserfahrung zu sammeln.
12 Jahre später muss ich gestehen, dass mein Masterplan nicht ganz aufgegangen ist.
Dabei kann und werde ich mich nicht beschweren, will aber auch ehrlich sein.
Neben einer geschätzten Wochen-Arbeitszeit von 60-80h in den ersten 5 Jahren (auch am Wochenende war ich in der Praxis präsent), die alles andere als fürstlich bezahlt wurden, hatte ich auch enorm viel Glück und eine große spanische Familie, die es mir erlaubte das Experiment finanziell unabhängig anzugehen.
Inzwischen bin ich hier gut bekannt und meine Praxis knobel.dental läuft.
Ich bin als Referent für das CEREC System und als KOL für Sprintray unterwegs und habe zusätzlich das Vergnügen, neben in Madrid gestrandeten Soldaten, Expats aus der ganzen Welt, Politikern und Journalisten auch den ein oder anderen Superstar zu betreuen. Auch die Wertschätzung im spanischen Kollegenkreis hilft sehr über hin und wieder vorhandenes Heimweh hinweg.
Dennoch ist auch nach 12 Jahren jeder Monat ein kleiner Drahtseilakt.
Zahnmedizin wird hier zu 100% aus eigener Tasche bezahlt und ist kein Bestandteil des sozialen Gesundheitssystems. Umso schwerer ist es daher die Patienten zur Prophylaxe und notwendigen zahnmedizinischen Behandlungen zu bewegen.
Daneben gibt es an jeder Ecke Zahnarztketten nach dem McDonald Prinzip und die großen privaten Zusatzversicherung haben ihre eigenen Praxen.
Es werden in Madrid jedes Jahr ca. 500 junge arbeitswillige Zahnmediziner auf den Markt gespült und hierbei habe ich noch nicht einmal die Masse an südamerikanischen Zahnärzten erwähnt, die im gelobten Land Spanien ihr Glück versuchen.
Preisdumping („what you pay is what you get“) und dentaler FastFood bestimmen die zahnärztliche Landschaft.
Eine sehr gute Zusammenfassung wurde vom Kollegen hier bereits veröffentlicht:
https://ocndo.home.blog/2021/02/19/69-prozent-teil-2-forca-barca/
Dennoch sollte man die spanische Zahnmedizin nicht unterschätzen. Wer gerne Zeit auf internationalen Kongressen verbringt, wird feststellen, dass namenhafte Top Referenten aus Spanien kommen. Was hier abgeliefert wird hat Champions League Niveau. Da muss man sich schon anstrengen, um mitspielen zu dürfen. 5% top und der Rest maximal ausreichend (laut Aussage spanischer Referenten).
Spannend ist, dass die Zahnmedizin hier rasend schnell in das digitale Zeitalter eilt.
Lag der Anteil intraoraler Scanner 2019 noch bei 3-4%, liegen wir 2022 bei über 20%. Erstaunlich, gerade weil die Umsätze einer Zahnarztpraxis kaum vergleichbar mit einer deutschen Praxis sind und hier die Kosten solcher Systeme schmerzhaft weh tun.
Und je verrückter die bürokratischen Hürden und Zwänge in Deutschland werden, umso mehr erreichen mich in jüngster Zeit immer wieder Anfragen von Kollegen, die unbedingt in Spanien ihre Praxis eröffnen möchten, da hier alles so viel besser ist.
Und da muss ich leider enttäuschen. Hier ist relativ wenig besser, wenn es um den Beruf des Zahnarztes geht.
Korrekt ist sicherlich, dass man es sich schön einrichten kann und der bürokratische Aufwand überschaubar ist.
Nur sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dass hier irgend jemand auf einen wartet.
Der Markt ist mehr als gesättigt. Wer nicht bei McDonald, Vitaldent, Unidental etc. enden möchte, sollte sich diesen Schritt genau überlegen. Ohne spanisch Kenntnisse und einer großen spanischen Familie im Rücken wird die Luft dünn.
Ganz interessant ist auch hier eine neue Studie spanischer Wissenschaftler aus dem Jahr 2019 zum Burn-out-Syndrom. Dabei leiden 9,8% der spanischen Zahnärzte unter starkem Burn-out.
(https://doi.org/10.1016/j.jdent.2022.104143)
Wichtig zu wissen ist dabei, dass diese Studie vor der Covid Pandemie und dem rigorosem Lockdown in Spanien erstellt wurde, welche mit Sicherheit zu einem weiteren Anstieg geführt hat.
War bis vor der Krise das so hoch gepriesene QM Management in Deutschland hier noch ein komplettes Fremdwort, so werden auch wir hier nun komplett zugbombardiert. Alles noch überschaubar … aber dafür ungebremst.
Genau wie die Zahnarztketten und die fehlende Wertschätzung unseres Berufes in Deutschland ankommen, so werden wir nicht von der Bürokratie verschont. Das mag an der Küste noch entspannter zugehen. In Madrid sind Kontrolle, ob auch wirklich jeder Spiegel eingeschweisst und validiert ist, nun der Alltag.
Am Schluss die immer wieder gestellte Frage, ob ich den Schritt bereue und es wieder machen würde.
Die Antwort darauf fällt mir extrem leicht.
Ich bereue nichts und bin mehr als dankbar wie alles gelaufen ist.
Durch harte Arbeit und auch viel Glück konnte ich hier meinen Platz finden. Aber ich würde es nicht wieder tun. Mit der gleichen Energie und dem Aufwand wäre sicherlich noch viel größeres in Deutschland möglich gewesen.
Einzig auf die Anzahl der Sonnenstunde könnte ich definitiv nicht mehr verzichten.
Sonne ist zum Lebenselixier geworden und läßt einen dann doch über vieles hinwegsehen.