Als Zahnarzt in der Schweiz – ein Vierjahres- Rückblick (3)

von Torsten Hatzky

Vier Jahre ist es nun her, dass wir Deutschland verlassen haben, um nach mehr als 20 Jahren zahnärztlicher Tätigkeit in Südwest-Deutschland noch mal einen neuen Anfang in der Schweiz zu versuchen. Nachdem die Gründe für unsere Entscheidung und unsere ersten Erfahrungen hier und hier ausführlich dargelegt wurden, möchte ich nun ein weiteres Fazit und eine Beschreibung des gegenwärtigen Status Quo wiedergeben:

An den Umzug erinnern wir uns noch genau – Chaos und Stress pur! In der damaligen Wohnung haben wir mehr als 17 Jahre gewohnt. Die Praxisräume hatten wir seit 15 Jahren. Mit der Zeit sammelt sich einiges an. Ein Zeitraum von 4 Monaten war sehr knapp bemessen um alles, was nicht mehr gebraucht wurde, auszumisten. Dank professioneller Hilfe durch ein Umzugsunternehmen mit Auslandserfahrung hat letztlich alles gut geklappt.

Aber es gibt noch andere Erinnerungen. Da ist zum Beispiel das Gefühl freudiger Erwartung, gepaart mit einer gehörigen Portion Spannung: Was wird uns erwarten? Wie lang wird es brauchen, bis die neue Praxis läuft? Würden wir den Schritt bereuen? Aber es war keine lähmende Spannung, sondern sondern ein gutes Gefühl, eines, das angespornt und Energie gebracht hat. Die Psychologen nennen es „Flow“.

Wie sieht das heute aus? Die Spannung ist inzwischen weg. Routine ist in den Alltag eingekehrt. Es gibt kaum noch Überraschungen. Allerdings erlebt man ja, wenn man aus Deutschland kommt, nicht den grossen Kulturschock in der Schweiz.

An den Dialekt haben wir uns inzwischen sehr gut gewöhnt. Da „Schwizerdütsch“ aber keine einheitliche Sprache ist, gibt es mit Menschen aus etwas weiter entfernten Regionen schon machmal Verständigungsprobleme. Da geht es aber den Einheimischen auch nicht unbedingt besser als uns. Diese Sprache selbst richtig zu sprechen werden wir wohl nicht lernen. Unsere Tochter (23) hat damit etwas weniger Probleme. Für viele Schweizer ist es relativ anstrengend, Hochdeutsch (hier sagt man Schriftdütsch) zu reden. Sie sind sehr dankbar, wenn man ihnen gleich am Anfang einräumt, Dialekt zu sprechen. Ich sage dann einfach, dass ich mich daran gewöhnen wolle und schon nachfragen werde, wenn ich wirklich mal etwas nicht verstanden habe. So ist die erste Hürde schnell überwunden und unserer Gegenüber zeigt fast immer ein freundliches Lächeln. Auch ausserhalb der Praxis wächst die Anzahl der Kontakte. Dafür muss man natürlich selbst etwas tun. Die Schweizer feiern gern. Wenn man dann, besonders in Vereinen oder anderen Gruppen bereit ist, etwas zur Vorbereitung beizutragen, hier sagt man „sich einzubringen“, wird man sofort überaus herzlich aufgenommen.

Wir haben übrigens niemals irgendwelche Antipathien oder gar Feindseligkeiten wahrgenommen. Leider gibt es hier jedoch eine im ganz rechten Spektrum angesiedelte, populistische Partei, die diese Probleme gern herbeiredet und schürt, um bei einfachen und politisch ungebildeten Menschen daraus politisches Kapital (= Wählerstimmen) zu schlagen. Und so soll es vereinzelt schon zu Aggressionen oder Sachbeschädigungen gegenüber Deutschen gekommen sein. Auch können wir das, was HaWi  in diesem Beitrag geschrieben hat, überhaupt nicht nachvollziehen. Sicherlich wird ein Schweizer Fussballfan, wenn er sich ein Duell zwischen Deutschland und einer kleineren oder schwächeren Fussball-Nation anschaut, nicht für Deutschland Partei ergreifen. Das liegt wahrscheinlich nicht in irgendwelchen Feindseligkeiten begründet, sondern eher in einer Art „Solidarität“ der „Kleinen“, vielleicht aber auch an der Arroganz einiger deutscher Fussballstars. Insgesamt nämlich nehmen die Schweizer viel mehr am deutschen „Fussball-Leben“ teil, als umgekehrt. Über die deutsche Bundesliga wird im Schweizer Fernsehen regelmässig berichtet. Auch in den allgemeinen Nachrichten nimmt die Berichterstattung über die deutsche Politik fast täglich breiten Raum ein. Peinlich für uns Deutsche: Umgekehrt wird in den deutschen Medien nur sehr selten über die Schweiz informiert. Völlig überrascht hat mich aber dies: Ein etwa 10 jähriger Schweizer Schulbub, der bei uns eine kieferorthopädische Behandlung bekommt, wollte seine neue Zahnspange in den Farben schwarz/ gelb mit dem Logo von BVB Dortmund haben.

So fühlen wir uns hier richtig wohl und würden vieles vermissen, wenn wir wieder nach Deutschland zurück müssten. Umgekehrt vermissen wir erstaunlich wenig. Eigentlich bleiben da nur die besseren Einkaufsmöglichkeiten und die meist niedrigeren Preise. Aber dank Internet-Handel ist das eigentlich auch kein Problem, wenn man gelernt hat, die Zollvorschriften zu beachten. Am meisten würde uns in Deutschland die hohe Qualität sowie die grössere Vielfalt, vor allem an hochwertigen Nahrungsmitteln, fehlen. Da wir schon immer gutes Essen mochten und sehr viel selbst kochen, wissen wir das natürlich mehr zu schätzen als manch einer, der andere Vorlieben hat. In diesem Punkt sind wir uns mit vielen anderen deutschen Einwanderern einig und akzeptieren gern die höheren Preise.

Zu den Preisen sei aber noch etwas gesagt: Wir hatten es an unserem früheren Wohnort in Südwestdeutschland (Nähe Karlsruhe) mit einem extrem hohen Preisniveau zu tun und empfanden die Unterschiede zur Schweiz nicht so krass wie zum Beispiel unsere Verwandten in Nordhessen. Wenn man weiter in den Osten (neue Bundesländer) schaut, wird das noch extremer. So ist das auch zu erklären, dass die schleichende Abwertung des zahnärztlichen Honorars in Deutschland uns eher getroffen hat als Kollegen in anderen Regionen.

Eines gleicht die hohen Preise jedoch wieder aus: Die niedrigen Steuern! Laut Bund der Steuerzahler war der „Steuerzahlergedenktag“ 2012 in Deutschland am 8. Juli. (für höhere Einkommen liegt er noch deutlich später im Jahr). Hier ist der Tag, bis zu dem man den finanziellen Teil seiner staatsbürgerlichen Pflicht geleistet hat, zwischen Ende Januar und der zweiten Februarhälfte, je nach Einkommen und Wohnort. Das merkt man schon sehr deutlich in der Geldbörse und es hat wesentlich dazu beigetragen, das die letzte Wirtschaftskrise aufgrund des florierenden Binnenmarktes kaum Schäden gesetzt hat.

Was uns nicht so gut gefällt, ist das „Klima“ im Strassenverkehr. Während das allgemeine Leben hier erheblich „relaxter“ ist, scheint sich das schlagartig zu ändern, wenn der Schweizer hinterm Steuer sitzt: Man wird hier wesentlich mehr als in anderen Ländern durch sehr dichtes Auffahren und massives Lichthupen bedrängt. Vermutlich liegt das an dem sehr niedrigen Tempolimit. Bei Tempo 80/120 kann man eine Verspätung schlechter aufholen. Zum Ausgleich wird erheblich häufiger kontrolliert. Verstösse werden mit vergleichsweise drastischen Strafen belegt: Schon 1 km/h zu viel nach Abzug der Gerätetoleranz (3-5%) kostet CHF 40.-. Ab 16 km/h Überschreitung innerorts bzw. 21km/h ausserorts gibt es ein Gerichtsverfahren und den sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis. So habe ich in den ersten Wochen in der Schweiz gleich mehrere Zahlungsbefehle erhalten und musste einmal von einem auf den anderen Tag auf eine Prophylaxe-Assistentin verzichten. Sie hatte beim Überholen eines Traktors innerorts kurzzeitig um 16km/h überschritten und musste auf der Stelle den Führerschein abgeben. Da es keine brauchbaren Nahverkehrsverbindungen gab, konnte sie nicht mehr zur Arbeit kommen. Ich selbst fahre jetzt entweder sicherheitshalber etwas zu langsam (was dann wieder die Drängelei anderer provoziert) oder ich sehe quasi im 5 Sekundentakt auf den Tacho. Das erhöht den Stress beim Fahren und könnte auch ein Grund für das gereizte Verkehrsklima sein.

Vorsicht ist in dem Zusammenhang auch beim Umgang mit der Polizei geboten. Es gibt erheblich mehr Verkehrskontrollen! So wurden wir einmal auf einer Fahrstrecke von 40km gleich drei mal kontrolliert. Ausserordentlich unerfreulich war dabei oft das Auftreten der Polizisten. Von Deutschland habe ist das immer als professionell, korrekt, aber in aller Regel sehr freundlich in der Erinnerung. Hier war war der Tonfall mit wenigen Ausnahmen extrem streng und manchmal erhielt ich die Anweisungen zum Zeigen der Papiere in harschem, militärischem Befehlston. Wohl bemerkt: Bei normalen Verkehrskontrollen ohne irgendein Fehlverhalten meinerseits. Das hat natürlich Folgen: Während die deutsche Polizei allgemein ein sehr hohes Ansehen geniest, hat die hiesige Polizei ein stark angeschlagenes Image: Viele Schweizer mögen ihre Polizei nicht.

Sehr positiv: Die Schweizer Bahn. Sauber und pünktlich – einfach genial. So versuche ich viel mehr als früher, meine Ziele mit der Bahn zu erreichen. Und da bin ich nicht der Einzige. Im Gegenteil: Die Bahn ist oft bis zum Limit und manchmal deutlich darüber hinaus ausgelastet. Aber auch dann: Es funktioniert!

Zuletzt noch ein paar Worte zur Entwicklung unserer Praxis: Die ist alles in allem sehr erfreulich. Aber eine so gute Erfolgsbilanz, wie sie in diesem Beitrag von einem deutschen Zahnarzt in Spanien beschrieben wird, kann ich nicht vorweisen. Während der ersten drei Jahre war es finanziell oft sehr eng und wir mussten uns sehr einschränken. Seit etwa einem Jahr hat sich dies so nach und nach entspannt. Es kommen immer mehr Patienten auf Empfehlung und was mich besonders freut: Es kommen jetzt viel mehr solche, die Wert auf eine anspruchsvollere Versorgung legen. So konnten wir inzwischen einige notwendige Anschaffungen tätigen und es besteht die berechtigte Aussicht, das wir in diesem Jahr endlich mal wieder in Urlaub fahren können.

Fazit: Wir haben die Entscheidung zum Auswandern nicht bereut und haben keinerlei Heimweh. Wir konnten unser Leben um viele interessante Erfahrungen und Facetten bereichern. Auch unsere Tochter, die anfangs sehr unter Heimweh gelitten hat, kann sich derzeit eine Rückkehr nach Deutschland kaum noch vorstellen. Und es hat letztlich riesig viel Spass gemacht, noch einmal eine neue Praxis aufzubauen, die ich wahrscheinlich dann in einigen Jahren zu einem guten Preis verkaufen kann, sofern die allgemeinen Rahmenbedingungen so bleiben. Das gelingt wohl in Deutschland derzeit nur wenigen Zahnärzten.

Ein Gedanke zu „Als Zahnarzt in der Schweiz – ein Vierjahres- Rückblick (3)

  1. Hallo Torsten,

    Da kann ich dir in fast allem beipflichten. Wir sind seit 9 Jahren in der Schweiz (5 Jahre eigene Praxis) und könnten uns eine Rückkehr nicht vorstellen. Trotzdem kenn ich einige die es nicht so “lässig” fanden wie wir. Das wichtigste denke ich ist einen tolerante, offene und mit gewissen Grenzen anpassungsfähige Lebensweise. Will man sein gewohnte Lebensweise behalten funktioniert es nicht so gut.

    Viele Grüsse

    Joerg aus Zürich

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