Als Zahnarzt in der Schweiz – ein Vierjahres- Rückblick (3)

von Torsten Hatzky

Vier Jahre ist es nun her, dass wir Deutschland verlassen haben, um nach mehr als 20 Jahren zahnärztlicher Tätigkeit in Südwest-Deutschland noch mal einen neuen Anfang in der Schweiz zu versuchen. Nachdem die Gründe für unsere Entscheidung und unsere ersten Erfahrungen hier und hier ausführlich dargelegt wurden, möchte ich nun ein weiteres Fazit und eine Beschreibung des gegenwärtigen Status Quo wiedergeben:

An den Umzug erinnern wir uns noch genau – Chaos und Stress pur! In der damaligen Wohnung haben wir mehr als 17 Jahre gewohnt. Die Praxisräume hatten wir seit 15 Jahren. Mit der Zeit sammelt sich einiges an. Ein Zeitraum von 4 Monaten war sehr knapp bemessen um alles, was nicht mehr gebraucht wurde, auszumisten. Dank professioneller Hilfe durch ein Umzugsunternehmen mit Auslandserfahrung hat letztlich alles gut geklappt.

Aber es gibt noch andere Erinnerungen. Da ist zum Beispiel das Gefühl freudiger Erwartung, gepaart mit einer gehörigen Portion Spannung: Was wird uns erwarten? Wie lang wird es brauchen, bis die neue Praxis läuft? Würden wir den Schritt bereuen? Aber es war keine lähmende Spannung, sondern sondern ein gutes Gefühl, eines, das angespornt und Energie gebracht hat. Die Psychologen nennen es „Flow“.

Wie sieht das heute aus? Die Spannung ist inzwischen weg. Routine ist in den Alltag eingekehrt. Es gibt kaum noch Überraschungen. Allerdings erlebt man ja, wenn man aus Deutschland kommt, nicht den grossen Kulturschock in der Schweiz.

An den Dialekt haben wir uns inzwischen sehr gut gewöhnt. Da „Schwizerdütsch“ aber keine einheitliche Sprache ist, gibt es mit Menschen aus etwas weiter entfernten Regionen schon machmal Verständigungsprobleme. Da geht es aber den Einheimischen auch nicht unbedingt besser als uns. Diese Sprache selbst richtig zu sprechen werden wir wohl nicht lernen. Unsere Tochter (23) hat damit etwas weniger Probleme. Für viele Schweizer ist es relativ anstrengend, Hochdeutsch (hier sagt man Schriftdütsch) zu reden. Sie sind sehr dankbar, wenn man ihnen gleich am Anfang einräumt, Dialekt zu sprechen. Ich sage dann einfach, dass ich mich daran gewöhnen wolle und schon nachfragen werde, wenn ich wirklich mal etwas nicht verstanden habe. So ist die erste Hürde schnell überwunden und unserer Gegenüber zeigt fast immer ein freundliches Lächeln. Auch ausserhalb der Praxis wächst die Anzahl der Kontakte. Dafür muss man natürlich selbst etwas tun. Die Schweizer feiern gern. Wenn man dann, besonders in Vereinen oder anderen Gruppen bereit ist, etwas zur Vorbereitung beizutragen, hier sagt man „sich einzubringen“, wird man sofort überaus herzlich aufgenommen.

Wir haben übrigens niemals irgendwelche Antipathien oder gar Feindseligkeiten wahrgenommen. Leider gibt es hier jedoch eine im ganz rechten Spektrum angesiedelte, populistische Partei, die diese Probleme gern herbeiredet und schürt, um bei einfachen und politisch ungebildeten Menschen daraus politisches Kapital (= Wählerstimmen) zu schlagen. Und so soll es vereinzelt schon zu Aggressionen oder Sachbeschädigungen gegenüber Deutschen gekommen sein. Auch können wir das, was HaWi  in diesem Beitrag geschrieben hat, überhaupt nicht nachvollziehen. Sicherlich wird ein Schweizer Fussballfan, wenn er sich ein Duell zwischen Deutschland und einer kleineren oder schwächeren Fussball-Nation anschaut, nicht für Deutschland Partei ergreifen. Das liegt wahrscheinlich nicht in irgendwelchen Feindseligkeiten begründet, sondern eher in einer Art „Solidarität“ der „Kleinen“, vielleicht aber auch an der Arroganz einiger deutscher Fussballstars. Insgesamt nämlich nehmen die Schweizer viel mehr am deutschen „Fussball-Leben“ teil, als umgekehrt. Über die deutsche Bundesliga wird im Schweizer Fernsehen regelmässig berichtet. Auch in den allgemeinen Nachrichten nimmt die Berichterstattung über die deutsche Politik fast täglich breiten Raum ein. Peinlich für uns Deutsche: Umgekehrt wird in den deutschen Medien nur sehr selten über die Schweiz informiert. Völlig überrascht hat mich aber dies: Ein etwa 10 jähriger Schweizer Schulbub, der bei uns eine kieferorthopädische Behandlung bekommt, wollte seine neue Zahnspange in den Farben schwarz/ gelb mit dem Logo von BVB Dortmund haben.

So fühlen wir uns hier richtig wohl und würden vieles vermissen, wenn wir wieder nach Deutschland zurück müssten. Umgekehrt vermissen wir erstaunlich wenig. Eigentlich bleiben da nur die besseren Einkaufsmöglichkeiten und die meist niedrigeren Preise. Aber dank Internet-Handel ist das eigentlich auch kein Problem, wenn man gelernt hat, die Zollvorschriften zu beachten. Am meisten würde uns in Deutschland die hohe Qualität sowie die grössere Vielfalt, vor allem an hochwertigen Nahrungsmitteln, fehlen. Da wir schon immer gutes Essen mochten und sehr viel selbst kochen, wissen wir das natürlich mehr zu schätzen als manch einer, der andere Vorlieben hat. In diesem Punkt sind wir uns mit vielen anderen deutschen Einwanderern einig und akzeptieren gern die höheren Preise.

Zu den Preisen sei aber noch etwas gesagt: Wir hatten es an unserem früheren Wohnort in Südwestdeutschland (Nähe Karlsruhe) mit einem extrem hohen Preisniveau zu tun und empfanden die Unterschiede zur Schweiz nicht so krass wie zum Beispiel unsere Verwandten in Nordhessen. Wenn man weiter in den Osten (neue Bundesländer) schaut, wird das noch extremer. So ist das auch zu erklären, dass die schleichende Abwertung des zahnärztlichen Honorars in Deutschland uns eher getroffen hat als Kollegen in anderen Regionen.

Eines gleicht die hohen Preise jedoch wieder aus: Die niedrigen Steuern! Laut Bund der Steuerzahler war der „Steuerzahlergedenktag“ 2012 in Deutschland am 8. Juli. (für höhere Einkommen liegt er noch deutlich später im Jahr). Hier ist der Tag, bis zu dem man den finanziellen Teil seiner staatsbürgerlichen Pflicht geleistet hat, zwischen Ende Januar und der zweiten Februarhälfte, je nach Einkommen und Wohnort. Das merkt man schon sehr deutlich in der Geldbörse und es hat wesentlich dazu beigetragen, das die letzte Wirtschaftskrise aufgrund des florierenden Binnenmarktes kaum Schäden gesetzt hat.

Was uns nicht so gut gefällt, ist das „Klima“ im Strassenverkehr. Während das allgemeine Leben hier erheblich „relaxter“ ist, scheint sich das schlagartig zu ändern, wenn der Schweizer hinterm Steuer sitzt: Man wird hier wesentlich mehr als in anderen Ländern durch sehr dichtes Auffahren und massives Lichthupen bedrängt. Vermutlich liegt das an dem sehr niedrigen Tempolimit. Bei Tempo 80/120 kann man eine Verspätung schlechter aufholen. Zum Ausgleich wird erheblich häufiger kontrolliert. Verstösse werden mit vergleichsweise drastischen Strafen belegt: Schon 1 km/h zu viel nach Abzug der Gerätetoleranz (3-5%) kostet CHF 40.-. Ab 16 km/h Überschreitung innerorts bzw. 21km/h ausserorts gibt es ein Gerichtsverfahren und den sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis. So habe ich in den ersten Wochen in der Schweiz gleich mehrere Zahlungsbefehle erhalten und musste einmal von einem auf den anderen Tag auf eine Prophylaxe-Assistentin verzichten. Sie hatte beim Überholen eines Traktors innerorts kurzzeitig um 16km/h überschritten und musste auf der Stelle den Führerschein abgeben. Da es keine brauchbaren Nahverkehrsverbindungen gab, konnte sie nicht mehr zur Arbeit kommen. Ich selbst fahre jetzt entweder sicherheitshalber etwas zu langsam (was dann wieder die Drängelei anderer provoziert) oder ich sehe quasi im 5 Sekundentakt auf den Tacho. Das erhöht den Stress beim Fahren und könnte auch ein Grund für das gereizte Verkehrsklima sein.

Vorsicht ist in dem Zusammenhang auch beim Umgang mit der Polizei geboten. Es gibt erheblich mehr Verkehrskontrollen! So wurden wir einmal auf einer Fahrstrecke von 40km gleich drei mal kontrolliert. Ausserordentlich unerfreulich war dabei oft das Auftreten der Polizisten. Von Deutschland habe ist das immer als professionell, korrekt, aber in aller Regel sehr freundlich in der Erinnerung. Hier war war der Tonfall mit wenigen Ausnahmen extrem streng und manchmal erhielt ich die Anweisungen zum Zeigen der Papiere in harschem, militärischem Befehlston. Wohl bemerkt: Bei normalen Verkehrskontrollen ohne irgendein Fehlverhalten meinerseits. Das hat natürlich Folgen: Während die deutsche Polizei allgemein ein sehr hohes Ansehen geniest, hat die hiesige Polizei ein stark angeschlagenes Image: Viele Schweizer mögen ihre Polizei nicht.

Sehr positiv: Die Schweizer Bahn. Sauber und pünktlich – einfach genial. So versuche ich viel mehr als früher, meine Ziele mit der Bahn zu erreichen. Und da bin ich nicht der Einzige. Im Gegenteil: Die Bahn ist oft bis zum Limit und manchmal deutlich darüber hinaus ausgelastet. Aber auch dann: Es funktioniert!

Zuletzt noch ein paar Worte zur Entwicklung unserer Praxis: Die ist alles in allem sehr erfreulich. Aber eine so gute Erfolgsbilanz, wie sie in diesem Beitrag von einem deutschen Zahnarzt in Spanien beschrieben wird, kann ich nicht vorweisen. Während der ersten drei Jahre war es finanziell oft sehr eng und wir mussten uns sehr einschränken. Seit etwa einem Jahr hat sich dies so nach und nach entspannt. Es kommen immer mehr Patienten auf Empfehlung und was mich besonders freut: Es kommen jetzt viel mehr solche, die Wert auf eine anspruchsvollere Versorgung legen. So konnten wir inzwischen einige notwendige Anschaffungen tätigen und es besteht die berechtigte Aussicht, das wir in diesem Jahr endlich mal wieder in Urlaub fahren können.

Fazit: Wir haben die Entscheidung zum Auswandern nicht bereut und haben keinerlei Heimweh. Wir konnten unser Leben um viele interessante Erfahrungen und Facetten bereichern. Auch unsere Tochter, die anfangs sehr unter Heimweh gelitten hat, kann sich derzeit eine Rückkehr nach Deutschland kaum noch vorstellen. Und es hat letztlich riesig viel Spass gemacht, noch einmal eine neue Praxis aufzubauen, die ich wahrscheinlich dann in einigen Jahren zu einem guten Preis verkaufen kann, sofern die allgemeinen Rahmenbedingungen so bleiben. Das gelingt wohl in Deutschland derzeit nur wenigen Zahnärzten.

Abenteuer Spanien: Bilanz nach 2 Jahren

von Alexander Knobel


Die Zeit rennt.
Vor 1 1/2 Jahren wurde ich von Wurzelspitze gebeten, etwas über meine Erfahrungen aus dem europäischen Ausland zu berichten. Jetzt sind bereits zwei Jahre in der Ferne vergangen und es ist an der Zeit, erneut Bilanz zu ziehen.

Kurz gesagt: das Auf und Ab meines Körpergewichts spiegelt die Höhen und Tiefen der letzten zwei Jahre (+/- 10kg) extrem gut wieder. Während man sich in Deutschland über das kostspielige QM, die neue GOZ oder immer mehr Bürokratie ärgern darf, sorgt in Spanien eine brutale Finanzkrise für leere Wartezimmer. Angestellte Zahnärzte werden schonungslos entlassen und sind froh, wenn sie als “Helferin” einen Job finden. Alternativ kann bei einer der Zahnarztketten wie z.B. Vitaldent, Unidental… für laue 5-8€/h angeheuert werden. Diese Ketten verhalten sich wie Heuschrecken und verbreiten sich übers komplette Land. Ist ein Gebiet abgegrast wird eingepackt und weitergezogen. Einzig der Aufwand und die Qualität des „product placements“ sind erstklassig und extrem hochwertig. Wirklich bemerkenswert, was da an gelungener Reklame in den Medien rausgehauen wird. Ansonsten ist die dort betriebene Zahnmedizin weder modern noch in vielen Fällen hygienisch. Dafür auf den ersten Blick billig. Auch sprießen immer mehr Versicherungen mit eigenen Praxen auf den Markt. Nicht sehr erfreulich für meine Kollegen, die der Reihe nach ihre Zusammenarbeit mit den Versicherungen aufgekündigt bekommen.

Andere Länder, andere Probleme.
In diesem Fall sind jedoch aus meiner Sicht die Lösungen identisch: Nur mit hochwertiger Zahnmedizin und großem Engagement kann diesem Strudel entkommen werden. Ansonsten sollte man sich den ganzen Aufwand und die vielen Arbeit einfach nicht geben. Im Media Markt ist man wenigsten gegen die drohende Arbeitslosigkeit versichert und kann sich auch mal bei einer Grippe schön umsorgen lassen. Niemand stört einen am WE, die Urlaube sind gesichert und es gibt geregelte Arbeitszeiten…

Meine Strategie ist relativ simpel.
Ich will besser als der Großteil der Zahnmediziner in Madrid sein.
Mich abheben von der breiten Masse Zahnarztpraxis. High-End-Dentistry und moderne Zahnmedizin zu einem angemessenen und fairen Preis.
Den deutschen Qualitätskriterien im Bereich der Hygiene und des Behandlungsmanagements unterwerfe ich mich freiwillig. Nach dem Motto: „form follows function“. Nur so kann ich mich abheben. Und nur so macht auch mir Zahnmedizin wieder Spaß. Kaum vorstellbar wie ich früher im Schnitt 18(+) Patienten pro Tag anständig versorgen konnte.

Täglich findet hier mein CEREC AC, der Laser, meine Lupenbrille und besonders mein wiederbelebter und geliebter Kofferdam Anwendung. Nicht immer schneller und mehr Patienten durchschleusen. Klasse statt Masse. Den Patienten wieder in den Mittelpunkt stellen. Sicherlich: ich wurde hier auch dazu gezwungen, da ich mich nicht auf Kassenpatienten mit der Motivation auf Zuzahlung ausruhen kann. Keiner kommt mal vorbei, nur um zu schauen wie der Deutsche so ist. Mein Patientenstamm wächst langsam, aber er wächst und 80% der Neupatienten kommen einzig durch ausgesprochene Empfehlungen. Meine Rechnung scheint aufzugehen, auch wenn ich hier locker eine 70-80 Stunden Woche habe und wenig vom milden Klima mitbekomme. Nach nur 2 Jahren bin ich hier in Madrid bekannter als ich es hätte jemals in meiner alten Wirkungsstätte hätte werden können. Referent für das CEREC System und Betatester für neue Soft- und Hardware für verschieden namenhafte Hersteller. Nur durch eine Standard- Zahnmedizin, die sich mit Zahnextraktionen und Zementfüllungen über Wasser hält, hätte ich hier keine Chance. Dieser Markt ist gesättigt. Spanien ist aktuell nicht wirklich ein guter Ort für Zahnmediziner. Speziell da zusätzlich zur Immobilien- und Bankenkrise südamerikanische Zahnärzte den Markt überfluten. Die Mentalität und Lebensweise ist eine komplett andere und darf auf keine Fall mit der deutschen Lebensweise verglichen werden. Es ist schwierig zu erklären, aber bereits zu Beginn meines Abenteuers hatte mir eine netter Kollege es versucht so zu erklären: Leben kann man in Spanien besser, aber zum Arbeiten (was die Professionalität und Qualität angeht), wäre man doch lieber in Deutschland geblieben.

Zumindest Eines habe ich aber bereits in Deutschland gelernt: Die Standortfrage wird maximal überbewertet und „wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.“ [Philip Rosenthal] Auch ich bin gespannt, was mir die nächsten Jahre bringen werden und ich bin gespannt was es in weiteren 2 Jahren zu berichten gibt.

Burnout Prophylaxe

von Hans – Willi Herrmann

Ein Kollege in meinem Alter, nicht allzuweit weit entfernt von uns, hat kürzlich seine Praxis aufgegeben.

Die Praxis (20 Jahre alt) lief gut, der Kollege war bei seinen Patienten beliebt, also keine der üblichen Insolvenz- Geschichten.

Warum also der Verkauf ? Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:

“Burnout – Prophylaxe”, sagte er mir.

“Die Verantwortung für Praxis, Personal, Patienten, Behandlung, Kosten, Umsatz, QM usw habe ich mehr und mehr als Belastung empfunden.

Selbst(und)ständig fremdbestimmt. Man wird nie fertig…
Zudem: man wird nicht jünger. Rücken und Schulter schmerzen häufiger, Regeneration dauert länger. Nachlassende Sehkraft kann man zwar kompensieren, ist aber schon nervig. So noch 10, 15 Jahre weitermachen? Nein.

Um C. G. Jung zu zitieren, hat der Mensch sein “wofür”, erträgt er jedes “wie”.
Dieses “wofür” das alles, konnte ich mir nicht mehr beantworten.

Jammern oder handeln? Handeln.  Von den Optionen change it, love it, leave it fiel love it also schon mal weg ;-).
change it: den Anspruch an die eigene Arbeit senken, wäre eine Möglichkeit gewesen – schied aus. Weniger arbeiten und/oder mehr delegieren? Nur eine Auszeit nehmen? Die Verantwortung bleibt…
Also leave it. Spurwechsel.
Schluss mit schneller, höher, weiter.
Entschleunigen.
Downshiften.”

Was nehmen wir mit aus dieser Geschichte.
Es gibt eine Wahrheit jenseits den unisono lautenden, von der Politik geprägten  Meldungen der Tagespresse, die nachwievor mit dem Vorschlaghammer einzig das Bild des maßlosen, trotz ungehörig hoher Verdienste immer noch nach “Mehr” schreienden porschefahrenden Zahnarztes publizieren.

Fakt ist – die Rahmenbedingungen sind hart. Auf Dauer möglicherweise zu hart. Darunter leiden Mediziner wie Patienten – direkt und indirekt – gleichermaßen.
Grenzen des Tragbaren, des Ertragbaren werden überschritten.
Immer nur im Einzelfall, aber irgendwann wird aus der Summe der Einzelfälle ein auch für die Allgemeinheit spürbarer Verlust.

Und – es sind nicht nur die schlechten Zahnärzte, die der Markt eliminiert.
Es sind auch die guten, die den Absprung suchen, schaffen.
Ins Ausland gehen.
Oder etwas ganz Anderes machen.

Zum quantitativen Ausbluten kommt also noch ein qualitatives Ausbluten verstärkend hinzu.

Keine schönen Aussichten.
Und daher umso bedauerlicher, dass diese Entwicklung von der Öffentlichkeit unbeachtet beibt und von der Politik und den Krankenkassen unter den Teppich gekehrt wird.

Deutscher Zahnarzt in Madrid gestrandet!

von Alexander Knobel

Ja, auch ich habe den Schritt gewagt und alles, was ich die letzten 10 Jahre beruflich aufgebaut hatte, einfach über Bord geworfen.

Wir sind vor 1 1/2 Jahren nach Spanien ausgewandert und ich habe seit 7 Monaten eine Clinica Dental im Herzen von Madrid.

So, in der Regel wird hier erst einmal im deutschen Kollegenkreis lautstark applaudiert….

Was hat nun mich aus dem beschützten Schoß deutscher Sicherheit getrieben? Als Partner einer sehr gut funktionierenden 3-Behandler-Praxis?

War es so schlecht in Deutschland? Flucht vor der KZV, der Reglementierung, Budgetierung und dem behandlungsfeindlichen Regelwerk deutscher Kassen, gar dem schlechten Wetter entflohen?

Nein, die Gründe sind viel simpler: Wie bei einer Vielzahl der Deutschen, die ich hier kennengelernt hab, gaben rein familiäre Gründe den Ausschlag diesen Schritt zu wagen.

Einfacher ausgedrückt, ich bin mit einer Spanierin verheiratet und derjenige, der mit einem gebürtigen Spanier verheiratet ist, wird über kurz oder lang in Spanien stranden.

Die familiären Wurzel der Spanier sind sehr stark ausgeprägt. Eine Eigenschaft, die in Deutschland wohl weniger zu finden ist.

Ok, die Gründe sind dann ja erst einmal egal, denn: jetzt wird ja alles besser!!!

…. das würde ich so nicht unterschreiben wollen.

Eines ist sicher, es ist definitiv anders als in Deutschland! Nicht nur das Wetter.

In Spanien ist jeder gesetzlich versichert und es gibt keine Trennung in gesetzlich oder privat versichert. Der Umfang der zahnmedizinischen Leistungen umfasst dabei einzig die Kontrolle, einfache Schmerzbehandlung und Extraktionen.

Möchte man mehr Leistungen erhalten, so kann man sich natürlich zusätzlich privat versichern.

Diese sind relativ günstig und daher fallen die entsprechenden Leistungen eher gering (mager) aus.

Eine Krone geht hierbei dann auch mal für 60€ über den Tisch. Wir reden vom Komplettpreis incl. Labor. Über die Möglichkeiten, die man dafür hat, kann sich jeder selber seine Gedanken machen.

Weiterhin bleibt einem dabei in der Regel die freie Arztwahl verwehrt und man ist somit gezwungen zu einem Arzt, der das Vertrauen der Versicherung genießt, zu gehen.

An einer massiven Zuzahlung kommt man aber auch hier für  eine vernünftige Zahnmedizin nicht herum.

Zuzahlung als Standard, keine Versicherung im Rücken. Erstmal ganz toll, aber:

Zahnmedizin hat in Spanien keine Tradition, soll heißen, dass ein Großteil der Bevölkerung nur bei akuten und starken Beschwerden den Zahnarzt aufsucht. Routinekontrollen und Prophylaxe sind für die meisten ein Fremdwort.

Jeder Besucht kostet direkt Geld und man muss wie beim Metzger direkt nach Erhalt der Leistung bezahlen. Garantien gibt es eigentlich keine, wobei man natürlich seitens des Arztes alles versprochen bekommt.

Naja, anderes Thema.

Es ist also erst einmal wirklich schwer, als Neugründer Leute in die Praxis zu bekommen. Und Zahnärzte gibt es hier auch mehr als genug.

Gefühlt mehr als Patienten.

Aber davor steht erst einmal die Praxisgründung an. Was ich hier zur Übernahme gesehen habe, hat mir wirklich umgehauen:

Rostige Autoklaven, nicht vorhandene Steris…aber das Wartezimmer war immer Top ausgestattet!

In Spanien ist es übrigens völlig egal, ob man vor hat, eine Zahnarztpraxis oder eine Wurstfabrik (nein, ich bin kein Vegetarier!) zu gründen. Man benötigt einen Kredit und dieser muss komplett gedeckt werden können. Ohne anderweitige materielle Sicherheiten  bekommt man hier keinen Cent von der Bank. Gott sei Dank ist der familiäre Zusammenhalt sehr groß, so dass man hierbei immer auch auf die Familie zählen kann. Es wird geholfen.

Sollte die Hürde Papier und Zulassung, was recht einfach, aber zeitaufwendig ist, der Kredit und das Auffinden geeigneter Räumlichkeiten überwunden sein, geht es ans Eingemachte.

Der Umbau.
Hierfür gibt es erst einmal keine Beteiligung des Vermieters. Ich war schon glücklich, dass ich einen 10 Jahres – Vertrag bekommen habe, was so nicht üblich ist. Das spanische Mietrecht ist dabei auch eher mieterunfreundlich (immer im direkten Vergleich zu Deutschland).

Und spätestens, wenn der erste Bauarbeiter den Hammer schwingt, treibt das einen deutschen Zahnarzt, der auch gerne zur Optimierung der Qualität mit Lupenbrille arbeitet, in den Wahnsinn.

Mir ist in meinem Leben noch nie soviel Pfusch und Dummheit begegnet. Auch wenn irgendwann einmal eine ordentliche Planung stattgefunden hat, so ist diese bei den ersten Maßnahmen nur noch Vergangenheit. Es existieren ab jetzt keine detaillierten Pläne mehr, alles wird nur noch so ungefähr, aus dem Bauch heraus, erledigt. Es gibt für jeden Pfusch eine Lösung und, auch wenn später alles ganz nett aussieht, ist alles mehr Schein als Sein. Bereits nach zwei Wochen zeigen die ersten Wände Risse und in den ersten zwei Monaten hatten wir drei Wasserschäden, aufgrund mangelnder Bauqualität. Von meinen Stromausfällen möchte ich hier jetzt nicht berichten. Wer braucht schon Strom in einer modernen Zahnarztpraxis ?!?

Alleine zum Thema Umbau bzw. Aufbau meiner kleinen (100qm) Clinica Dental könnte ich eine Buchserie starten ….. behalte ich zumindest im Hinterkopf, falls das hier nichts mehr wird.

Sollte man es mir bis jetzt noch nicht angemerkt haben,  ich habe das Trauma „obra“ (Baustelle)  immer noch nicht ganz verwunden. Ich hatte noch nicht einen Patienten gesehen und bereits mehr Abenteuer, als zu verkraften war.

Wir hatten übrigens eine spanische Firma  beauftragt, die sich auf den Aufbau von Arztpraxen spezialisiert hat. Stress wollten wir unbedingt vermeiden.

Dagegen war zumindest der Erwerb des spanischen Röntgenscheines (3 Tage Seminar mit Prüfung auf spanisch), welcher mich nun zum spanischen Kernphysiker ausweist, ein Klacks.

Besteht man übrigens auch mit geringen Sprachkenntnissen, da man ja dafür privat bezahlen muss. Ist nur schade um die 3 Tage. Mitgenommen habe ich nichts.

Aber jetzt rollt der Rubel….
Nicht ganz.

Zahnmedizin ist hier ein Geschäft und man handelt definitiv selbstständig. Ich darf meine Preise bestimmen und muss dementsprechend auch etwas dafür bieten. Die mittleren Preise liegen im Übrigen ungefähr auf Höhe der GOZ. Labore sind deutlich günstiger, allerdings qualitativ auch mit Abstrichen.

Ein großes Problem in den Großstädten sind Zahnärzte aus Südamerika, die hier den Markt völlig kaputt machen und in Zahnarztketten (wie z.B. VitalDent…60€ für die Versorgung mit einer Krone stehen im Raum) für Hungerlöhne arbeiten. Auch die Privatversicherungen betreiben hier ihre eigenen Zahnkliniken (man bedenke dabei immer die nicht bestehende freie Arztwahl)

Warten und hoffen das jemand kommt funktioniert also nicht. Nur mal schnell schauen, wie der Neue so ist, kostet gleich Geld und da wird dann doch eher mal abgewartet! Werbung ist erlaubt und auch notwendig. Wenn niemand von einem hört, kommt auch niemand.

Mundpropaganda ist wie überall auf der Welt die beste Werbung und das dauert nun einmal. Nach nun 6 Monaten kann ich natürlich noch recht wenig zu meiner Zukunft sagen, aber eins ist sicher. Das Leben ist auch unter der spanischen Sonne kein Ponyhof.

Es wird einem nirgendwo etwas geschenkt und mehr als einmal habe ich bisher den Schritt hinterfragt. Es ist schwierig, von 15-20 Patienten pro Tag plötzlich auf 0-5 Patienten runterzufahren.

Die Kosten sind dabei ähnlich hoch wie in Deutschland. Es erscheint einem nur erst alles etwas günstiger, dem ist definitiv nicht so.
Materialien und Geräte sind in Deutschland oft günstiger zu erwerben.

Auch wenn  man nun versucht ist, zur Steigerung der Patientenzahl sich einer der privaten Versicherungen anzuschliessen, ist das nicht wirklich ratsam. Dagegen erscheint einem die Bema wie ein Selbstbedienungsladen.

Hört sich ja furchtbar an ? Wird schon, wenn´s dann mal läuft, dann läuft´s, aber davor steht nun einmal viel Arbeit und Schweiß.

Eins muss gesagt werden: Die Versorgung der Patienten ist in Deutschland immer noch auf einem hohen Level, wenn auch nicht mehr wie früher. Was mir schwerfällt zu beurteilen. Mir wurde auch als Kassenpatient immer eine anständige Medizin angeboten.

Ist man bereit für eine hochwertige Arbeit und Service eine Zuzahlung zu Verlangen, so sind gute Patienten immer dazu bereit. Nur muss dazu selbst und ständig viel für getan werden.

In meiner ehemaligen Wirkstätte hatte der Senior-Partner schon früh den Trend erkannt und gegengesteuert. Eine Mehrbehandlerpraxis, ein Eigenlabor mit angestelltem Techniker zur Reduktion der Fremdkosten. Zuzahlung für qualitativ hochwertige Arbeiten und das Umsetzen einer modernen Zahnmedizin waren angesagt.

Die Patienten sind bereits in der Praxis, nur von alleine ist natürlich Niemand bereit Qualität zu bezahlen, dies muss sicher extremer als noch vor 20 Jahren kommuniziert werden.

Die Konkurrenz ist auch in Madrid extrem gross, wirbt mit Dumpingpreisen (Erstuntersuchung, Zahnreinigung, OPG und Kostenvoranschlag komplett kostenlos) und man kann sich auch hier nur mit dem Streben nach qualitativ hochwertiger Arbeit von der Masse abheben. Mit dem südamerikanischen Preisdumping kann und will ich nicht Schritt halten.

Ich persönlich versuche mich dabei, auf die hier lebenden deutschen Patienten zu konzentrieren und Ihnen die Zahnmedizin anzubieten, die sie von einer qualitätsorientierten deutschen Zahnarztpraxis erwarten. Dazu gehört auch der Luxus einer GOZ Abrechnung, die fast immer bzw. immer häufiger gewünscht wird und von den deutschen Kostenträger soweit auch erstattet wird.

Ob Madrid die richtige Wahl war. Schwierig aktuell zu sagen, aber sicherlich ist es aufgrund der Ausländerschwemme an den spanischen Küsten deutlich einfacher.

Egal wie das Abenteuer ausgeht, ich werde berichten.

FORTSETZUNG FOLGT…….

Zahnarzt in Deutschland — Nichts wie weg!

von Torsten Hatzky

Ich bin einer von den vielen Zahnärzten, die Deutschland den Rücken gekehrt haben. Wie kam es dazu? Zunächst erst mal etwas zu mir, meiner Berufsauffassung, meiner Zeit in Deutschland.

Ich bin als Mensch sehr freiheitsliebend, halte mich aber trotzdem genau an Regeln.  Nur müssen die Regeln für mich nachvollziehbar und vernünftig sein. Im Beruf gilt deshalb nur das, was man gemeinhin als „lege artis“ bezeichnet. Auch habe ich die Macke, dass ich mich gern über die Ergebnisse meiner Arbeit freue. Hier und da Kompromisse einzugehen, bereitet mir immer Bauchweh und ich vermeide es vorzugsweise. Da ich seit 1993 eine reine Privatpraxis führte, konnte ich mir das leisten. Fachlich bin ich Generalist, praktiziere eine sehr systematische Zahnheilkunde, bin stark zahnerhaltend tätig, etwas Paro, etwas KFO. Ich arbeite gnathologisch und auch ein klein wenig „ganzheitlich“ orientiert. Wenig Chirurgie, keine Implantate. Einen ganz wesentlichen Schwerpunkt bildet natürlich die Endodontie.

Bis Ende 2008 ging das über fast 15 Jahre sehr gut. Finanziell sah es jedoch in den letzten Jahren schon nicht mehr so gut aus. Der Praxisgewinn sank kontinuierlich, trotz stetig gestiegener Patienten- und Umsatzzahlen.

Als dann der Steuerberater immer deutlicher mahnte und wir feststellten, dass immer mal wieder am Ende vom Geld noch relativ viel Monat übrig war, haben wir zunächst bei den Privat- und Praxisausgaben einen rigiden Sparkurs eingeschlagen. Die Zahl der wöchentlichen Behandlungsstunden wurde erhöht, der Urlaub gekürzt. Leider war der Erfolg nur von kurzer Dauer. Dann haben wir über allerlei Maßnahmen wie z.B. Zusatzeinkommen außerhalb der Praxis nachgedacht – leider erfolglos! Eine Honoraranpassung über §2Absatz3 GOZ  erwies sich als Flop. Da offenbar viele meiner Patienten selbst am finanziellen Limit lebten, reagierten sie oft recht unerfreut, wenn die Krankenversicherung nicht alles übernahm. Es deutete für mich vieles darauf hin, dass in Deutschland vor allem der Mittelstand, und dazu gehörten nahezu alle meiner Patienten, finanziell nicht weiter belastbar war. Schließlich haben wir sogar einen Unternehmensberater zu Rate gezogen. Sein Rezept: die Kassenverträge, die ich Ende1992 freiwillig gekündigt hatte, wieder aufzunehmen,  sonst sei nichts zu machen. Alles andere sei ausgereizt.  Aber wann sollte ich die zusätzlichen Patienten behandeln?  Ich war ja bereits zu fast 100% ausgebucht. Also zukünftig Sprechzeiten bis 22 Uhr? Auch samstags? Und  das Behandlungstempo massiv erhöhen, selbst wenn es zu Lasten der Qualität ginge?

Nun war also endgültig Schluss mit lustig. Und Schuld hatte die Politik.

Ich konnte mir ausrechnen: hätte man die GOZ  über die vielen Jahre seit 1988, wie ursprünglich versprochen, an die Teuerungsrate und die beträchtliche Steigerung der Praxiskosten angepasst, hätte ich keinerlei Sorgen. Hoffen auf eine Änderung?  Mit etwas Nachdenken, wurde mir klar: Vergebens! Zu hoch ist der Schuldenberg bei Bund, Ländern, Gemeinden sowie bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Kein Interesse seitens der PKV. Und da es offensichtlich kaum noch Politiker mit wirklichen Visionen, sondern überwiegend profillose Sachwalter gibt, die vor allem Anderen an Ihrem Amt kleben, wird wohl frühestens etwas passieren, wenn es zu spät ist, d.h. wenn ein deutlicher Mangel an Zahnärzten herrscht und Unmut in der Bevölkerung  aufkommt. Erst dann macht es ja aus der Sicht eines  Politikers Sinn, tätig zu werden. Denn nun kann er sich profilieren, kann seine Wichtigkeit unter Beweis stellen. Das wird bei der derzeitigen Versorgungslage wohl noch 10 Jahre dauern. Eigentlich traurig, aber so funktioniert Politik in Deutschland. Siehe hierzu auch diese lesenswerten Beiträge bei Wurzelspitze:

„must have“ oder „want have“ ? Zahnmedizin ist wichtig, keine Frage….

Veränderung als Chance ? Die Zukunft im Gesundheitswesen

Prognose eines Wirtschaftswissenschaftlers

Germany – the „Mystery Country“

So lang konnte ich nicht mehr warten. Also blieb nur noch die Möglichkeit des Auswanderns!

Es gab auch noch weitere Gründe für diesen Schritt. Einer war, dass meine Frau und ich uns für unsere Tochter, die damals kurz vor dem Abitur stand, ein Land für Ihren weiteren Lebensweg wünschten, in dem sie bessere Möglichkeiten für ein erfolgreiches und glückliches Leben hatte. Stattdessen war immer öfter in den Medien zu hören und zu lesen, dass gerade die jetzt heranwachsende junge Generation in Deutschland ganz besonders schlechte Rahmenbedingungen für ihr Vorrankommen hat.  Sie sind diejenigen, die am meisten unter den gigantischen Schuldenbergen leiden müssen, die ihre Vorgängergeneration aufgetürmt hatten.

Aber auch das allgemeine gesellschaftliche Klima in Deutschland hat unsere Entscheidung mit beeinflusst. Ich bin nämlich ein Mensch, der sehr aufmerksam die Stimmung seiner Mitmenschen registriert. Auch lasse ich mich leicht mitziehen, was nicht gerade dienlich ist, zumindest, wenn es bergab geht. Ich beobachtete schon seit Ende der 90er Jahre, dass die Stimmung  in Deutschland kontinuierlich schlechter wurde. In diesem Zusammenhang ist wohl der schon oft zitierte „Niedergang der Mittelklasse“ als Hauptstütze der deutschen Gesellschaft von großer Bedeutung.

Im Übrigen stand ich ja nicht allein mit dieser Auffassung da. Mittlerweile gab es schon zahlreiche Fernsehbeiträge zum Thema Auswanderung, die wir mit großem Interesse verfolgten. Die Protagonisten der Serien sind teilweise schon richtige Fernsehstars. Konny Reimann ist zum Urvater einer neuen Auswanderungswelle avanciert. Viele der Beiträge zeigten:  Wenn man es richtig macht und bereit ist, etwas dafür zu tun, kann man an vielen Orten der  Welt den Erfolg haben, der einem in Deutschland aufgrund schlechter Rahmenbedingungen versagt bleibt.

So fing ich an, nach Möglichkeiten in anderen Ländern zu suchen.  Dank Internet ist das leicht vom heimischen Schreibtisch aus möglich. Immer öfter erschienen auch  in der zahnmedizinischen Fachpresse Artikel über die Zahnmedizin in anderen Ländern. Ergebnis: es gibt in vielen Regionen der Welt Möglichkeiten, als Zahnarzt tätig zu werden. Der Ruf deutscher Mediziner ist dank hoher Ausbildungsstandards generell sehr gut.

Doch leider bin ich sprachlich ziemlich unbegabt. Und Zahnmedizin in einer ungewohnten Sprache auszuüben, stelle ich mir sehr schwer vor. Zu sehr kommt es bei der Befragung der Patienten auf feine sprachliche Nuancen an. Zudem bin ich inzwischen nicht mehr der Jüngste und es stellt sich die Frage: Lohnt sich das eigentlich? Da aber laut Aussage meines Steuerberaters meine Lage  in den kommenden Jahren doch recht zielstrebig in Richtung Insolvenz steuerte, bestand Handlungsbedarf.

Es blieb also für mich nur das deutschsprachige Ausland: Österreich und die Schweiz. Recht schnell fiel Österreich raus. Die zahnärztliche Besiedelung ist mehr als reichlich. Nicht einmal jeder österreichische Zahnarzt bekam eine Zulassung zum staatlichen Gesundheitswesen, ohne die es wohl dort kaum möglich ist zu überleben. Als reiner Privatzahnarzt hat man ganz besonders geringe Chancen.

Fortan lag mein Fokus also auf der Schweiz. Zahnmedizin dort ist überwiegend Privatsache, d.h. die Patienten bezahlen aus eigener Tasche. Nur wenige haben eine private Zahnversicherung. Das dortige Gebührensystem, der „Schweizer Zahntarif“, ist genial, fachlich topaktuell!  Die Preise sind nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten kalkuliert. Bei den wesentlichen Leistungen kann das Honorar nach individuellem Schwierigkeitsgrad  vom Zahnarzt in gewissen Grenzen angepasst werden. PZR, Deep Scaling und Endo-Revisionen werden rein nach Zeitaufwand berechnet.  Darüber hinaus legt jeder Zahnarzt den Taxpunktwert, mit dem die für jede Leistung festgelegte Punktzahl multipliziert wird, als praxisspezifische Kalkulationsgrundlage selbst fest.

Nur Sozialhilfeempfänger und wenige, finanziell  besonders schlecht gestellte Rentner bekommen Zuschüsse von der öffentlichen Hand oder von der Rentenversicherung.  Dieser Personenkreis, sowie Patientenfälle, die infolge von Unfallschäden zulasten einer Unfallversicherung abgerechnet werden, müssen zu einem deutlich niedrigeren Taxpunktwert, der zurzeit nicht mehr ganz kostendeckend ist, behandelt werden. Glücklicherweise sind es nur wenige Prozent des Behandlungsaufkommens, für die diese Regeln gelten. Das alles überzeugte mich und es begann die Suche nach einer geeigneten Praxis.

Recht schnell war klar: Für eine Praxisübernahme hatte ich nicht mehr genug Geld, denn die Hoffnung  auf einen Verkauf meiner bisherigen Praxis war gering. Es gab zu wenig Interessenten  für die große Zahl der angebotenen Praxen. Zu diesem Zeitpunkt wurden in Deutschland Praxisübernahmen von Banken nur noch in seltenen Fällen finanziert. Dafür waren die Praxen in der Schweiz dank großer Nachfrage von deutschen Zahnärzten sehr teuer.

Es blieb für mich also nur die Neugründung als einzige Lösung.

Immerhin konnte ich in diesem Fall meine recht gute Praxiseinrichtung  weiter verwenden. So habe ich die zuständigen Kantonszahnärzte (ein wenig vergleichbar mit  der Stellung der Landeszahnärztekammer in Deutschland) angeschrieben und nach eventuell noch unterversorgten Gebieten nachgefragt. Man riet mir überall ab und empfahl mir, wenn überhaupt, nur eine Praxisübernahme anzustreben. Auch einige mir bekannte Kollegen, die schon früher in die Schweiz gegangen waren, haben uns gewarnt: Die Schweiz ist kein unterversorgtes Gebiet! Eine Neugründung ist in aller Regel nicht zu empfehlen, je nach Region sei  sie sogar finanzieller Selbstmord.

Trotzdem ließ ich mich nicht gleich entmutigen. Ich recherchierte auf eigener Faust im Internet. Ich habe Zahnarztdichte und Bevölkerungszahlen für alle wesentlichen Regionen der Deutschschweiz  abgeglichen. Es galt nun eine Gegend zu finden, in der inklusive einer weiteren Praxis möglichst mehr als 2000 Einwohner auf einen Zahnarzt kamen. Nach wochenlanger Suche habe ich dann tatsächlich eine kleine Region gefunden, die noch Potential zu haben schien. Telefonate mit den Finanzierungsberatern zweier Banken der Region brachten die Bestätigung. Ich hatte einen Platz gefunden, an dem  eine Neugründung Sinn machte und man zeigte sogar Bereitschaft mit einer Kreditvergabe, den eventuell nötigen Umbau  vorhandener Räumlichkeiten zu finanzieren.  Einer der freundlichen Bankberater gab mir sogar einen Tipp, in welchem der Dörfer dank hoher Einkommensstruktur der Bevölkerung die besten Aussichten bestehen würden und konnte mir sogar geeignete Räumlichkeiten nennen, da seine Bank im selben Haus gerade eine neue Filiale eröffnet hatte.  Weitere eigene Recherchen sowie eine Fahrt dorthin bestätigten: Ich hatte die berühmte Stecknadel im Heuhaufen, wahrscheinlich den letzten noch möglichen Standort  für eine neue Praxis gefunden.

Dann ging alles ganz schnell. Als erstes erfolgte die Kontaktaufnahme mit der örtlichen Gemeindeverwaltung per Email. Die Antwort kam umgehend. Man schien sehr erfreut über unseren Wunsch, dort eine Praxis zu eröffnen. Gleichzeitig erhielt ich eine genaue Auflistung aller Verwaltungsschritte, die wir  dafür unternehmen mussten.  Man hatte sogar alle Links zum Herunterladen der benötigten Formulare  und die Email-Adressen der Ämter und Behörden beigefügt. So konnten wir nahezu alles von Deutschland aus erledigen. Für die wenigen dann noch verbliebenen Behördengänge genügte eine einzige Fahrt in die Schweiz.

Es folgte die Prüfung und Planung durch einen Praxiseinrichter aus der näheren Umgebung, der Abschluss der Mitverträge für Praxis und Wohnung, sowie die Planung und Durchführung des Umzugs. Schon drei Monate später waren wir in der Schweiz. Doch darüber demnächst mehr.

Andere Notdienste im Blog

von Hans – Willi Herrmann

Durch Zufall (bei WordPress gibt es eine Auflistung der neuesten Artikel, die eingestellt wurden, und wenn die Überschrift mich anspricht, klicke ich drauf) bin ich auf einen ärztlichen Kollegen gestossen, der ebenfalls über seinen Notdienst berichtet.
Nicht schön, was es da von den Ärzten zu lesen gibt. Aber gut, dass Blogs wie jener zeigen, dass es eine Wahrheit jenseits der politischen Orwellismen gibt, die im Web 2.0 geäußert werden kann.
Und damit die heimischen Wände und  den Zahnärztestammtisch an Reichweite überschreitet.

Besagter Arztkollege, der sich selbst Dr. Geldgier nennt, kam zum Blog, weil er sich den Frust seines Notdienstes von der Seele schreiben wollte. Der für 4.50 Euro pro Stunde sein Telefon auf Rufbereitschaft stehen lassen soll, und das Ganze eine Woche lang.

Hallo Dr. Geldgier, der nächste Absatz ist für Sie: Diese Woche,  am Sonntag, wurde die verstopfte Toilette meiner Schwiegereltern repariert.
Wochenend – Aufschlag.
100 Prozent. Wir reden von 150 Euro, Baby. Wieviel bekommen sie noch mal pro Stunde am Wochenende mehr , Dr. Geldgier ? 4  Euro 50 ?

Und jetzt bitte keine Diskussionen, über Toiletten, die man reinigen muss, und wie schlimm das ist, und das es ja jeder selbst machen kann, wenn er das Geld nicht ausgeben will.
Es geht hier um den Wochenendzuschlag von 100 Prozent, der im handwerklichen Bereich ohne Wenn und Aber, maximal noch schulterzuckend,  gesellschaftlich akzeptiert wird.

Ich gönne dem Handwerker seine Mehreinnahmen. Aber 4 Euro 50 für einen Arzt, der an Heiligabend übers Land fährt ? Jedem Politiker muss klar sein, dass dies nicht sein darf. Und machen wir uns nichts vor. Die Politiker kennen diese Zahlen. Diese Infos, das Wissen über diese Zustände sind den Politikern seit vielen Jahren bekannt.

Geändert an diesen Verhältnissen wird nichts.
Und welchen Schluss zieht man daraus ?
Es interessiert die Politiker nicht die Bohne.


Etwas Besseres als hier finden wir allemal…

von Hans – Willi Herrmann

Eine Endo – Patientin aus einer Stadt, etwa 80 km von uns entfernt, berichtete, dass ein ortansässiger Zahnarzt die Praxis verkauft habe, weil er in die Schweiz ginge.

Es stellt sich heraus, dass es ein Kollege ist, bei dem ich einen Teil meiner Assistenzzeit absolviert hatte.

Von Zeit zu Zeit hatte ich ihn auf Fortbildungen getroffen und in den letzten Jahren hatte er zunehmend über die unbefriedigende Situation in der Praxis geklagt.

Aber gleich alle Zelte abbrechen und auswandern ?

Denn nichts anderes ist es ja, was er tut der Kollege, der gegen Ende seines Arbeitslebens noch einmal ganz von vorne anfängt.

Schön ist es ja in der Schweiz. Aber soll man wirklich in  ein Land gehen, dessen Bewohner den Grad an Sympathie zu den Deutschen bei Fußballländerspielen in  Jubelschreien ausdrücken.
Für die gegnerischen Mannschaften wohlgemerkt.
Gehen sie mal bei einem Fussball – Länderspiel Deutschland gegen Irgendwen in eine Schweizer Kneipe. Der Gegner ist egal, glauben sie mir, jedes Tor wird umjubelt, solange der Torschütze kein Deutscher ist. Und die Schweizer Zahnärzte haben auch nicht umbedingt die beste Laune, im Hinblick darauf, dass immer mehr deutsche Zahnärzte in das Land der Eidgenossen kommen, um Ihnen endlich mal zu zeigen, wie tolle Zahnheilkunde aussieht.

Ich versuche ihn telefonisch zu erreichen, zunächst ohne Erfolg.

Und erwische ihn eine Woche später, bereits in der Schweiz.

“Besser jetzt, mit 55 noch einmal neu anfangen, als in ein paar Jahren, wo gar nichts mehr geht, hier bei uns. Und ich zu alt bin, um noch mal von vorne anzufangen”, sagt er.

“Naja, jetzt mal ehrlich, 55 ist auch nicht unbedingt das Optimum diesbezüglich”, sage ich.

Wie ätzend muss es sein, in diesem unserem Lande, wenn jemand mit 55, nachdem er schon mehr als 25 Jahre in eigener Praxis gearbeitet hat, all dies hinter sich lässt.

Würde man dies erwarten.
Eher nicht.
Eigentlich ist in bundesdeutschen Köpfen, insbesondere in den Häuptern von Politikern drin, dass der Kollege, mit der lässigen Gewissheit, schon längst für seinen Lebensabend genug Mammon angesammelt zu haben,  noch die nächsten 10 Jahre locker absitzt, dann seine Praxis meistbietend verhökert als zusätzliches Plus  seiner Altersicherung, um sich dann noch häufiger als bisher dem Golfspiel widmen zu können.

Golf hat er aber nie gespielt der Kollege aus der vorderpfälzischen Mittelstadt.
Und das mit der Alterssicherung durch Praxisverkauf ist ein Relikt aus vergangener Zeit.
Heute muss man froh sein, wenn man überhaupt noch ein wenig bekommt für die Praxis.
Und eine immer größerwerdende Zahl von Kollegen bekommt für die Praxis gar nichts mehr.

Warum also der Verkauf ?

Weil dieser Kollege nicht einmal eine gescheite Perspektive mehr sieht für die nächsten 10 Jahre.

“In die Menge müsse er gehen”, sagt sein Steuerberater.

“Implantieren soll er”, sagen die Kollegen, mit denen er befreundet ist.

Beides will er (der sich –  unter Professor Motsch ausgebildet – immer als Zahnerhalter gesehen hat) nicht.

Und so ist er gegangen.

Traurig, aber wahr.