Burnout Prophylaxe

von Hans – Willi Herrmann

Ein Kollege in meinem Alter, nicht allzuweit weit entfernt von uns, hat kürzlich seine Praxis aufgegeben.

Die Praxis (20 Jahre alt) lief gut, der Kollege war bei seinen Patienten beliebt, also keine der üblichen Insolvenz- Geschichten.

Warum also der Verkauf ? Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:

„Burnout – Prophylaxe“, sagte er mir.

„Die Verantwortung für Praxis, Personal, Patienten, Behandlung, Kosten, Umsatz, QM usw habe ich mehr und mehr als Belastung empfunden.

Selbst(und)ständig fremdbestimmt. Man wird nie fertig…
Zudem: man wird nicht jünger. Rücken und Schulter schmerzen häufiger, Regeneration dauert länger. Nachlassende Sehkraft kann man zwar kompensieren, ist aber schon nervig. So noch 10, 15 Jahre weitermachen? Nein.

Um C. G. Jung zu zitieren, hat der Mensch sein „wofür“, erträgt er jedes „wie“.
Dieses „wofür“ das alles, konnte ich mir nicht mehr beantworten.

Jammern oder handeln? Handeln.  Von den Optionen change it, love it, leave it fiel love it also schon mal weg ;-).
change it: den Anspruch an die eigene Arbeit senken, wäre eine Möglichkeit gewesen – schied aus. Weniger arbeiten und/oder mehr delegieren? Nur eine Auszeit nehmen? Die Verantwortung bleibt…
Also leave it. Spurwechsel.
Schluss mit schneller, höher, weiter.
Entschleunigen.
Downshiften.“

Was nehmen wir mit aus dieser Geschichte.
Es gibt eine Wahrheit jenseits den unisono lautenden, von der Politik geprägten  Meldungen der Tagespresse, die nachwievor mit dem Vorschlaghammer einzig das Bild des maßlosen, trotz ungehörig hoher Verdienste immer noch nach „Mehr“ schreienden porschefahrenden Zahnarztes publizieren.

Fakt ist – die Rahmenbedingungen sind hart. Auf Dauer möglicherweise zu hart. Darunter leiden Mediziner wie Patienten – direkt und indirekt – gleichermaßen.
Grenzen des Tragbaren, des Ertragbaren werden überschritten.
Immer nur im Einzelfall, aber irgendwann wird aus der Summe der Einzelfälle ein auch für die Allgemeinheit spürbarer Verlust.

Und – es sind nicht nur die schlechten Zahnärzte, die der Markt eliminiert.
Es sind auch die guten, die den Absprung suchen, schaffen.
Ins Ausland gehen.
Oder etwas ganz Anderes machen.

Zum quantitativen Ausbluten kommt also noch ein qualitatives Ausbluten verstärkend hinzu.

Keine schönen Aussichten.
Und daher umso bedauerlicher, dass diese Entwicklung von der Öffentlichkeit unbeachtet beibt und von der Politik und den Krankenkassen unter den Teppich gekehrt wird.

69 Prozent (Teil 3) Was Lufthansa – Piloten von Zahnärzten unterscheidet

von Hans – Willi Herrmann

Was haben Lufthansa – Piloten und Zahnärzte gemeinsam ?
Regelmäßig klatschen 400 Leute begeistert, sobald feststeht,  daß die Arbeit erfolgreich zu Ende gebracht wurde.

Und jetzt im Ernst.
Wann hat eigentlich in ihrer Praxis das letzte Mal ein Patient applaudiert, als  er nach Ende der Behandlung vom Zahnarztstuhl aufgestanden ist ?
Machen wir uns nichts vor. Es wäre, wenn es denn vorkäme, ein eher seltenes, vermutlich sogar kurios zu nennendes Ereignis.
Im Flugzeug wird immer noch regelmäßig geklatscht, zumindest auf dem Flug in den Urlaub.

Und damit sind  wir schon bei einem entscheidenden Unterschied in der Wahrnehmung, wenn es um die Wertschätzung geleisteter Arbeit geht, zwischen Piloten von Passagierflugzeugen und Ärzten oder Zahnärzten.

Zwar wird kein Patient müde, zu betonen, wie sehr er dankbar ist, seinen Zahnarzt gefunden zu haben und interessanterweise ist jeder Patient überzeugt davon, dass sein gegenwärtiger Zahnarzt der bestmögliche ist, aber so ganz schlüssig erscheinen diese Aussagen nicht.

Ist es wegen der  Angst vorm Zahnarzt ? Möglicherweise, aber es gibt auch sehr viele Passagiere mit Flugangst und gerade die klatschen am enthusiastischsten, wenn das Flugzeug sicher gelandet ist.  Und es gibt viele Ärzte, bei denen die Behandlung nicht per se potentiell schmerzhaft sein kann und dort klatscht auch keiner.

Am unterschiedlichen Nimbus der beiden  Berufe an sich kann es nicht liegen.
Pilot und Zahnmediziner – das sind beides Berufe mit hohem Sozialprestige. Das Einkommen ist immer noch deutlich überdurchschnittlich hoch, allerdings liegen die goldenen Zeiten beider Zünfte  diesbezüglich bereits 2 Dekaden zurück.

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist ein Artikel der FAZ Onlineausgabe vom  9. Januar 2006. Darin heißt es …

„Exotische Länder bereisen, das Fernweh befriedigen, stilvolle Berufskleidung tragen. Das sind die landläufigen Vorstellungen über die Mitarbeiter von Fluggesellschaften. Sie rühren vielfach noch aus einer Zeit, als die Besatzungen (Crews) nach einem Langstreckenflug in die Metropolen der Welt Pause machten und sich womöglich an Traumständen erholten.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Flugpläne werden optimiert, weshalb es längere Aufenthalte an einem Zielort nicht mehr gibt. Das fliegende Personal mit Flugbegleitern und Piloten ist aufgeteilt in diejenigen, die auf Langstrecken eingesetzt werden, und jenen, die in Europa auf Kurz- und Mittelstrecken unterwegs sind. Bestenfalls trifft das Klischee noch auf die langgedienten Mitarbeiter zu. Denn bei allen Airlines gilt das Senioritätsprinzip: Man muß sich langsam hocharbeiten.

So nimmt der Flugschüler nach bestandener Prüfung – wenn er sofort eine Anstellung findet – auf dem Copilotensitz Platz. Je nach Arbeitgeber bemißt sich danach auch das Grundgehalt. Dieses ist bei den Regionalfluggesellschaften wie Eurowings mit 1.745 Euro entgegen der allgemeinen Wahrnehmung erstaunlich niedrig. Durch Schichtzulagen und Mehrflugstundenvergütung steigt es auf 3.059 Euro.

Befindet sich der Copilotensitz in einer Maschine der Lufthansa Ctiy Line, werden am Monatsende einschließlich aller Zulagen 4.127 Euro überwiesen. Die Flugkapitäne erhalten als Einstiegsgrundgehalt zwischen 3.252 (Eurowings) bis 5.496 Euro (Lufthansa City Line). Als Copilot bei den Ferienfluggesellschaften reicht die Spanne beim Grundgehalt von 2.389 bis 4.384 Euro, die des Kapitäns von 3.875 bis 8.578 Euro.

Je erfahrener der Pilot ist, desto höher steigt sein Gehalt, so daß bei Linienfluggesellschaften Endgehälter von 250.000 Euro nicht ungewöhnlich sind. Einkalkuliert werden muß allerdings, daß ein Teil der Kosten für die aufwendige Pilotenausbildung zurückzuzahlen ist. Und die ist nicht billig: Der ausgelernte Lufthansa-Pilot etwa hat während seines Berufslebens immerhin ein Ausbildungsdarlehen über rund 41.000 Euro in Raten abzustottern.

Den Piloten geht es also  ähnlich wie den Zahnärzten.
Sie hatten in den 80er und 90er Jahren deutlich mehr Geld als heute, haben zum Teil gegenüber damals empfindliche Einkommenseinbussen hinnehmen müssen. Der junge Pilot von heute verdient, gemessen am Bundesdurchschnitt immer noch deutlich überdurchschnittlich, genau wie ein Zahnarzt, aber beide Berufsgruppen haben ihre goldenen Zeiten schon lange hinter sich.

In diesem Zusammenhang noch eine weitere Stellungnahme, des Sprechers der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit, Jörg Handwerg, angesichts einer Streikdrohung seiner Gewerkschaft:

„Wir fühlen uns nicht unterbezahlt, aber auch nicht überbezahlt. Nach dem Streik 2001 haben wir auch nicht, wie oft geschrieben, 28 Prozent, sondern 18 Prozent mehr Gesamtgehalt bekommen, also immer noch weniger als vor der Krise in den neunziger Jahren – davon ist ein großer Anteil variable Vergütung. In Krisenzeiten wird also unser Lohn sowieso automatisch reduziert. So hatte die Lufthansa im vergangenen Jahr circa zwölf Prozent weniger Cockpitkosten, während der Vorstand sein Gehalt erhöht hat. Natürlich soll jeder, der gute Arbeit leistet, auch gut bezahlt werden, auch der Vorstand. Aber der will sich auf unsere Kosten 20 bis 30 Prozent Kostenvorteile verschaffen, um die Rendite zu steigern – und nicht, um das Überleben der Lufthansa zu sichern. Natürlich wollen auch wir, dass es der Lufthansa gutgeht. Aber wir lassen uns nicht mit unfairen Mitteln um unseren erarbeiteten Anteil bringen.“

Und jetzt tauschen sie bitte in besagtem Handwerg – Zitat  mal die Begriffe „Pilot“ und „Zahnarzt“, sprechen sie statt vom Lufthansavorstand von den Mitgliedern des Bundestages und der Regierung und lesen sie den besagten Absatz noch einmal sorgfältig mit den vorgenommenen Änderungen.

Zu welchem Ergebnis sind sie gekommen ? Richtig – was auf die Piloten zutrifft, gilt in gleichem Maße auch für die Zahnmediziner. Wenn man nonchalant darüber hinwegsieht, das zahnmedizinische Berufseinsteiger von den Einstiegsgehältern der Jungpiloten nur träumen können und als Praxisgründer beim Start in die Selbstständigkeit vermutlich mehr das 6 fache besagter  40.000 Euro als Kredit abzahlen müssen.

Genau wie die Piloten fordern die Zahnärzte immer mal wieder mehr Geld.
Minimal einen Inflationsausgleich, der angesichts  der Tatsache, dass die letzte „Gehaltserhöhung“ lange zurückliegt, zwangsläufig höher zweistellig ausfallen muss.

Seltsamerweise wird eine solche Forderung allerdings nur den Zahnärzten angekreidet.

Kaum veröffentlicht, kommt es schon wenige Stunden später unisono zu einer massiven Schelte.
Von Regierungsseite, Versicherern, Medien und natürlich auch von den Patienten. Das erscheint merkwürdig, denn auch  die Lufthansa – Piloten haben in der jüngeren Vergangenheit deutlich mehr Geld gefordert, ohne das es zu einem solchen medialen Wehklagen der Allgemeinheit kam.
Die Piloten haben sogar mehrmals gestreikt, um ihrer Forderung mehr Nachdruck zu verleihen. Der große Aufschrei der Öffentlichkeit blieb aus, es gab sogar ein gewisses Verständnis für die Forderungen. Alles wird teurer, das weiss der Mann auf der Strasse.

Wird hier mit zweierlei Maß gemessen ?
Offensichtlich.

Hierzu noch zwei weitere Stimmen aus der aktuellen Tagespresse.
Während in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung vor wenigen Tagen Michael O’Leary, der Chef der irischen Fluggesellschaft Ryan Air über Piloten von Verkehrsflugzeugen sagte:

„Das sind doch glorifizierte Taxifahrer. In Irland dürfen Piloten nur 900 Stunden pro Jahr fliegen – das sind 18 Stunden pro Woche und sie bekommen 200.000 im Jahr.“

….heißt es in einer  Meldung des GKV – Spitzenverbandes vom 02. April:

„Niedergelassene Ärzte haben ihre Praxen in der Woche durchschnittlich nur knapp über 28 Stunden regulär für die Patienten geöffnet. Das zeigt eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), wie der „Spiegel“ vorab berichtete. 96 Prozent der Hausärzte machen zwar noch Hausbesuche oder bieten Termine nach Vereinbarung an, so dass sie insgesamt auf 36 Stunden kommen. Von den Fachärzten bietet laut Umfrage jedoch nur ein Drittel zusätzliche Sprechstunden an.

Der GKV-Spitzenverband zeigt sich daher unzufrieden mit den Arbeitszeiten der niedergelassenen Mediziner. „Da braucht sich niemand mehr zu wundern, warum viele kranke Menschen so lange auf einen Termin warten müssen, obwohl wir immer mehr Ärzte in Deutschland haben“, kritisierte Verbandschefin Doris Pfeiffer.“

Eine lächerliche, aber bewußt platzierte Verdrehung der Tatsachen, in dem man einfach die Sprechzeiten mit den  Arbeitszeiten gleichsetzt und die Mediziner subliminal als faules Pack abtut.

Upps, ein Versehen ?

Glauben sie das ?  Jemand, der  in leitender Position im Gesundheitswesen tätig ist und den Unterschied zwischen Praxissprechzeiten, Praxisöffnungszeiten und Arbeitszeiten nicht realisiert, ist entweder vollkommen fehl an seinem Platz, weil er die einfachsten Zusammenhänge nicht erkennt. Oder er platziert bewußt eine Meldung, die nicht den Tatsachen entspricht. Entscheiden sie selbst, was schlimmer ist.

Aber kehren wir zum Kernpunkt zurecht.

Fakt ist, dass es einen Unterschied in der Wahrnehmung gibt,  sowohl in der Politik wie in der Öffentlichkeit, was Piloten und Zahnärzte angeht.

In der 4. und abschließenden Folge der Beitragsreihe 69 Prozent widme ich mich daher der Frage, warum Piloten und Zahnärzte so unterschiedlich behandelt werden und warum es so sonnenklar ist, dass sich an dieser Situation in absehbarer Zeit nichts ändern wird.



4 Patienten

von Hans – Willi Herrmann

„4 Patienten behandelt er heute“, sagt der junge russische Praxisinhaber.

4 Patienten ? Hab ich mich verhört ? Nein, es sind tatsächlich nur 4.

Aber er kann trotzdem offensichtlich davon leben, denn die Praxis gibt es schon ein wenig länger.
Und 2 Stockwerke höher befindet sich das praxiseigene zahntechnische Labor mit 6 Angestellten.
Implantologie und hochwertiger Zahnersatz, das scheinen die Pfeiler seiner Tätigkeit zu sein.

In Deutschland ist es nicht ungewöhnlich, dass am Tag 40 Patienten die Praxis aufsuchen.
Ich kenne sogar eine Praxis, die meist 60 Patienten am Tag durchschleusst.

Und mindestens doppelt so viele Schmerzpatienten jeden Tag behandelt als der russische Kollege überhaupt Patienten hat in diesem Zeitraum.
Der Moskauer Kollege schüttelt den Kopf, als ich ihm von den deutschen Verhältnissen erzähle.

Ruhig geht es zu in dieser Praxis.

Was für eine angenehme Athmosphäre.
Keine Hetze, kein Gedränge.
Ruhe.
Das macht mich  nachdenklich.
Es geht also auch anders als im deutschen Gesundheitshamsterrad.

Was braucht es dafür ?

Vermutlich nur die Erkenntnis bei allen Beteiligten, dass eine adäquate Leistung eine entsprechende Honorierung mit sich ziehen muss.
Wir in Deutschland haben im Laufe der Jahrzehnte die Zeit zum Massstab aller Honorierungen gemacht. Die Qualität wird nicht in die Überlegungen einbezogen, sie wird stillschweigend vorausgesetzt, selbst dann noch, wenn offensichtlich ist, dass im vorgegebenen Zeitrahmen die Leistung nicht lege artis erbracht werden kann.

Wenn es in Russland geht, warum nicht bei uns ?

Weil zunächst einmal Abschied genommen werden müsste von der Vorstellung, mit dem zur Verfügung stehenden Gesundheitsbudget alle benötigten medizinischen Massnahmen in Topqualität und in  toto bezahlen zu können.

Warum das nicht geht ? Die Gründe dafür sind vielfältig und es ist müssig, darüber zu diskutieren.
Ebenso muss klar sein, dass die immer wieder von Ärztevertretern  geforderte pauschale Honorarerhöhung nichts, aber auch gar nichts zur Verbesserung der Gesundheitssituation beitragen wird.

Messbare,  nachweisbare Qualität, die aufwandgerecht honoriert werden kann, nicht länger als sinnlose Übertherapie oder Abzockerei abzutun, sondern als erstrebenswerte, vom Patienten frei zu wählende Alternative zu anderen Therapieoptionen gelten zu lassen, wäre die Grundvoraussetzung dafür, dass sich auch bei uns ein neues Behandlungsgefüge einstellen kann.

Kommen wird es so oder so.
Das Beispiel Moskau zeigt, das diese Entwicklung nur noch eine Frage der Zeit ist.

Noch hätten wir jedoch die Möglichkeit, einem breiten Kreis von Bürgern eine fein abgestuftes Bündel solcher Versorgungen zukommen zu lassen.
Wird diese nicht genutzt (und je länger man an gesetzgebender Stelle damit wartet, umso wahrscheinlicher wird es) steht am Ende unserer Entwicklung eine Minimalbasisversorgung für Viele und moderne Zahnmedizin für sehr Wenige.

Moskau Metro

Moskau Metro