von Thomas Weber
Anno 1989 kam ich als wissenschaftlicher Assistent zu Professor Klaiber an die Uni Würzburg. Inspiriert von Artikeln von Leo Miserendino interessierte ich mich damals für Endoinstrumente, ihre Querschnitte, ihre Spitzengeometrie, und wo und wie sie was bewirken und warum. Klar, dass ich dazu dann in den Assistentenbesprechungen referieren und schließlich auch in der Endo-Ausbildung mitwirken musste.
Und damit übernahm ich auch manche Rettungsversuche verunglückter Kursendos.
Und damit bekam ich auch das Masseran-Kit unserer Abteilung in meine Box, das – bis dahin nahezu ungebraucht – im Schrank der Abteilung gehütet wurde. Wer kennt es noch?
Meine ersten abgebrochenen Feilen aus dem Studentenkurs entfernte ich tatsächlich mit dieser Werkzeugkiste, die schon damals fast 20 Jahre alt war, mit ihren Riesentrepanbohrern und Greifklemmen…. und das ohne Mikroskop oder Lupenbrille und ohne Ultraschall.
Natürlich: damals gab es keine vollrotierenden NiTi-Feilen, deren frakturierte Spitze im apikalen Drittel hinter einer Kurve saß. Aber es gab abgebrochene Hedströmfeilen, Kerr-Feilen und auch Metallstifte zuhauf und es war war schon ein Wunder, dass es überhaupt funktionierte, solche Dinge aus einem Kanal zu entfernen, obwohl natürlich viele Zähne mit extremer Schwächung ihrer Wurzel zurückblieben. Und mancher Zahn landete letztlich doch in der Chirurgie.
Heute gibt es Mikroskop, Ultraschallpräparation, perfektonierte Tube-Techniken oder den FragRemover. Und richtige Endo-Spezialisten mit breiter Aus- und Weiterbildung.
Eines brauchte man aber damals wie heute für die Entfernung frakturierter Instrumente: meist sehr viel Zeit und noch mehr Geduld.
Zeit, die ich als Assistent an der Uni hatte. Quasi unbegrenzt. Zeit, die heute in der Praxis eine Menge Geld kostet.
Nun, was darf sie denn dann kosten: die Entfernung eines frakturierten Instruments aus dem Wurzelkanal?
Die GOZ kennt eine solche Gebührenziffer gar nicht.
Offensichtlich bricht einem richtigen, standespolitisch in einer Körperschaft aktiven und bei GOZ-Beratungen beteiligtem Zahnarzt doch im Kanal nichts ab. Da ist vielleicht höchstens der Zahn nicht erhaltungsfähig und kommt raus.
Die PKV sieht das aber tatsächlich – und beachtenswerterweise – anders:
„Der PKV-Verband hat sich mit dem 8. Beschluss des Beratungsforums für Gebührenordnungsfragen zu dem Thema positioniert:
Die Entfernung frakturierter Wurzelkanalinstrumente aus dem Wurzelkanalsystem stellt eine selbstständige Leistung dar und wird gemäß § 6 Abs. 1 GOZ analog berechnet. Aus
grundsätzlichen Erwägungen empfiehlt die BZÄK keine konkrete Analoggebühr. Der PKV-Verband hält als Analoggebühr die GOZ-Nr. 2300 (Entfernung eines Wurzelstiftes) für angemessen.“
Wer jemals ein tief im Kanal frakturiertes Wurzelkanalinstrument entfernt hat, wird die “akzeptierte” Analogberechnung der PKV allerdings lachhaft finden: 34,93 € sei dafür „angemessen“?
Da kriegt man ja für einmal simples Zahnsteinentfernen beim Vollbezahnten zum Durchschnittssatz durch die Prophylaxehelferin mehr!
Meine Konsequenz: ich entferne keine Fragmente aus Wurzelkanälen mehr – als Analogleistung.
Wenn überhaupt, dann nur nach „freier Vereinbarung“.
Da kann die PKV erstatten oder auch nicht: mir ist das egal.
Warum die BZÄK meint in “Beratungsforen” mit Beihilfe und PKV gemeinsame Sache in der GOZ-Auslegung machen zu müssen, werde ich niemals verstehen.
Eine unzureichende Gebührenordnung wird durch noch unzureichendere Kommentierungen nicht besser.
Und die GOZ ist völlig unzureichend. Das zeigt überraschenderweise genau dieser Kommentar des PKV-Verbandes.
Und das ist dann doch wohl der eigentliche Skandal.
————————————————————————————–
Zum Nachlesen: https://www.pkv.de/w/files/goz-kommentierungfaq/gebuehrenteil.pdf
Hallo Herr Weber,
ich kann Ihre Frustration gut nachvollziehen. Meine Empfehlung wäre die Punkte, die Sie für überarbeitungsbedürftig halten, zusammenzustellen und an die Verantwortlichen in den Gremien der BZÄK usw. zu kommunzieren. Mehr Gewicht erhält eine solche Kommentierung auch, wenn Sie sich mit anderen Praktikern zusammenschließen, ggf. findet sich ja über den Blog eine Gruppe zusammen etc.. Nach meinem Dafürhalten sollten einer solchen Kommentierung dann Gespräche folgen und ggf. findet sich dann in einer späteren Überarbeitung der eine oder andere bessere Ansatz.
Viele Grüße
Haya Hadidi
Oh, Entschuldigung, da ist aber was ganz falsch rübergekommen.
Ich bin keineswegs frustriert. Ich bin allenfalls amüsiert.
Denn ich berechne schon lange alles, was nur irgend geht, ausserhalb der GOZ.
Die Idee einer “Einzelleistungsvergütung” (fee for service) wird nämlich geradezu pervertiert, wenn eine „Gebührenordnung“ unzureichend ist in der Umsetzung der bestehenden diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten in Gebührenziffern, die Bewertung einzelner Leistungen weder gewinnbringend noch kostendeckend ist, oder die Bewertungsgrundlage, d.h. der Punktwert, nicht den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und betriebswirtschaftlichen Erfordernissen Rechnung trägt. Das ist in Deutschland der Fall in der PKV, in der mittlerweile schon mehr als 65 GOZ-Positionen im Durchschnittssatz schlechter bewertet sind, als die vergleichbaren der BEMA. Warum ist das so?
“Mit Gebührenordnungen sorgt der Gesetzgeber ganz bewusst dafür, die zahnmedizinische Versorgung nicht dem freien Markt zu überlassen.“ Dieses Zitat aus dem Vorwort der BZAEK zum GOZ-Kommentar 2012 kann man gar nicht oft genug lesen.
Weniger “freier Markt”, weniger „Vertragsfreiheit“ ist also ein Ziel jeder Gebührenordnung! Und liest man den Bericht der Bundesregierung an den Bundesrat zu den Auswirkungen der GOZ 2012 so finden sich interessante Feststellungen:
“Die mit der GOZ-Novelle angestrebte Reduzierung sowohl der Analogbewertungen von häufig erbrachten Leistungen als auch der Anzahl von schwellenwertüberschreitend berechneten Gebührenpositionen konnte erreicht werden.“
Na herzlichen Glückwunsch, Politik und Erstatterlobby. Wozu genau wurde die GOZ novelliert?
Um für die Zahnärzte nach Jahrzehnten adäquate Honorare umzusetzen? Da hätte man doch einfach den Punktwert von 11 Pfennigen anheben können.
Nein, um die auf dem Rechtsweg erstrittenen Analogien rauszukicken und die Faktoren runterzuholen. Das ist mal amtlich.
“Der Anteil der schwellenwertüberschreitend abgerechneten Leistungen an der Gesamtheit aller berechneten Leistungen hat sich in der GOZ-Analyse der BZÄK um mehr als die Hälfte von rund 24,5 Prozent im Jahr 2011 auf rund 11,1 Prozent im Jahr 2012 reduziert.”
Da kann man doch nur staunen.
Vierunddreißigdreiundneunzig reichen also offensichtlich doch.
Wenn man die Verhandlungen zur neuen GOÄ aufmerksam verfolgt, ist absehbar, wo auch die GOZ in absehbarer Zukunft endet. Mit zwei Gebührensätzen: “robust einfach” oder “einzelfallbegründet doppelt”.
Und dann wird auch endgültig Schluss sein mit Analogien. Und auch die „freien Vereinbarungen“ werden zur Disposition stehen, „weil man sie doch eh fast nicht nutzt.“
Die Gebührenordnungen beschreiben umfassend alle Möglichkeiten der Medizin. Basta. Anders ist der Weg in eine „Bürgerversicherung“ wohl auch nicht gangbar.
Zukünftig wird also wohl jeder seine eigenen Preise machen müssen, wenn er in dieser neoliberalsozialistischen Republik, in dem man sogar von Seiten der Ärzteschaft einen „Minutenlohn“ von 1,36 € (http://www.medical-tribune.de/home/news/artikeldetail/goae-reform-noch-nichts-in-stein-gemeisselt.html) als hinreichend angemessen betrachtet, selbstständig auskömmlich leben will. Denn schon der Depot-Techniker, der Validierer oder der Steuerberater kosten in meinem Paralleluniversum pro Minute deutlich mehr.
Brauchen wir also tatsächlich noch mehr, noch bessere Kommentare?
Ich denke nicht.
Wir Zahnärzte müssen: Zurück in die Zukunft: zur Vertragsfreiheit. Ohne berufstständische Körperschaften, ohne unzureichende Gebührenordnungen. Jedenfalls die, die freiberuflich und beruflich frei tätig sein wollen.
„I guess you guy`s aren’t ready for that…. but your kids gonna love it!“
Grüße vom Lande,
Thomas Weber
Hallo Herr Weber,
wenn ich die in Ihrem Text zum Ausdruck gebrachte Emotion fälschlicherweise als Frustration aufgefasst habe, so verzeihen Sie mir bitte. Wenn der Beitrag humoristisch zu verstehen war, so habe ich ihn wohl tatsächlich falsch aufgefasst.
Sie scheinen ja auch für sich eine praktikable Lösung der Abrechnungsproblematik gefunden zu haben.
Beste Grüße
Haya Hadidi
So emotional fand ich meinen Beitrag eigentlich gar nicht.
Humoristisch auch nicht. Eher feststellend.
Amüsiert bin ich über die Tatsache, dass nach so vielen Jahren der Forderungen und der Diskussion zu einer adäquaten Honorierung der Zahnärzte nach 25 Jahren unveränderter Punktwerte durch massive Intervention der PKV-Lobby im Vorfeld eine offenbar immer noch so unzureichende GOZ herausgekommen ist, dass der PKV-Verband nun selbst mit einer Kommentierung quasi einen “Nachtrag erstattungsfähiger Leistungen und deren Honorierung” herausgibt. Das ist schon eine Realsatire. Und dass die Bundeszahnärztekammer dies in einem – rechtlich und institutionell eigentlich gar nicht vorgesehenen – “Beratungsforum” offensichtlich konsentiert. Das halte ich in der Tat – und ganz emotionslos – zugleich auch für einen Skandal. Wenn der Kostenerstatter des Kunden den Preis des Dienstleisters mit eigenen Honorarregeln festlegen will, dann kann doch von selbstständiger Freiberuflichkeit keine Rede mehr sein.
Und wenn eine Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates in einer Rechtsverordnung namens “GOZ 2012” zum Beispiel für ein Zahnfilmröntgenbild bei einem Privatpatienten 5,24 € im Durchschnitt als “angemessene Honorierung” betrachtet, die AOK Bayern für ein ebensolches bei einem Hartz-IV-Empfänger aber 12,28 € honoriert, dann sieht man, dass es in der GOZ keine Abrechnungsproblematik gibt, sondern eine politisch gewollte “Bewertungsproblematik”.
Beste Grüße,
Thomas Weber