Zum gegenwärtigen Stand der elektronischen Gesundheitskarte (eGK)

von Haya Hadidi

Verehrte Leserschaft der WURZELSPITZE, im Folgenden möchte ich Ihnen in loser Reihenfolge Themen aus der Schnittmenge von IT und Rechtswissenschaften näher bringen.
Durch eine persönlich motivierte intensivere Beschäftigung mit der Zahnmedizin entdeckte ich die WURZELSPITZE und bin sofort ein Fan dieses Projekts geworden. Ich möchte es daher durch meinen juristisch-technischen Input unterstützen, da ich mir vorstellen kann und durch Gespräche mit Zahnärzten auch weiß, dass selbige in ihrem beruflichen Alltag in diesem Bereich des Öfteren Interessen/Fragen haben. Falls Sie, werte Leserinnen und Leser, also auch juristische bzw. juristisch-technische Fragestellungen haben, von denen Sie sich vorstellen können, dass Sie auch für das übrige Publikum von Interesse sind, dann zögern Sie bitte nicht, mir eine E-Mail (haya_at_hadidi.eu) mit einem Vorschlag für einen weiteren Beitrag zu schreiben. Natürlich können Sie mir auch gerne schreiben, wenn Sie Fragen zu meinen Beiträgen haben. Die Beiträge ersetzen keine Rechtsberatung im Einzelfall. Im Rahmen der Beiträge behandele ich ausschließlich abstrakte Fragestellungen. Die im folgenden dargestellten Informationen und Meinungen sind rein privater Natur und repräsentieren keinesfalls eine offizielle Meinung der Bundesnetzagentur für Post, Telekommunikation, Elektrizität und Gas.

Mein erstes Thema ist der eGK gewidmet und bietet einen Überblick über die aktuellen Aspekte der Einführung dieser flächendeckenden IT-Sicherheits-Infrastruktur.

Was macht die eGK aus?
Die eGK enthält – im Gegensatz zur KVK (Krankenversichertenkarte), auf der sich ein Speicherchip befindet – einen Prozessorchip für die Versichertendaten. Die Einführung und Entwicklung der eGK hat nun sechs Jahre gedauert und hat schätzungsweise Kosten in Höhe zwischen 500 Mio. und 1,4 Mrd. Euro verschlungen (s.http://www.gesundheitskarte.net/).
Und nun?
Vorerst ändert sich jedoch nicht viel für Arzt und Patient, da das ursprünglich hochambitionierte Projekt zunächst nur in einer Basisversion realisiert wurde. Die eGK trägt also neuerdings ein Foto des Patienten und soll so Missbrauch verhindern.
Geplant sind in den nächsten Jahren, laut Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums, Zusatzfunktionen wie etwa die Editierung von Stammdaten durch Arzt und Patient (sog. Versichertenstammdatenmanagement, VSDM), die sichere Kommunikation zwischen Ärzten und die Einführung einer elektronischen Patientenakte (s. http://www.bmg.bund.de/krankenversicherung/elektronische-gesundheitskarte/fragen-und-antworten-einfuehrung-egk.html)
Mit dem VSDM wird technisch dann auch die gesetzliche Vorgabe des § 291 Abs. 2b SGB V umgesetzt. Hiernach sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Zahnärzte und Einrichtungen verpflichtet, die vorgelegte eGK bei der erstmaligen Inanspruchnahme von Leistungen im Quartal auf Gültigkeit und Aktualität der Versichertendaten zu prüfen.
Liegen geänderte Patientenstammdaten bei einem Kostenträger vor, z. B. weil der Versicherte umgezogen ist, so sollen diese Informationen künftig auf der Karte aktualisiert werden können.

Was bringt’s dem Patienten?
Im Rahmen der ConHIT, der Berliner Messe für Health-IT, wurden im April bereits erste Anwendungen vorgestellt, mit denen der Bürger zukünftig seine eGK auch selbstständig sinnvoll nutzen können soll (s. http://www.heise.de/newsticker/meldung/Gesundheitskarte-Der-muendige-Buerger-kommt-an-seine-Daten-1558092.html).
Er soll z.B. in der Lage sein, an entsprechenden Terminals, sogenannten Wartezimmer-Kiosken, die eigenen Stammdaten auszulesen und zukünftig auch zu aktualisieren. Diese Terminals warten derzeit noch auf die Freigabe durch die Gematik GmbH, die aber dieses Jahr noch erfolgen soll. Weiterhin soll es auch Softwarelösungen geben, die es dem Nutzer ermöglichen, online von zu Hause aus mittels seiner eGK mit der Krankenkasse zu kommunizieren. Erste Entwicklungen hierzu gibt es z.B. vom Fraunhofer Institut Fokus in Zusammenarbeit mit der TK. …und den Ärzten?
Besonders interessant wäre es sicherlich, endlich eine sichere Möglichkeit der Online-Kommunikation zwischen Arzt und Patient sowie zwischen Arzt und Arzt einzuführen, die beispielsweise auch den Austausch sensibler Daten, wie etwa digitaler Röntgenbilder, erlaubt. Eine Anwendungssoftware in diesem Zusammenhang wurde beispielsweise im März auf der Cebit vorgestellt: Die SignaturApp mittels der zukünftig auch qualifizierte elektronische Signaturen (QES) erzeugt werden können, die rechtlich der handgeschriebenen Unterschrift gleichstehen (s.http://www.heise.de/newsticker/meldung/Signieren-mit-eGK-eAT-und-nPA-1466244.html). Derzeit gibt es jedoch, bis auf die Existenz der Software und Testsysteme, noch keine praktische Umsetzung dieser Idee auf dem Markt, da es bisher an verfügbaren Realisierungen der theoretischen Möglichkeiten im Unternehmensumfeld mangelt.

Was macht eigentlich der elektronische Zahnärzteausweis in diesem Zusammenhang?
Im Hinblick auf den elektronischen Zahnärzteausweis, mit welchem ebenfalls eine QES ermöglicht werden soll, um beispielsweise auch elektronische Kassenabrechnungen durchzuführen, gibt es seit Ende 2011 nichts Neues (s. http://www.bzaek.de/nc/berufsstand/zahnaerztliche-berufsausuebung/telematik.html?sword_list%5B0%5D=egk).

Wie weit ist die Verbreitung der eGK?
Sie schreitet unter den gesetzlich Versicherten enorm voran: heise berichtet, dass bis Ende 2012 sogar die gesetzlich festgelegte Zielvorgabe der Ausstattung von 70 % der Versicherten überschritten werden wird.

Wie stehen die Ärzte inzwischen zu dem Projekt? Was machen die Gegner? Selbstverständlich ruhen auch die Kritiker des Projekts nicht: Der Ärztetag hatte ja 2010 bekanntlich beschlossen, dass die eGK gescheitert sei (s. http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/gesundheitskarte/article/814270/aerztetag-beschliesst-e-card-gescheitert.html): „Der gigantomanische Anspruch, durch eine flächendeckende Elektronifizierung der Patientenversorgung unter Führung der Krankenkassen sowohl transparente Patienten wie auch transparente Ärzte herzustellen, widerspricht elementaren ärztlichen Grundwerten“. Ebenso ist auch das Aktionsbündnis „Stoppt die eGK“ weiter aktiv und forderte vor der CeBIT 2012 das Ende des Projekts (s. http://www.heise.de/newsticker/meldung/eGK-Aktionsbuendnis-warnt-vor-Risiken-und-Nebenwirkungen-1543860.html). Auch z.B. die Piratenpartei lehnt das weitere Rollout ab (s. http://wiki.piratenpartei.de/AG_Elektronische_Gesundheitskarte ). Vertreter vermittelnder Standpunkte befürchten – meines Erachtens zu Recht – dass sich die Ärzte durch eine einseitige Blockadehaltung von der konstruktiven Diskussion selbst ausschließen (http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/gesundheitskarte/article/814539/standpunkt-e-card-weg-online-konsens.html).
Inzwischen gibt es in der Ärzteschaft durchaus die Erkenntnis, dass die telemedizinische Versorgung von Patienten aus dem Praxisalltag nicht mehr wegzudenken sei (s. http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=3.71.8899.9873.9877).

Wie ist die Situation bei den ablehnenden Patienten?
Auch auf Seiten der Patienten gibt es nach wie vor hartnäckige Verweigerer: Am 28. Juni diesen Jahres wurde am Sozialgericht Düsseldorf der Fall eines Mannes verhandelt, der sich weigert, die eGK zu benutzen. Er führt hierfür vor allem Datenschutzbedenken ins Feld und wird von der freien Ärzteschaft unterstützt ( s. http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/gesundheitskarte/article/815528/sozialgericht-duesseldorf-verhandelt-e-card.html).
Zwischenzeitlich ist das Urteil ergangen (Az. S 9 KR 111/09): Der Kläger hat verloren und kann sich daher nicht erfolgreich gegen die Verwendung der eGK wehren. In der mündlichen Urteilsbegründung stellte das Gericht dar, dass es gesetzlich keine Befreiungsmöglichkeit von der eGK gibt. Außerdem ist die Verwendungspflicht auch nicht verfassungswidrig. Das grundgesetzlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei im Ergebnis nicht beeinträchtigt. Schließlich bestimme der Versicherte selbst über die zusätzlichen Informationen, die auf der Karte künftig gespeichert werden können. Die Basispflichtangaben unterscheiden sich demgegenüber nicht von den Angaben, die auf der bisherigen KVK enthalten seien.
Hinsichtlich der künftigen Zusatzdaten traf das Gericht keine Entscheidung darüber, ob die datenschutzrechtlichen Bedenken des Klägers tragfähig seien, da es nicht Aufgabe des Gerichts ist, eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung vorzunehmen, sondern es ausschließlich um die Entscheidung der konkreten Klage gehe (s. auch http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseLSG/28_06_2012/index.php). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Gibt es noch weitere Entwicklungen?
Auf Seiten der Verwaltung und der Politik gibt es ebenfalls neue Vorstöße: So soll ab 2017 die Information über den Organspende-Status auf der eGK verfügbar sein (s. http://www.heise.de/newsticker/meldung/Organspende-Status-soll-ab-2017-auf-die-Gesundheitskarte-1585039.html). Dies wird allerdings ausschließlich die zweite Generation der eGK betreffen, die in diesem Zeitraum wegen Ablaufs der verwendeten Kryptoalgorithmen, eingeführt werden soll. Die Information zur Organspendebereitschaft soll durch den Arzt und/oder den Patienten (z.B. mittels der Wartezimmerkioske) editierbar sein.

Und außerhalb Deutschlands?
Während in Deutschland also weitere nutzbringende Anwendungen der eGK weiterhin noch Zukunftsmusik sind, ist man im Ausland schon weiter: So werden in Frankreich bereits medizinische Daten unterschiedlichen Ursprungs miteinander in einer einrichtungsübergreifenden elektronischen Patientenakte (EPA) verknüpft und zentral gespeichert. Dabei hat der Patient die Entscheidungsfreiheit darüber, welche Daten gespeichert werden, wodurch eine hohe Akzeptanz erreicht wird (s. http://www.gesundheitskarte.net).

Zur verbesserungswürdigen Situation im deutschen Gesundheitswesen gab es kürzlich eine Studie der Unternehmensberatung Accenture, die dem deutschen System zwar ein großes Potential bescheinigt, aber aufgrund der deutschen traditionellen Nicht-Kommunikation insgesamt ein schlechtes Zeugnis ausstellt ( s. http://www.presseportal.de/pm/39565/2241576/accenture-studie-zum-gesundheitswesen-durch-die-nicht-kommunikation-elektronisch-erfasster-daten).

Fazit?
Insgesamt kann man also festhalten, dass sich in Deutschland extrem schwer getan wird mit der Einführung einer derartigen neuen flächendeckenden Technologie. Es bleibt abzuwarten, ob die schrittweise Einführung erfolgreich ist oder ob dies die Gegenwehr nur später auf den Plan ruft. Hauptgrund für die Schwierigkeiten ist sicherlich das in Deutschland traditionell stark ausgeprägte Datenschutzbedürfnis, welches existiert, solange es nicht um Facebook und die Nutzung von Smartphones geht – aber das ist ein anderes Thema. ;-)

Fortsetzung folgt…