von Hans – Willi Herrmann
Haben sie über die Analogie “Pilot – Zahnarzt” aus den “69 Prozent Teil 1-4”- Beiträgen einmal genauer nachgedacht ?
Es gibt in der Tat eine ganze Reihe von Parallelen. Hochwertige technische Ausbildung, große Verantwortung für die anvertrauten Passagiere/Patienten und vieles mehr.
Es gibt aber dennoch einen entscheidenden Unterschied in der öffentlichen Wahrnehmung. Jeder Flugpassagier weiss den Nutzen und die Notwendigkeit eines erstklassigen Piloten zu schätzen. Darum wird ja auch nach Landungen geklatscht. Denn im Zweifelsfall (das weiss der Passagier spätestens bei der ersten heftigen Turbulenz oder einem Durchstart am Zielflughafen, weil urplötzlich die Landebahn blockiert ist) hängt das eigene Leben davon ab. Für die Passagiere ist auch intuitiv klar, dass ein entsprechendes Niveau an Wartung und Sicherheit nicht unterschritten werden darf, will man nicht das eigene Leben riskieren. Und dieses Niveau kostet Geld. Auch das ist jedem klar. Selbst bei Billigflügen will man vielleicht auf Essen unterwegs verzichten, aber nicht auf ´s sichere Ankommen.
Solche für den Patienten sofort, auf den ersten Blick, unmittelbar erfassbare, “erlebbare” Qualitätskriterien gibt es in der Zahnmedizin nicht.
Im Gegenteil.
Möglicherweise urteilt der Patient sogar gegensätzlich (“Die Behandlung hat aber lange gedauert, bei ihrem Vorgänger ging das immer viel schneller”, den Satz hat wohl jeder schon mal gehört).
Standespolitisch ist das allgemeingültige Statement seit ich weiss nicht wieviel Jahrzehnten (“weil nicht sein darf, was nicht sein darf”): “Die deutsche Zahnmedizin befindet sich auf international höchstem Niveau und ist vorbildlich !” Kritiker (zum Beispiel Hochschullehrer wie Marxkors, Staehle, Hülsmann oder – mit aktuellem Bezug – die Gutachter der kürzlich im Stern publizierten Ergo- Studie) werden als Netzbeschmutzer gebrandmarkt, die Aussage der Studien grundsätzlich als nicht zutreffend negiert. Dabei zeigt schon ein überfliegendes Lesen des Stern- Artikels (aller vorhandenen Schwächen der Untersuchung zum Trotz, die leider der Sache mehr schaden als nutzen), daß die dort beschriebene Einteilung der Zahnärzte nichts Skandalöses darstellt, sondern ziemlich genau den normalen statistischen Verhältnissen entspricht, wie sie mit Sicherheit für jeden unserer Lebensbereiche des Alltags zutreffen.
In besagter Studie zeigt sich nämlich, dass ein Drittel der untersuchtem Zahnärzte überdurchschnittlich, ein Drittel durchschnittlich und ein Drittel unterdurchschnittlich arbeitet.
Und das kennt doch wohl jeder von uns aus jedem Bereich des täglichen Lebens.
Ich nenne beispielhaft die Schulerziehung (wir alle kennen sehr engagierte Lehrer, aber auch gegenteilig agierende) oder jedes Handwerk, seien es die Bäcker um die Ecke oder die Elektroinstallateure.
Was also tun ?
Eine weit überdurchschnittliche Qualität liefern und diese für den Patienten sichtbar, transparent machen.
“Transparent machen” heißt, alle mit besagter Leistung in Zusammenhang stehenden Begleitparameter aufzeigen und damit den zeitlichen, apparativen und organisatorischen Aufwand, der damit obligat verbunden ist, dem Patienten darlegen.
Im zweiten Schritt muss folgerichtig über die damit verbundenen Kosten gesprochen werden und die Tatsache, dass diese Kosten nur teilweise von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen gedeckt werden.
Dem widerspricht allerdings (weil auf den nachfolgenden Umstand nicht nachhaltig genug hingewiesen wird) ein dadurch zwangsläufig im Raum stehendes weiteres standespolitisches Statement, dass nicht der deutschen Realität entspricht. Betreibt man eine am aktuellen Stand der Zahnmedizin 2012 ausgerichtete Zahnarztpraxis (der Amerikaner spricht hier von “cutting edge”), so ist der damit verbundende Aufwand nicht durch die Aufwendungen der zur Abrechnung zur Verfügung stehenden Gebührenpositionen in ihrer Gesamtheit, also nur unvollständig gedeckt.
Zur Erläuterung ein aktuelles Beispiel aus der druckfrischen GOZ 2012, die Gebührenposition für den Einsatz eines Dentalmikroskopes, in Höhe von 22,50 Euro pro Behandlungssitzung. Unser Zeiss Pro Ergo- Mikroskop kostet 60.000 Euro. Bei zwei Mikroskopen pro Praxis sind dies – man verzeihe mir, zehn Jahre nach Einführung des Euro die Umrechnung in eine harte Währung – fast eine Viertel – Million DM. Die Materialkosten für die Xenon- Beleuchtung (Laufzeit 500 Stunden) belaufen sich auf 1300 Euro. Die Wartung der Mikroskope wird von Zeiss auf 641 Euro pro Mikroskop pro Jahr veranschlagt.
Wären also nochmal rund 25.000 Euro zusätzliche Praxiskosten, auf 10 Jahre gesehen. Darüber hinaus ist diese Position nicht für alle Einsatzbereiche der Zahnmedizin vorgesehen. Ich prophezeie, dass, zum Beispiel beim Einsatz des Mikroskopes in der konservierenden Zahnheilkunde und der Prothetik eine Zahlungsübernahme von Seiten der PKV en negiert werden wird und die Seriösität des Behandler wie bisher (wir kennen aus eigener Praxis das Spiel der PKVen (und der GKVen bis 2005) diesbezüglich seit 14 Jahren) pauschal, also ohne Berücksichtigung der tatsächlich vorhandenen Behandlungssituation in Frage gestellt werden wird.
Um die Kosten für unsere beiden Mikroskope via DM – Zuschlagsposition herauszubekommen, müssten 8.000 Wurzelkanalbehandlungen durchgeführt werden. Das entspricht einem Zeitrahmen von 10 Jahren. Vorausgesetzt, es geht nichts kaputt oder die Mikroskope müssen finanziert werden, denn dies generiert zusätzliche Kosten.
Noch ein anderes Beispiel ?
Die RKI – Richtlinien und ihre dadurch notwendig gewordenen Änderungen in Praxis- Ausstattung und Organisation.
Ich begrüße diese Richtlinien, (emotional gesprochen bin ich sogar ein ein großer Fan davon, aber dass darf man nicht laut sagen, sonst wird man als Spinner abgetan).
Vieles davon tun wir seit geraumer Zeit und sind lange verlacht worden dafür. (z.B. Sterilisation all unserer Instrumente, aller Bohrer, Winkelstücke seit 1993, patientenspezifische Wurzelkanaleinmalinstrumente seit 2002).
Jetzt -2012- ist alles richtig, was wir schon so lange taten.
Aber es kann doch nicht sein, dass die obligat damit in Zusammenhang stehenden Kosten nicht von Erstatter- Seite berücksichtigt werden.
Denn diese Mehrkosten gegenüber der traditionellen Vorgehensweise sind enorm.
Aus eigener Erfahrung heraus kann ich sagen, dass einen Riesen- Kostenunterschied besteht. Genauso im Übrigen, wenn man statt eines N -Sterilisators mehrere hochempfindliche und wartungsintensive computergesteuerte B – und S- Steri´s betreibt.
Oder nehmen wir den Kostenaufwand, der mit einem DAC oder Thermodesinfektor (Anschaffung, Betrieb, Wartung) verbunden ist.
Und noch was – es ist nicht wahr, dass Winkelstücke nicht leiden, wenn sie permanent sterilisiert werden.
Sie tun es und verursachen über die einmalige Anschaffung hinaus weitere, nicht unerhebliche Kosten.
Warum werden diese Dinge nicht ihrer tatsächlichen Bedeutung entsprechend artikuliert?
Vielleicht weil es wesentlicher einfacher ist, das Potemkinsche Dorf der deutschen Spitzenqualität zum Null – Tarif aufrecht zu halten.
Klingt kuschelig, trifft aber merkwürdigerweise außerhalb der Zahnmedizin auf nichts zu, weder im idealen und erst gar nicht in realen Leben und das nicht nur nicht in Deutschland, nein auch überall sonst nicht auf der Welt.
Was bleibt ? Eine Vision, ein möglicher Weg.
Spitzenqualität, offen dargelegt und damit zwangsläufig losgelöst vom Erstattungsverhalten der Kassen.
“Geht nicht”, hör ich sie sagen.
Aber hatten wir nicht schon in der Vergangenheit solche Situationen ? Es mag schon einige Zeit her sein, aber es gab schon bislang immer wieder Kollegen, die ihre Kassenzulassung zurückgegeben haben.
Und nur noch privatzahnärztlich tätig waren.
Die Voraussetzungen hierfür waren eine vorhandene Praxis- Klientel, die einen solchen Schritt wirtschaftlich tragbar machten.
Und der Wille, sich von seinen GKV- Patienten trennen zu wollen. Für mich kam diese Option aus dem zweiten Grunde nie in Frage.
Und was brauchen wir jetzt ? Sicherlich nicht ein Patientenklientel, dass zum größten Teil aus Privatpatienten besteht. Sondern vielmehr Patienten (gleich ob GKV oder PKV), die bereit sind, den Differenzbetrag zwischen Versicherungshonorar und tatsächlich patientenspezifisch entstandenem Behandlungsaufwand zu tragen.
Die Voraussetzungen, nochmal zusammengefasst:
- Die sprichwörtlich weit überdurchschnittliche Qualität muss vorhanden sein.
- Sie muss für den Patienten sichtbar und nachvollziehbar sein. Dies setzt eine intensive Aufklärung und umfassende Dokumentation der Praxistätigkeit voraus in bislang unbekanntem Ausmass
Noch ein Pferdefuss – aus einer solch transparenten Darstellung des Preisgefüges und bei beschriebener Vorgehensweise lassen sich nie Riesenerträge generieren.
Auch das ist eine unbequeme Wahrheit: “Schnell,schnell” bedeutete gestern, heute und morgen machen wir mehr Geld. Zumal ja hier der schon zu Beginn erwähnte Umstand, dass ein Patient nur unvollkommen die Vorgänge in seinem Mund beurteilen kann, verschleiernd zur Geltung kommt. Der behandelnde Zahnarzt, der sich für den hier skizzierten qualitativ hochwertigen Weg entscheidet, erhält aber ein Plus an Behandlungsqualität, dass Mindereinnahmen auf nicht pekunärer Ebene aufwiegt.
In diesem Sinne:
“Dieser Weg wird kein leichter sein
Dieser Weg wird steinig und schwer
Nicht mit vielen wirst du dir einig sein
Doch dieser Leben bietet so viel mehr”
Grundvoraussetzung jedoch für all das: Eine pauschal vorgenommene Kriminalisierung von seiten der Privat- Versicherungen (“Ihr Zahnarzt betreibt Überversorgung”) darf nicht länger durchgeführt werden.
Ich vermute jedoch, dass an dieser in der Vergangenheit durchgeführten Vorgehensweise (Große Versicherungen haben in Deutschland mehrere Millionen Mitglieder, ein vorgefertigtes Schreiben (zusätzlicher Arbeitsaufwand geht gegen Null) spart der Versicherung demnach viele Millionen Euro pro Jahr) aus genau diesem Grund weiter festgehalten wird.
Aber ich lasse mich gerne durch Taten eines Besseren belehren, gerade die ERGO – Versicherung ist nach ihrer Budapest- Affäre sicherlich bemüht, verloren gegangenes Vertrauen ihrer Kunden zurückzugewinnen.
Noch ein paar abschließende Bemerkungen: Zum einen der Hinweis auf einen Artikel von Janusz Rat von 1997, damals Vorstandsmitglied der BLZK, demnach von einem hochrangigen Vertreter der Standespolitik vorgetragen.
So gesehen – kein neuer Weg. Und mein Dank geht an Hans Bodirsky, meinem Ausbilder in der Praxis direkt nach dem Studium, der mich schon 1990 auf diesen Weg einstimmte.
Das Schöne ist: Im Verlauf der letzten 20 Jahre ist der skizzierte Weg leichter, begehbarer geworden.
Und durch das Internet haben ungleich mehr Gleichgesinnte als früher die Möglichkeit, über räumliche Distanzen hinweg zusammenzufinden, sich auszutauschen, abzustimmen, Abläufe gemeinsam zu erarbeiten und miteinander zu teilen.
Und zum Abschluss, was man auch 2012 auf gar keinen Fall tun sollte: Wenn ein Kunde im Gebäck eine Zigarettenkippe findet, nie diesem vorhalten, dass sei vollkommen ausgeschlossen und der Kunde selbst habe die Zigarettenkippe in das Gebäck eingeschleust. Man sieht, QM wäre auch in anderen, nicht medizinischen Lebensbereichen eine gute Sache.