von Jörg Schröder
Der hellste Fleck auf der Wissens-Landkarte der meisten Absolventen eines deutschen Zahnmedizinstudiums – und hier schließe ich mich ausdrücklich ein – liegt unmittelbar nach Abschluss des Studiums meiner Meinung nach im Bereich der Behandlung traumatischer Zahnverletzungen. Im weiteren Verlauf der beruflichen Karriere macht das Thema “Trauma”, wenn überhaupt, nur einen verschwindend geringen Teil der praktischen Tätigkeit aus. Warum sich also auf diesem Feld weiterbilden? Zudem gerät erworbenes Wissen recht schnell in Vergessenheit, wenn es nicht regelmässig angewendet oder aufgefrischt wird.
Die tägliche Praxis zeigt dabei immer wieder erschreckend auf, wie Untätigkeit oder ein unangebrachtes abwartendes Verhalten die Ausgangssituation für einen Zahnerhalt dramatisch verschlechtert. Ein alltägliches Beispiel dafür wurde vor kurzem hier vorgestellt.
Dabei handelt sich bei den betroffenen Zähnen oftmals nicht um einen 6-Jahr-Molaren, dessen Verlust kieferorthopädisch vorhersagbar ausgeglichen werden kann, sondern zumeist Oberkieferfrontzähne, genauer die Zähne 12-22. Die jungen Patienten im Alter von 6-10 Jahren werden durch ein oftmals der Unsicherheit oder dem fehlenden Wissen geschuldetem Abwarten um relativ gute Chancen beraubt, die manchmal unwiederbringlich verloren gehen. Das zur Verfügung stehende Therapiespektrum ist, bei einem zeitlich stark verzögerten Behandlungsbeginn, häufig sehr eingeschränkt und kompromissbehaftet.
So auch in nachfolgendem Behandlungsfall eines 7-jährigen Patienten.

Zahn 11 mit unkomplizierter Kronenfraktur und massiver Intrusion. Das Röntgenbild wurde am Unfalltag erstellt. Nach also loco erfolgter forcierter Reposition wurde der Zahn in mir und unbekannter Weise geschient.
Zwei Monate nach dem Trauma, die Schienung war nach 3 Wochen entfernt worden, zeigt sich folgendes Bild.

Nachdem eine vestibuläre, druckdolente Schwellung auftrat, erfolgte die Überweisung in unsere Praxis. Der Zustand des Zahnes stellt sich 3 Monate nach dem Unfall radiologisch so dar:
Neben einem im Vergleich zu Zahn 21 arretierte Wurzelwachstum und einer apikalen Aufhellung sind deutlich infektionsbedingte externe Wurzelresorptionen zu erkennen, die schon im Röntgenbild 2 Monate nach dem Trauma zu erkennen sind.
Die Ausgangssituation für einen erfolgreichen Erhaltungsversuch ist durch das Abwarten deutlich kompromittiert worden. Welche Behandlungsoptionen stehen zur Verfügung?
Neben dem Versuch der Revitalisierungstherapie kommt, bei entsprechendem Entwicklungsstand der “Spenderzähne”, eine autologe Zahntransplantation in Frage.
Doch was, wenn es bis dahin noch eine längere Zeit dauert? Ein weiteres Abwarten führt dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Zahnverlust mit allen damit verbundenen negativen Auswirkungen auf das Wachstum dieser Kieferregion.
Daher wurde den Eltern des jungen Patienten zunächst ein zweizeitiges Vorgehen im Sinne einer Revitalisierungstherapie mit dem kurzfristigen Ziel vorgeschlagen, die infektionsbedingte externe Resorption zu stoppen.
In der ersten Sitzung wurde nach Aufbringen eines palatinalen “Bauches” aus Komposit der Zahn 11 eröffnet, das nekrotische Pulpagewebe entfernt und nach ausgiebiger Irrigation mit 1,5&-igem NaOCl eine aus einer Mischung aus Ciprofloxacin und Metronidazol bestehende medikamentöse Einlage eingebracht. Nach 2 Wochen wurde diese entfernt und nach Initiierung einer Blutung aus der apikalen Papille das Blutkoagulum mit MedCem abgedeckt. Abschliessend erfolgte der dentinadhäsive Verschluss mit Komposit.

Die Abdeckung des MedCem erfolgte mit Ultrablend, einem lichthärtendem CaOH2-Präparat. Dies erleichterte den adhäsiven Verschluss deutlich, ermöglicht es doch eine Absprühen der Phosphorsäure und ein Verblasen des Bondings ohne dabei Gefahr zu laufen, den MedCem herauszulösen. Allerdings ist der Röntgenkontrats des Ultrablend geringer als der der übrigen Materialien.
3 Monate nach Abschluss der Behandlung erscheint zumindest das Zwischenziel in Reichweite zu liegen. Die externe Resorption scheint nicht weiter voranzuschreiten. Die apikale Aufhellung ist in Rückbildung begriffen. Klinisch ist der Zahn vollkommen beschwerdefrei. Der Klopfschall erscheint physiologisch. Die Beweglichkeit, erstaunlich für mich, nur minimal erhöht.
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