Wenn ich für mich die schwierigst endodontisch zu behandelnden Zähne benennen müsste, ich würde, ohne zu zögern, die UK- Prämolaren wählen. Wegen der teilweise sehr exotischen und häufig okkulten Kanalanatomie. OK-Prämolaren sind diesbezüglich meist weniger bizarr, aber auch hier gibt es eine ganze Reihe scheinbar leichter, de facto aber schwerer Brocken. Schwer oder problematisch meist dann, wenn sich besagte Schwierigkeiten nicht im Röntgenbild zeigen. Noch schwieriger wird es, wenn auch der Blick durch das OP-Mikroskop keinen Hinweise auf die Komplikationen liefert.
Wie im vorliegenden Fall.
Der Hinweis kam auf Grund der Vorgeschichte.
Schmerzen an Zahn 15, nach Trepanation Schmerzfreiheit.
Die allerdings in dem Moment (wenn auch in abgeschwächter Form) des Zeitpunktes der WF wiederkam. Die Hauszahnärztin entfernte die WF, soweit möglich und überwies die Patientin an uns.
Klassisches Symptom als Hinweis für ein zusätzliches Kanalsystem, auch hier wieder angegeben, die Schmerzempfindlichkeit bei “Warm”.
Nicht kalt, nicht heiss, es wird auffällig oft warm genannt.
Der angefertigte Zahnfilm aber eher unauffällig.
Keinen Hinweis auf ein 3. Kanalsystem (Vertucci VII) ja nicht mal ein doppelter PA- Spalt als Anhaltspunkt einer Vertucci-Konfiguration II (2:1), III (1:2:1), IV(2) oder V (1:2).
Nur so eine kamelhöckerartige minimale Ausbuchtung am Wurzelende.
Gut, das ein hochauflösendes DVT zur Verfügung steht.
Es zeigt, was weder konventioneller Zahnfilm noch Dentalmikroskop zu offenbaren vermögen. Das Wurzelkanalsystem beginnt koronal scheinbar einkanalig, liegt zentral in der Mitte des Querschnittes der Wurzel. Im apikalen Drittel dann die Aufzweigung, die beiden dünnen Wurzelenden biegen teilweise stark gekrümmt und leicht korkenzieherartig in gegenteilige Richtung voneinander ab, weshalb auch die screenshots des DVT nicht die ganze Wahrheit, die Anatomie betreffend, offenbaren können.
Hier nun meine zwei wichtigsten Tipps für die erfolgreiche Aufbereitung solcher Kanalkonfigurationen:
- Beginne mit dem leichter zugänglichen Kanal und bereite diesen vollständig auf, bevor Du überhaupt nur Anstalten unternimmst, Dich dem 2. Kanalsystem zuzuwenden.
- Wenn du die Wahl hast, bereite zunächst den Kürzeren der beiden Kanäle vollständig auf.
Beide Merksätze sind banal.
Dennoch ist gerade bei schwierigen Zähnen (und dieser hier, um es vorwegzunehmen war ein extrem schwieriger Zahn) eine genau definierte, in jedem einzelnen Teilschritt aufeinander abgestimmte und von vorne herein strikt festgelegte Vorgehensweise im Sinne des Entlanghangeln eines Entscheidungsbaumes essentiell.
Tut man es nicht, verfällt man in ein “Lass uns doch mal schauen, wie der Zahn auf diese oder jene Vorgehensweise reagiert im Sinne eines “Neugierig ausprobieren” riskiert man einen unwiderruflichen Schaden, der auch mit anschließend größtem zeitlichen und apparativen Aufwand nicht mehr zu beheben ist.
Der nächste Merksatz diesbezüglich lautet: “1 Sekunde was Falsches gemacht, 1 Stunde an Lebenszeit vergeudet!”. Weil man so lange versucht, den Fehler wieder auszubügeln (und dann resignierend aufgibt).
Es erfolgt also zunächst ein vorsichtiges apikales Vordringen mit einer vorgebogenen ISO 008 VDW C- Pilot- Feile. Diese geht (glücklicher Moment 1) behutsam bewegt, bis zum mittels Apexlokatormessung ermittelten Wurzelkanalausgang. Die ISO 10er Feile folgt. Anschließend zahlt sich das DVT erneut aus. Es beinflusst die Wahl meiner ersten maschinell betriebenen Nickel- Titan- Feile. Ich wähle ein META GL153 15.o4-Instrument. Ein NiTi-Instrument der 4. Generation, ähnlich einer Coltene CM 15.04, allerdings nicht ganz so extrem flexibel (was von Vorteil ist) und nicht so leicht sich aufdrehend. Vor allem hält es besser die vorgebogene Form als die Coltene CM – Instrumente. Im Anschluss folgte eine Wave One Gold small, das entspricht meinem Standard- Protokoll, danach wieder abweichend von der normalen Vorgehensweise eine Wave One Gold Primary.
Dann verliess mich zunächst der Mut, weiter noch aufzubereiten, wieder kam hier das DVT als Entscheidungshilfe zum Tragen. Es zeigte sehr dünne Wurzeln, stark apikal abgebogen. Weshalb ich zum ersten Mal in vielen Jahren zunächst darauf verzichtete, die apikale Aufbereitung noch höher zu dimensionieren und mich nun zunächst dem zweiten Kanal zuwandte.
Es gilt jetzt, mit einem apikal vorgebogenen ISO 10er Instrument den verborgenen Kanaleingang zu finden.
Die Biegung gelingt einfach und schnell mit einer Pinzette in “Geschenkband” – Bewegung. Diese wird in bukkale Richtung zeigend von koronal nach apikal an der Kanalwand hinabgleitend eingeführt.
Dann heisst es geduldig sein und das Instrument solange immer wieder in den Kanal einführen unter leichten Modifikationen der Einschubrichtung (Stichwort 5 Minuten- Rotation) bis das Instrument vor der Arbeitslänge einen deutlichen Widerstand zurückliefert. Dieser Teilschritt der Behandlung birgt möglicherweise ein hohes Frustrationspotential, das zusätzlich gefördert wird durch die Tatsache, dass die Biegung des Instrumentes gegebenfalls häufig wiederholt werden muss.
Zumeist “fällt” das Instrument widerstandslos auf die Apexlänge des Zuvor aufbereitenden Wurzelkanal. Das ist das Zeichen dafür, das wir uns NICHT im gesuchten Kanal befinden. Aber irgendwann (glücklicher Moment 2) rastet das Instrument ein vor der festgelegten Apexlänge.
Wir haben den Kanaleingang des zweiten Wurzelkanals gefunden! Die Erschließung bis zum Apex geht leichter als gedacht und (glücklicher Moment 3) die Arbeitslänge des zweiten Kanals weicht deutlich von der des ersten Kanals ab. Das angefertigte stark mesial exzentrisch ausgerichtete Meßröntgenbild visualisiert eindringlich die besondere Anatomie.
Einmal durchatmen, bis jetzt hat alles gut geklappt – weiter geht es in Kürze hier in Episode 4 mit der detaillierten Schilderung der Aufbereitung des zweiten Kanals.
Danke Ha-Wi für diese detailierte Schilderung deines Vorgehens. Ich kenne es ja schon in etwa seit deinen WWW-Fortbildungen und habe es dankbar (und meist erfolgreich ;) ) in meinen Behandlungsablauf implementiert.