Und nun? Die Auflösung.

von Jörg Schröder

Die Patientin wurde bei ihrer behandelnden Zahnärztin vorstellig, weil sie im linken Oberkiefer seit einigen Wochen diffuse Beschwerden bemerkte. Kein direkter Schmerz, aber ein Unbehagen beim Kauen. Die Patientin empfand Zahn 24 dabei als minmal beweglicher als seine Nachbarn.

Anbei das angefertigte Röntgenbild. Was fällt auf? Wie wäre das Geschehen zu erklären? Was wäre zu tun?

Die Sondierungstiefen der Zähne 23-25 lagen im physiologischen Bereich. Die Beweglichkeit war an Zahn 24 unmerklich größer als an den benachbarten Zähnen. Es bestand keine palpatorische Druckdolenz, keine Fistelung, keine Schwellung. Die elektrische Sensibilität des 24 war von bukkal und von palatinal positiv, wenngleich im oberen mittleren Bereich der Skala des Elements Diagnostic Gerätes. (Maximal-Wert 80, bukkaler Wert 48, palatinaler Wert 52). Es besteht ein mit Transillumination detektierbarer Haarriss in der mesialen Randleiste.

Um einen möglichen Artefakt im Überweiserbild auszuschliessen wurde nach klinischer Inspektion und elektrischem Sensibilitätstest ein eigenes Einzelbild angefertigt.

Der Parodontalspalt erscheint apikal durchgehend. Es imponiert jedoch eine geradlinige Kontinuitätsunterbrechung der Wurzelkontur im mittleren Wurzeldrittel, die nicht vollständig nach distal weiterläuft. Das Pulpakavum erscheint stark obliteriert.

Das angefertigte DVT zeigt das Nachfolgende:

Es besteht eine Horizontalfraktur der palatinalen Wurzel kurz unterhalb des Limbus alveolaris. Zahn 24 ist zudem dreiwurzelig und weist zwei bukkale Wurzeln auf.

Daraufhin nochmals nach einem Unfallgeschehen befragt, gab die Patientin an, dass sie vor 1,5 Jahren auf die rechte! Gesichtshälfte und insbesondere auf den rechten Unterkiefer gestürzt war und sich massive Prellungen und nachfolgende Blutergüsse zu gezogen hatte.

Die Missempfindungen in Regio 24 traten etwa 6 Monate nach dem Unfall auf und wurden nicht mit dem Vorfall in Verbindung gebracht.

Vermutlich entstand die Fraktur, weil die Zahnreihen beim Aufprall in maximaler Interkuspidation standen. Durch die auftretenden Scherkräfte wurde Zahn 24 nach vestibulär ausgelenkt.

Meine Therapieempfehlung an die Patientin war die folgende:

1,5 Jahre nach Auftreten der zervikalen Horizontalfraktur ist eine Schienung nicht mehr sinnvoll. Da sich im DVT keine Aufhellung apikal (bei Horizontalfraktur eher nicht zu erwarten) oder im Bereich des Frakturspaltes zeigt, die Sondierungstiefen eine Kommunikation zwischen Bruchspalt und Mundhöhle unwahrscheinlich erscheinen lassen, ist eine endodontische Intervention nicht indiziert.

Hingegen sollte die Gussrestauration am 24 (mesialer Haarriss) entfernt werden und der Zahn mit einer die Höcker fassenden laborgefertigten Restauration – vorzugsweise einer Teilkrone – versorgt werden, um Kontakte in der dynamischen Okklusion auszuschliessen.

Mit regelmässigen elektrischen Sensibilitätskontrollen und radiologischen Kontrollen sollte der Verlauf kontrolliert werden.

Die alio loco ursprünglich empfohlene implantologische Lösung des Frakturproblems kann so hoffentlich vermieden werden. Kleine Randnotitz: Der alio loco durchgeführte Sensibilitätstest mittels Kälteapplikation verlief mehrmals negativ.

 

5 Gedanken zu „Und nun? Die Auflösung.

  1. Zugegeben, ohne die mir zur Verfügung stehenden, in der Erstuntersuchung erhobenen diagnostischen und anamnestischen Befunde und Informationen lassen sich hier die genannten Rückschlüsse nur schwer ziehen. Allerdings lagen einige Kommentatoren trotz dieser fehlenden Informationen mit ihrer Vermutung erheblich besser, als ich, als ich zum ersten Mal die Bilder der Überweisern betrachtet hatte. Respekt!

  2. Ich hatte vor einigen Wochen einen ähnlichen Fall. Oberer 24 mit Horizontalfraktur auch an der palatinalen Wurzel (DVT wurde zur Abklärung gmacht). Da der Zahn eine deutliche Lockerung und gleichzeitig leichte Aufbissbeschwerden machte, haben wir uns zusammen mit der Patientin für eine Extraktion entschieden.
    Was wäre für Sie jetzt der entscheidende Punkt in der Nachkontrolle für oder gegen Zahnerhalt im konkreten Fall?

    • Zuerst muss sichergestellt werden, dass die Okklusion keine Störungen aufweist. Dann spricht beim Fehlen apikaler Pathologie und gleichzeitig weiterhin positivem elektrischen Sensibiltätstest nichts gegen einen Zahnerhalt, da die Bruchstellen keine Aufhellung zeigen. LGJS

  3. Guten Morgen.
    Naja, ich habe zwar die Diagnose richtig gestellt, aber die Therapie falsch vorgeschlagen.
    Ich war der Meinung, die Pulpa wäre aufgrund der „Schmerzschilderung“ und fehlender Sensibilität behandlungsbedürftig.

    • Mir gefällt der Fall deshalb so gut, weil ich auch erst nach einigem Überlegen auf die Zusammenhänge kam. Erschwerend finde ich, dass man sich vielleicht bei einem Frontzahn zurückhaltender verrät, als bei einem Seitenzahn.

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