Von Bonald Decker
Nachfolgend möchte ich Ihnen einen gestrigen Fall vorstellen und Ihre Meinungen dazu einholen…
kurz zur Vorgeschichte:
Der 18-jährige Lion stürzte in der Nacht von Samstag auf Sonntag letzte Woche auf dem Nachhauseweg mit seinem Fahrrad. Daraufhin suchte er mit seinen Eltern in den frühen Morgenstunden die chirurgische Notaufnahme einer Universität auf.
Hier erfolgte in erster Linie eine Untersuchung zum Ausschluss eines möglichen Schädel-Hirn-Traumas (u.a. Kopf-CT etc.)
Da keine allgemeinmedizinischen Besonderheiten vorlagen wurde der junge Mann wieder nachhause entlassen.
Da er am nächsten Morgen weiterhin beträchtliche Schmerzen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich hatte suchte er daraufhin auf eigene Initiative den kieferchirurgischen Notdienst der Universität auf.
Das dort angefertigte Orthopantomogramm sehen Sie hier:
Eine weitere Behandlung in irgendeiner Form erfolgte nicht.
Lion wurde gebeten sich Ende der nächsten Woche (also knapp 7 Tage nach dem Unfall) bei seinem Hauszahnarzt vorzustellen, um die betroffenen Zähne mit Kompositfüllungen restaurieren zu lassen.
Zur akuten Schmerztherapie wurde ihm die Einnahme eines nichtsteroidalen Antiphlogistikums empfohlen.
Aufgrund der weiter vorhandenen Schmerzsituation stellte sich Lion schliesslich am Mittwoch bei seinem Zahnarzt vor. Dort wurde diese Einzelzahnaufnahme angefertigt.
Eine weitere Behandlung erfolgte nicht. Dem Patienten wurde empfohlen sich zur “bestmöglichen” Behandlung bei uns vorzustellen.
Unsere Befunde vom Mittwoch (4 Tage post traumatisch) im Überblick:
Vipr 12 und 21 +++, 11 ++, 13,22,23 und UK Front ohne Besonderheiten
Perk 12-11 +, 13,22,23 und UK Front ohne Besonderheiten
12-11: LG I
Hier extra- und intraorale Impressionen der Situation:
Meine Fragen an Sie…
was geht Ihnen nach dem Lesen der Krankengeschichte spontan durch den Kopf?
Würden Sie die Kollegen kontaktieren um die Hintergründe der Nichtbehandlung zu besprechen ?…
Ohne Worte.
Bin fassungslos.
Die erste Frage, die sich aufdrängt ist, wozu das lange Warten? Natürlich sind das für jemanden, der ein Schädel-Hirn-Trauma abklärt „nur Zähne“. Dennoch sollte man meinen, dass auch diese Kolleginnen und Kollegen grundlegende Kenntnisse über Zahntrauma haben. Die Hintergründe dafür besprechen? Da begibt man sich auf dünnes Eis… und wenn man einbricht werden die Gräben zwischen den Fachrichtungen wieder ein wenig tiefer. In den eigenen Reihen heißt es da schnell „jaja, der Endo-Spezialist hat sich wieder zu Wort gemeldet“ und die „üble Nachrede“ schwingt im Subtext mit.
Mein Therapievorschlag? So aus der Ferne immer schwierig auch wenn die Beschreibung und die Bilder super sind…
12 Endo
11 wenn er zusätzlich disloziert wurde, vermutlich auch Endo
21 wenn die Pulpa eröffnet wurde (ich erkenn das auf dem Bild nicht), Endo
Lieber nicht noch länger warten und infektionsbedingte Resorption riskieren.
Engmaschiges Follow-up
Hallo aus München,
würde jemand hier aus der Runde vitalerhaltende Massnahmen (partielle) Pulpotoimie)) in Betracht ziehen?
lgc
Es hängt ein wenig von den erlittenen Verletzungen des Parodontose ab. Aber eine partielle Pulpotomie wäre meine erste Option.
LGJ
Ich sehe mich in erster Linie immer dem Patienten gegenüber verpflichtet. Das heißt nicht, daß ich einen Kollegen schlecht rede, aber ein Blatt vor den Mund nehme ich auf die Frage, ob das die richtige Therapieentscheidung war nicht. Wem hilft es? Der Patient wird innerhalb von 4-5 Stunden im Internet fündig, wie es eigentlich hätte laufen müssen. Die Erstbehandelnden sind entweder glücklich, wenn sie mal erfahren, was wirklich zu tun gewesen wäre (Stichwort Arztbrief) oder ignorant. Letztere kann ich nicht verändern. Bei der ersten Gruppe besteht dagegen noch Hoffnung. Ansonsten spiegelt dieser Fall klar den Wissensstand im Bereich Trauma wieder. Schrecklich.
Partielle Pulpotomie?
Definitiv.
Das geht nachweislich auch jetzt noch sehr gut.
Nur falls axiale Auslenkungen vorliegen -> Zahn11?, geht es leider nicht mehr.
LG,
Markus
Eine dislokation lag nicht vor…
Dann würde ich eine Schienung und bei allen drei Zähnen eine partielle Pulpotomie durchführen.
Vorrausgesetzt die Pulpa am 11 ist exponiert. Ansonsten nur CP-Behandlung und Kompositaufbau. Ist wegen dem Dreck nicht gut zu sehen.
LG,
Markus
Ich hatte mir erlaubt den Chef der MKG zu kontaktieren um Ihn über die Nichtbehandlung in seiner Abteilung zu informieren. Hier seine Antwort:
„Lieber Herr Decker,
danke für die Rückmeldung. Ich bin froh wenn ich Rückmeldung dieser Art erhalte. Ich werde mir die Unterlagen heraussuchen lassen und mit der Behandlerin/dem Behandler Rücksprache nehmen. Wir melden uns dann bei Ihnen.“
Kurzes Update: Heute Anruf des behandelnden Notdienst-Kollegen. Es täte ihm sehr leid, dass er keine Therapie eingeleitet habe.
Natürlich hätten die Zähne eine Notversorgung benötigt. Er könne sich sein Verhalten nicht erklären und habe auch keine Entschuldiugung dafür.
Respekt!Das bleibt ihm sicher in Erinnerung.
Hier noch die Antwort des Chefs:
Lieber Herr XXX
danke für Ihr unten stehendes E-Mail. Es hat etwas gedauert bis ich mit dem Behandler in der damaligen Situation Rücksprache nehmen konnte. Er hat mir mitgeteilt dass er Sie inzwischen auch angerufen hat, was ich ihm aufgetragen hatte.
Es ist für mich wichtig solche Rückmeldungen zu bekommen, damit ich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Verbesserungspotentiale besprechen kann.
Ohne Dislokation ist es einen Versuch wert, jedoch ist mein Stand des Wissens, dass das Limit für eine partielle Pulpotomie bei offener Pulpa 2 Tage sind.
Oder gibts da wieder was Neues?
Laut Prof. Krastl ist die Abwehrlage der Pulpa so gut, daß sogar nach ein bis zwei Wochen nach Exposition noch eine Pulpotomie möglich und sinnvoll wäre.
Ich hoffe das hat noch Gültigkeit, soweit war zumindest mein Kenntnisstand.
Ich bin auch für eine Cvek Pulpotomie- in seinen alten Studien hat er diese Behandlung auch 40 Tage nach Trauma durchgeführt.