Wawibox – Erste Erfahrungen in der Praxis

von Hans – Willi Herrmann

Seit ca. 6 Monaten arbeiten wir jetzt mit der Wawibox, einem internetbasierenden, via Webbrowser zu bearbeitendem Materialwirtschaftssystem.
Bis dato, demnach 21 Jahre lang, hatten wir unsere Materialbestellung und Lagerhaltung von Hand vorgenommen.
Und in dieser Zeit irgendwann ein Kanban- System etabliert.
Kurze Erklärung für diejenigen, denn das nichts sagt: Von Toyota 1947 eingeführt im Rahmen des Firmen QM´s, um den Nachschub an Produktionsteilen sicherzustellen. Der Erfinder der Methodik, Taiichi Ohno beschrieb die Idee so: „Es müsste doch möglich sein, den Materialfluss in der Produktion nach dem Supermarkt-Prinzip zu organisieren, das heißt, ein Verbraucher entnimmt aus dem Regal eine Ware bestimmter Spezifikation und Menge; die Lücke wird bemerkt und wieder aufgefüllt“.

„Kanban” bedeutet wörtlich „Karte” und bezeichnet die Identifizierungskarte, die sich bei jedem Endprodukt, jeder Baugruppe und jedem Einzelteil, das im Betrieb verwendet wird, befindet. Auf unsere Praxis übertragen heisst das, sobald ein bestimmter Artikel nicht mehr im Vorrat ist oder zur Neige geht, wird die jeweilige Identifikationskarte „gezogen“ und in den Karteikasten für Neubestellungen gelegt. Die Karte enthält die Bestellnummer, den/die potentiellen Lieferanten, Preise des Produktes. Die für die Bestellungen verantwortliche Mitarbeiterin führt dann die Nachbestellungen durch. Die gelieferte Ware wird mit der Kanban – Karte (die auch den Lagerort der Ware gelistet hat) ins Lager eingeräumt, ein neuer Bestellzyklus kann beginnen.

Ich bin ein großer Fan solcher QM- Systeme und des QM- Gedanken insgesamt.
Leider steht und fällt das Ganze mit der konsequenten Umsetzung.
So einfach das System per se ist, so komplex und fehleranfällig ist es in der Anwendung. In der Praxis wird man immer wieder zur frustranen Erkenntnis kommen, dass bestimmte Matrialien nicht vorhanden sind oder unerwartet zur Neige gehen, weil vergessen wurde, die jeweilige Kanban- Karte rauszulegen.

Grund genug für mich, mit der Integration der Wawibox diesem Problem auf den Grund zu gehen. „Erst jetzt ???“ könnte man kritisch anmerken. Denn die Wawibox ist weder das einzige noch das erste Materialwirtschaftssystem auf dem Markt. AERA fällt mir ein.
Wir nutzen seit einigen Jahren sporadisch diese Internet- Bestellplattform. Zumeist wenn unsere Haus und Hof -Lieferanten, das sind M&W Dental und Altschul Dental in Mainz, unser Praxisdepot, einen Artikel nicht im Angebot haben.

AERA bietet auch eine Materialwirtschaft an.
Ich habe mich nie genauer damit befasst, weil man als Hardware Barcodescanner benötigt und zum Zeitpunkt der Einführung zumindest (vielleicht ist das heute anders) das System nur auf Windows- Rechnern lief.
Die Wawibox läuft auf dem Mac.
Was eigentlich nicht korrekt ist, sie kann via Webrowser von allen möglichen Geräten aus bedient werden.
Für uns wären das PC´s, Apple Rechner, Ipad und Iphone.
Und Ipod und Iphone fungieren auch als QR- Code Scanner.
Fehlt nur noch ein Dymo- Labeldrucker, der zum Ausdruck der Inventur- Labels verwendet wird und der ist schon in der Praxis vorhanden.

Eine niedrige Eingangsschwelle demnach, man muss nur springen wollen.
Ich sprang zu Beginn des Jahres.

Nachfolgend nun erste Erfahrungen: Am Anfang steht die Totalinventur.
Alles raus aus allen Schränken.
Das ist Arbeit, ohne Frage.
Aber etwas, was man ohnehin doch schon immer mal tun will.
Das große Aufräumen. Welches, weil man den Aufwand scheut, nie gemacht wird.

Plus Nummer 1 für die Wawibox.
Es wird Tabula rasa gemacht.
Und dabei kommt längst Verloren Geglaubtes zum Vorschein. Plus Nummer 2 für die Wawibox: „Schauen Sie mal, was wir gefunden haben, Herr Dr. Herrmann! “ Oder auch: „Was ist das denn, Herr Dr. Herrmann ?“ „Das, liebe Mitarbeiter ist das tolle Provisiorenmaterial, das wir für 367 Euro als Starterkit bestellt haben und dass offensichtlich, weil originalverpackt und eingeschweißt, nie benutzt wurde. Ein kurzer Blick auf das Ablaufdatum (November 2006) zeigt, diese Investition ist als Vollverlust zu bewerten. Das schmerzt sehr, zeigt aber exemplarisch auf, daß ein System wie die Wawibox das Potential hat, sich auch finanziell als sinnvoll zu erweisen.

Der erste Schritt zur Inbetriebnahme der Wawibox ist demnach die Inventur und Bestandsaufnahme.
Das ist mit einem gewissen Arbeitsaufwand verbunden.
Aber es lohnt sich.

Zum ersten Mal überhaupt bekommt man – mit „man“ meine ich den Praxisinhaber – einen exakten Überblick, wie es mit dem Materialbestand in der Praxis aussieht. Alle anderen haben natürlich auch keinen Überblick, aber vermutlich auch wenig bis kein Interesse, den Fehlabläufen auf den Grund zu gehen. Natürlich ärgert man sich (damit sind jetzt die Mitarbeiter gemeint), wenn es nicht rund läuft, die Stimmung im Team mit einem suboptimal gelaunten Chef (weil das dringend benötigte Material XYZ nicht da ist) ist nicht die beste und natürlich werden immer wieder Anläufe unternommen, das Problem auszumerzen: Teamsitzungen, die durchgeführt, Ermahnungen, die ausgesprochen, Arbeitsanweisungen, die erstellt, vorgelesen und unterschrieben werden.
Und so weiter.
Das ganze Programm.

Hilft es ?
Nur wenig und wenn überhaupt nur kurzzeitig.
Irgendwann fehlt garantiert wieder irgendwas.

Plus Nummer 3 für die Wawibox: „Jedes Ding hat einen Platz, jedes Ding hat seinen Platz !“ – Auf den Satz bin ich ein bisschen stolz und ich sage ihn mantra-mäßig immer wieder, wenn es um den Nutzen von geordneten Strukturen geht. In der Wawibox wird jedem Material ein Aufenthaltsort zugeordnet. So ist auch die Azubi oder die neue Mitarbeiterin der Praxis aus dem Stand in der Lage, aus dem Vorrat benötigte Materialien zu holen. Ein Blick in den Computer genügt. „Wir brauchen das Oralseal Putty“ ist eine Aufgabe, die mit der Wawibox auch für Praxisneulinge machbar wird.
Sofern man den Produktnamen richtig schreiben kann.

Plus Nummer 4 für die Wawibox- First in, First out: Abgelaufene Materialien gehören der Vergangenheit an. Wer kennt das nicht. Ein Standardmaterial -zum Beispiel Impregum oder ein Anästhetikum, ständig in Verwendung, wird regelmäßig nachbestellt. Dann der Blick auf das Haltbarkeitsdatum der neuen Verpackung. Kurz vor Ablaufdatum, im worst case abgelaufen. Wie kann das sein ? Die Vorgabe bei Nachlieferung, aus jedem Supermarkt bekannt, ist: Das alte Material wird nach vorne im Regal geräumt, das neue Material kommt nach hinten. In der frustranen Praxisrealität wird das neue Material einfach in die Schublade geknallt und – weils bequem ist – ohne die Ablaufdaten zu vergleichen – immer die Packung vorne entnommen.
Die alte Packung bleibt weit hinten liegen, staubt im übertragenen Sinne zu und erscheint, je länger sie dort unbewegt liegt, zunehmend weniger attraktiv. Und irgendwann, tja, dann ist es halt passiert. Upps, übersehen, sorry. War im Übrigen dann wie immer keiner. Mit der Wawibox gehört diese Unsitte der Vergangenheit an. Weil das System bei Versuch, ein Material neueren Ablaufdatum aus dem Vorratslager  in das Verbrauchslager einzubuchen, dies schlichtweg nicht gestattet und stattdessen die Meldung ausgibt, es seien ältere Materialien im Vorrat vorhanden, die doch bitte zunächst aufgebraucht werden sollen.

Halten wir bis dato fest: Die Wawibox erscheint sinnvoll.

Das System ist nun installiert.
Die Voraussetzungen für die Inbetriebnahme sind geschaffen.
Jetzt wird zum ersten Mal etwas bestellt via Wawibox: Den betreffenden Artikel angeklickt, ein Fenster mit Lieferanten geht auf, die jeweiligen Preise werden angezeigt. Den günstigsten Lieferantenausgewählt, die Bestellmenge eingegeben, ab in den Warenkorb. Zum Schluss der Materialbestellung die Bestellung abgeschickt.
Ein Mausklick.

Mittels Email (im Hintergrund) wird die Bestellung auf den Weg gebracht.
Spätestens am übernächsten Tag, wenn´s gut läuft schon am nächsten Tag ist  die Bestellung in der Praxis.

Ein Artikel in der Dental Yellow Press wäre an dieser Stelle zu Ende, ein paar anpreisende Worte zum Abschluss noch angefügt. Hier bei uns kommen jetzt die Dinge, die – ich sach mal – verbesserungsfähig sind. Davon gibt es einige. Nichts Dramatisches. Ich werde im Rahmen der Artikelreihe dezidiert darauf eingehen, Punkt Nr. 1 Die Wawibox ist ein Start Up. Soll heißen, die Idee ist gut, das kann man sehen. Allerdings läuft das Ganze -für Start Ups nicht Ungewöhnliches –  noch nicht so ganz rund. Bei der Materialbestellung zum Beispiel sind bestimmte Hersteller nicht gelistet. Unsere Hauslieferanten fehlen beide. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass die Wawibox für jeden Bestellvorgang eine Provision vom Lieferanten abfordert. Da ist offensichtlich nicht jeder bereit dazu. Oder sagen wir besser, gegenwärtig einige nicht.

Könnte uns egal sein, solange die Preise der anderen Lieferanten ohnehin günstiger sind als unsere bsiherigen. Sind sie.
Die Unterschiede sind sogar höher als vermutet. Auch unter den gelisteten Lieferanten gibt es teilweise bemerkenswerte Unterschiede. Ohne Wawibox würde man dies nicht bemerken. Man würde vermutlich die Waren bei ein paar wenigen Stammlieferanten bestellen und würde nicht realisieren. wie groß die Unterschiede tatsächlich sind. Mit der Wawibox genügt ein Blick, ein Klick und das beste Angebot ist ausgewählt. Die 20 Euro Gebühr pro Mpnat für die Wawibox  werden, soviel ist nach den ersten  Tests klar, wieder eingespielt.

Es stört und hemmt den Arbeitsfluß, dass auch eine Reihe von Artikeln nicht in der Datenbank zu finden sind. Alle Direktlieferanten wie zum Beispiel Kanidenta oder Komet sind nicht vertreten. Da heisst es,  die Artikel händisch anlegen. Jetzt könnte man argumentieren, und die Betreiber der Wawibox tun das auch, dass dies pro Artikel nur einmalig durchgeführt werden muss. Leider gibt es aber eine Reihe von Artikeln, die, obwohl in der Datenbank vertreten, nicht gefunden werden bei der Suche, weil die Stichwörter der Suchfunktion unvollständig sind. Oder man verlässt sich bei der Suche auf die aufgeführten Produktabbildungen, um dann festzustellen, dass das Endo- Instrument in einer falschen Größe geliefert wird, weil das abgebildete Reciproc 25- Instrument einen dazu verleitete, das Reciproc 40- Instrument zu bestellen. Wieder sagt „die“ Wawibox, tut uns leid, wir arbeiten dran, ist aber in der Lieferantendatenbank so hinterlegt , aber sobald das Material erstmalig bestellt ist, dann ist es ja in der praxiseigenen Datenbank drin und dann taucht der Fehler nicht mehr auf.
Mag sein, dass dem so ist. Da wir allerdings – anders als der „normale“ Zahnarzt – wesentlich häufiger exotische und neue innovative Materialen und Instrumente bestellen, trifft mich dieses Phänomen doch immer wieder.

Warum trifft es mich ?
Weil ich – im Gegensatz zu früher, die Bestellungen selbst durchführe.
Ich tue dies, um das System sicher auf den Weg zu bringen.

Mir liegt viel daran.
Ich bin davon überzeugt, dass eine computergestützte Materialwirtschaft einen Gewinn für die Praxis darstellt.
Und möchte deshalb vermeiden, daß, aus welchen Gründen auch immer, die Einführung eines solchen Systems torpediert wird, mit Nichtakzeptanz gestraft wird und scheitert. Wir kennen das ja alle. „Das haben wir doch schon immer so gemacht und es ging auch.“

Fakt ist – ich möchte nicht mehr auf ein computergestütztes Materialwirtschaftssystem in der Praxis verzichten. Ob die Wawibox das Rundum Glücklich – System ist, kann ich mangels Kenntnis von Alternativen nicht sagen und zum gegenwärtigen Zeitpunkt  noch keine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen.

Aber immerhin hat die Wawibox es geschafft, mich ins Lager der Computer- Nutzer zu ziehen.
Das ist schon mal was.
Und – ich sage schon jetzt – Materialbestellung und Lagerverwaltung kann – sofern man die Wawibox hat- Spass machen.

Ich werde weiter berichten.

Parallel dazu wird seit kurzem in einer anderen WURZELSPITZE- Praxis das AERA- System getestet. Vielleicht gibt es also bald hier einen Praxistest dieser Software. Und WURZELSPITZE- Gastautor Thomas Seitner arbeitet schon lange mit AERA und stellt gerade seine Eindrücke in einem weiteren Beitrag für WURZELSPITZE zusammen.

Es bleibt spannend.