Artikel in der „Zeit“ – Die Wurzel des Übels

von Hans – Willi Herrmann

OLYMPUS DIGITAL CAMERAEr habe in der „Zeit“ über ein spezielles Wurzelkanalinstrument gelesen.
Ob ich den Artikel kennen würde, fragte der zur Wurzelkanalbehandlung überwiesene Patient beim Aus-der-Tür-Gehen.
Es war seine erste Behandlungssitzung bei uns, ich hatte ihm während unserer Behandlung ein wenig vom Aufbau der von uns verwendeten Instrumente erzählt.

Ich verneinte, aber schnell war klar, im Zeitungsbericht ging es um das Lentulo.

Natürlich wollte ich den Artikel lesen.
Ob er mir die Zeitung mitbringen könne, fragte ich.
Der Patient hielt Wort. Und brachte zur nächsten Behandlungssitzung  die betreffende „Zeit“- Doppelseite mit.

Ein ausführlicher Bericht über die Wurzelkanalbehandlung in der wohl renommiertesten deutschsprachigen Wochenzeitschrift ?

Jeder Lobbyverband wäre froh über soviel kostenlose PR.
Wer nachlesen möchte, was  über Zahnschmerzen und Möglichkeiten des Zahnerhaltes durch Wurzelkanalbehandlung geschrieben wurde, der nutze diesen Link bei „Zeit Online“ zum Nachlesen.

Dem einen oder anderen wird dabei vermutlich gegen Ende der ersten Seite das Lachen spontan aus dem Gesicht verschwinden. Die Autorin wagt es nämlich, das böse C- Wort nicht nur zu erwähnen, sondern darüber hinaus besagtes Desinfektionsmittel als das beste und eindrucksvollste überhaupt anzupreisen. Nur der Vollständigkeit halber. Von Kofferdam, Dentalmikroskop, elektrischer Längenmessung war bis dato  keine Rede, wird auch im Nachfolgenden nicht gesprochen und der Begriff „Spezialist“ wird lediglich im Zusammenhang mit Korallenriffen erwähnt.

Wer nun zum Schluss kommen sollte, die „Zeit“ sei auch nicht mehr das, was sie einstmals war, den möchte ich auf das Erscheinungsdatum des Artikels kurz vor Weihnachten hinweisen. Jahreszeitlich gesehen schwebt über diesem Aufsatz adventsbedingt also nicht nur die auch im Dezember drückend heiße Mittagssonne Timbuktus, sondern auch der zur Versöhnung und Völkerverständigung aufrufende Stern von Bethlehem.

Und daher schlage ich vor –  Friede auf Erden – gewissermaßen als guter Vorsatz für das gerade begonnene Jahr 2015 – einfach mal versuchsweise – rein hypothetisch – anzunehmen, das das in den Artikel Beschriebene wahr ist.

Wie ließ Arthur Conan Doyle seinen Helden Sherlock Holmes einst sagen: „Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.“

Es gab Jahrzehnte,  in denen die Endodontie generell als falsch verschrien war.
Es gibt Vorurteile aus dieser Zeit, die sich bis heute hartnäckig halten.
Die nicht tot zu kriegen, aber dennoch falsch sind.

Das alles im Hinterkopf und  dem entsprechenden zeitlichen Abstand sollte es doch heutzutage möglich sein, CHKM  erneut und vorbehaltlos zu revaluieren.

Was spräche also dagegen, in diesem Jahr einfach mal – von mir aus in den sogenannten hoffnungslosen Fällen – zu eruieren, ob man unter Zuhilfenahme „reinigender Kriechmittel“ die entsprechenden Zähne erhalten kann.

Und nächstes Jahr sprechen wir hier darüber, welche Erfahrungen gemacht wurden.
Einen Versuch wäre es wert und die Patienten  – die Autorin ist das beste Beispiel –  würden es danken.

Von Platinzahnärzten und Spezialisten

von Hans – Willi Herrmann

Was erwartet man eigentlich von einem Spezialisten ?
Was versteht man unter einem Spezialisten ?

Für mich ist ein Spezialist jemand, der Aussergewöhnliches auf einem bestimmten Gebiet leistet. Ein Spezialist für Endodontie demnach ist jemand, der sich auf dem Gebiet der Wurzelkanalbehandlung durch besondere Leistungen auszeichnet.

Bedarf es dafür eines besonderen Titels ?
Mit Sicherheit nicht.
Ein Doktortitel macht keinen besseren Arzt. Ein Spezialistentitel per se keinen besseren Endodontisten.

Es gibt in Deutschland eine ganze Reihe von „wirklichen Spezialisten“ für bestimmte Bereiche der Zahnmedizin, welche im Laufe ihres Beruflebens sich eine besondere Eignung erworben haben, die sich in adäquaten Behandlungsergebnissen äußert.
Hic Rhodos, hic salta ! Diese Kollegen können springen.
Jederzeit und aussergewöhnlich weit. Und daher  bedürfen diese keiner vollmundigen Anpreisung auf Werbemitteln gleichwelcher Art. Sie führen keinen vollmundigen Titel in ihrem Namen.
Weil sie es nicht brauchen. Weil sie wissen, dass es nicht rechtens ist. Oder sagen wir besser nicht fair wäre, den Patienten und Kollegen gegenüber, denn das mit dem „nicht rechtens sein“ ist neuerdings so eine Sache.

Dem gegenüber steht eine immer größere werdene Zahl von „Titelträgern“.
Der in der Überschrift beschriebene Platinzahnarzt ist  da noch eine eher harmlose, weil sich mit dieser Phrase  selbst entlarvende Peinlichkeit.  Möglicherweise ein   standortbedingtes Phänomen, denn nur rund 100 Megter entfernt fand sich in der gleichen Stadt längere Zeit ein Praxisschild mit der Zeile „Tätigkeitssschwerpunkt Implantologie in Vorbereitung“.

Und damit sind wir bereits mitten in der  Problematik, denn natürlich zielt der öffentliche Verweis auf  solche Titel darauf ab, Patienten für die eigene Praxis zu gewinnen.

Während der Begriff „Platinzahnarzt“ von jedem halbwegs im Leben stehenden Patienten als Blendwerk, als unnützer Tand aussortiert werden wird, ist dies bei anderen Titeln nicht ganz so offensichtlich.

Ein Tätigkeitsschwerpunkt zum Beispiel suggeriert qualitätsverbessernde Konzentration auf einen bestimmten Teilbereich.
Verspricht einen Routinier, der Besonderes leisten kann.

Und dann der Master, ein Meister seines Faches.

Gehts noch prestigeträchtiger ?Möglicherweise, denn Spezialist sticht Master sticht Tätigkeitsschwerpunkt sticht Zahnarzt.

Der Spezialist also. Die Spitze der ärztlichen Kompentenzpyramide ? Das Halbgott in Weiss – Professorenanalogon des neuen Milleniums ?

Wohl kaum.

Denn der  Titel „Spezialist“ scheint nicht geschützt oder genau definiert.

Was offensichtlich dazu führt, dass  heute jeder Zahnarzt, der meint, sich so zu benennen zu müssen, einen solchen Titel auf seine Briefbögen, auf  sein Praxisschild, auf seine Internethomepage schreiben darf.

Letztlich eine Folge des Vorbeck – Urteils von 1997, dass die Möglichkeit der Aussendarstellung einer Zahnarztpraxis im Internet grundsätzlich zuließ. Während bis dato, über Jahrzehnte hinweg, die für die Einhaltung eines strikten Webeverbotes zuständigen Zahnärztekammern mit Argusaugen selbst das zentimetergenaue Ablängen von Praxisschildern bebeckmesserten, befinden wir uns  heute, gerade mal 13 Jahre später, diesbezüglich in einem fast vollständigen Reglementierungs – Vakuum. In dem Jeder  eigentlich Alles darf, sofern er nicht vorgibt, routinemäßig Amalgam in Gold verwandeln zu können.

Das wir uns nicht missverstehen. Mit Oliver Pontius (Bad Homburg) und Helmut Walsch (München) gibt es 2 Behandler, die in den USA im Rahmen einer mehrjährigen universitären Weiterbildung den Titel „Endodontischer Spezialist“ erworben haben.  Es gibt daneben in Deutschland Spezialistentitel der Deutschen Gesellschaft für Endodontie und der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung, denen ein genau definierter Anforderungskatalog zugrunde liegt. Die European Society of Endodontology hat in diesem Monat ein  Konsenspapier zur Definition von Minimalkriterien für die Erteilung eines Spezialisten – Titels veröffentlicht.

Im Gegensatz dazu tauchen  in den letzten Jahren eine Vielzahl von „Endodontie – Spezialisten“ auf, die, merkwürdigerweise in der Endo – Szene (die in Deutschland eine immer noch sehr überschaubare ist) vollkommen unbekannt sind, jedoch dafür umso lauter ihre besondere Befähigung in ihrer Aussendarstellung zur Schau stellen.
Bezeichnenderweise findet sich auf ihren zumeist aufwändigen und professionell durchgestylten Homepages kein konkreter Hinweis, auf welchen Kriterien die Titelverleihung „Spezialist“ sich gründet.

Eine fatale Fehlentwicklung.
Und die Zahnärztekammer täte gut daran,  dieses Geschehen genaustens zu analysieren und die Titelinflation der letzten Jahre wieder in einen ehrlichen und (hier ist der Begriff mal ausnahmsweise wirklich angebracht)  evidenzgestützten Zustand zurückzuführen.

Geschieht dies nicht, wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Behandler, deren Marketingbemühungen nicht mit ihren Behandlungsfähigkeiten proportional korrelieren, den Ruf zeitgemäßer Zahnmedizin (und das nicht nur in der Endodontie, das gilt für andere Teilbereiche der Zahnmedizin genauso) )ruinieren werden und das Vertrauen der Patienten in die Zahnmedizin schwinden lassen wird.

Warum bislang keine Reaktionen von den Kammern ?

Ein Aspekt ist sicherlich, daß zwischenzeitlich, neben den einschlägigen Fachgesellschaften und privaten Anbietern, eine ganze Reihe von  Zahnärztekammern selbst zum Ausrichter und Anbieter solcher Weiterbildungsreihen wurden. Wer Fortbildungen initiiert, dem fällt es nicht leicht, strenge Regeln zu errichten, denen die eigenen Kurse nicht genügen.  Und vollends zum Problem würde dies, wenn bislang versucht worden wäre, mit dem Hinweis auf eine „Schildfähige Weiterbildung“ den Zustrom an Teilnehmern zu erhöhen.

Die Konsequenz aus all dem, zum gegenwärtigen Zeitpunkt ?

Für den Patienten: Misstraue dem Titel, sofern er nicht eindeutig und nachweisbar belegt ist.   Und nicht vergessen. Es gibt hervorragende Behandler ohne Spezialisten-, Master-, Gold, Platinum, Diamond – Tätigkeitsschwerpunkt – Titel.

Für die Kollegen:  Belege die geführten Titel oder verzichte darauf, denn eine solche Vorgehensweise ist irreführend und unfair Patienten und Kollegen gegenüber.

Für die Kammern: Wer Titel führen möchte, muss diese anzeigen und deren Rechtmäßigkeit einwandfrei belegen. Die Kriterien zur Erteilung eines Titels müssen präzise definiert, veröffentlicht und frei zugänglich sein. Sie sollten für den Patienten verständlich und nachvollziehbar erläutert und kommentiert sein.