Ein Fall aus der Reihe: Erst hatte sie kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu…

Manchmal ist es schwer nach zu vollziehen, was Patienten über sich ergehen lassen.

Dies ist ein Patientenfall von letzter Woche. Die Patientin erlebte in den letzten 2 Jahren 6 Resektionen an den Zähnen 15,16, 25, 26 und einige Zeit davor eine Resektion am Zahn 21. 25, 26 wurden 2 mal reseziert, der Grund war eine persistierende Fistelbildung. 25, 26 zeigen keine ernsthaft vollständig abgeschlossen Wurzelbehandlung.
Die Wurzelbehandlungen an den Zähnen 44, 46 sind revisionsbedürftig.

Dein Arzt, dein Schicksal fällt mir dazu ein… Nur entscheiden zwei zahnärztliche Behandler/innen über die Indikationen zur zahnärztlichen Therapie.

Jetzt bittet die Patientin uns um Einschätzung zum Erhalt der Zähne.
Sie hatte den HZA gewechselt.
Das sind keine einfache Entscheidungen bei einer 35 jährigen Patientin.

Wie würden Sie / Ihr entscheiden?

Wie sag‘ ich’s nur dem Kinde?

von Jörg Schröder

Mehr als 90 % meiner endodontischen Tätigkeit besteht aus „Redentistry“ der neudeutsche Begriff von „Wiederholungszahnheilkunde“.

Die wenigen Erstbehandlungen kann ich im Monat an den Fingern einer Hand abzählen.

Insofern bin ich hinsichtlich von im Verlauf der Vorverhandlung eingetretenen Komplikationen einiges gewohnt.

Der nachfolgende Fall hat aber auch bei mir ein heftiges Fremdschämen ausgelöst.

Der Patient zeigte bereits nach den ersten Erläuterungen (Zahn 15, nicht aufbereitetes Kanalsystem, 23 WSR ohne WF, via falsa, dislozierte retrograde „Füllung“) bereits deutliche Zeichen von Verunsicherung. Sein von ihm so hoch eingeschätzter Hauszahnarzt hatte die Behandlungen durchgeführt und das, was ich wertungsfrei vortrug, passte so gar nicht ins bestehende Bild.

Und da war der Befund an Zahn 16 noch nicht erläutert!

Wird uns Zahnärzten diese „Ich-kann-alles“-Mentalität im Studium vermittelt? Wo wurde verpasst zu erklären, dass Kooperation mit spezialisiert arbeitenden Praxen kein ehrenrühriges Eingeständnis von Unvermögen ist. Und wenn das Nicht-Überweisen ein Zeichen von Unvermögen wäre, was ist dann das, was hier als Zwischenergebnis herausgekommen ist?

Dass ein 15, der im Einzelbild zwar zwei Wurzelkonturen zeigt, auch schon einmal ein zweites Kanalsystem aufweisen kann, sollte heutzutage allgemein verfügbares Zahnarztwissen sein. Den palatinalen Kanal nicht gefunden? Geschenkt. Hier wurde der Zahn nicht kompromittiert und eine Revisionsbehandlung ist problemlos möglich.

Ein stark obliteriertes Pulpakavum in einem oberen Eckzahn? Kann schon vorkommen. Nach dem halben Verschluss der mit Sicherheit als solche erkannten Via falsa den Zahn noch selbst zu resizieren, ohne dass es eine Wurzelfüllung  gibt, zeugt schon von besonderem Selbstbewusstsein. Lässt aber auch jedes endodontologisches Basiswissen vermissen. Die schwebende retrograde „Füllung“ setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Aber: auch hier ist eine erfolgreiche endodontische Behandlung noch möglich.

Dass das Drauflosbehandeln ohne großen Plan jedoch Methode zu haben scheint, lässt der 16 erkennen. Eine perfekt in den Pulpakammerboden angelegte Perforation und dabei keinen der stark obliterierten Kanäle auch nur angekratzt zu haben spricht Bände.

Wo bleibt hier das Patientenwohl?

Glücklicherweise ist der Vorbehandler keiner unserer Überweiser. Der Patient wurde von einem selbst spezialisiert arbeitenden Kollegen zur dreidimensionalen Diagnostik an uns überwiesen.

So bleibt mir wenigstens ein sehr diplomatisch gehaltener Befundbericht erspart.