Weissabgleich am Dentalmikroskop – Das Outing.

von Hans – Willi Herrmann

Ich oute mich jetzt.

Seit fast  12 Jahren arbeite ich jetzt mit dem Dentalmikroskop.

Und ich habe noch nie einen Weissabgleich vorgenommen.

So. Jetzt ist es raus. Nicht das ich es hätte nicht tun können.

Nein, ich wollte nicht.
Ganz ehrlich, ich sehe wenig Sinn drin in einem solchen Weissabgleich am OPM, auch wenn ich grundsätzlich nichts dagegen habe, Taschentücher unter Mikroskope zu halten. Ist ne gute Sache. Ehrlich. Gibt ein gutes Gefühl.

Jedoch, die Frage sei erlaubt. Warum mache ich einen Weissabgleich ?
Und mindestens genauso wichtig, was mache ich bei einem Weissabgleich in der Dentalfotografie ?

Ketzerische Antwort: ich mache einen Weissabgleich, weil oder sagen wir besser damit ich ein Fotoprofi bin. Oder so ausschaue.  Alle Dentalfotoprofis machen Weissabgleich. Da muss es doch richtig sein. Oder ? Und deshalb macht man es dann auch.

Sie merken, für mich ist das ein wenig ein Reizthema. Warum ? Weil, wenn man die Sache zu Ende denkt, es ein typischer Fall von Guru- Gehabe ist. Viel Lärm um wenig. Weil, um ein wirklich brauchbares Ergebnis zu bekommen, muss ich noch einen weiteren Schritt tun, und wenn ich diesen Schritt tue, dann kann ich mir Schritt 1 sparen.

Ich will versuchen, es zu erklären, aber dazu muss ich weiter ausholen.

Zu Beginn der Fotografie hatte der Fotograf neben der Kamera als Werkzeug keinerlei Hilfsmittel, die ihm eine adäquate Bilderzeugung erleichterten. Entfernung und Belichtung musste er nach eigener Erfahrung und Gutdünken je nach Situation und Sujet einstellen.
Was in Merksätzen wie „Sonne lacht, nimm Blende 8“ seinen Widerhall gefunden hat.

Heute sind in die Kamera integrierte oder externe Belichtungsmesser vorhanden, um die richtige Belichtung zu finden.
Das klappt in den meisten Fällen sehr gut, aber jeder, der schon mal Bilder im Schnee gemacht hat, weiss, dass es Ausnahmesituationen gibt.  Der weisse Hase im Schnee, die schwarze Katze im Kohlenkeller, mal wird das Bild deutlich unter, mal deutlich überbelichtet wiedergegeben.
Warum ? Weil der Belichtungsmesser von einer durchschnittlichen Hell/Dunkelverteilung ausgeht, die fotografiert wird. Der Belichtungsmesser wurde also auf eine bestimmte Standardsituation geeicht. Und immer, wenn das nicht der Fall ist, dann gibt es suboptimale Ergebnisse. Will man diese vermeiden, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten. Am gebräuchlichsten ist es in solchen Fällen, eine Spotmessung (idealerweise auf eine 18% Standard Graukarte) durchzuführen. Bei der Spotmessung visiert man ein bildwichtiges Detail an, stellt die Kamera manuell danach ein bzw. speichert den Messwert bei Automatik-Kameras zwischen, richtet danach die Kamera auf den gewünschten Ausschnitt aus und drückt dann ab. Dieses Verfahren hört sich kompliziert an, ist es nach einiger Gewöhnung aber nicht. Die Spotmessung bietet so bei geringem Mehraufwand und mit etwas Erfahrung eine wesentlich bessere Kontrolle über das Belichtungsergebnis.

Mit der digitalen Fotografie ist noch eine zusätzliche Varianz hinzugekommen.
Bei der analogen Fotografie ist durch die Wahl des Speichermediums Film das Farbergebnis in einem genau definierten Rahmen festgelegt. Auch wenn es unter den verschiedenen Filmmarken teils beachtliche Farbunterschiede gibt und auch die Art der Filmbearbeitung einen großen Einfluss auf das Endergebnis Bild und Dia hat, so kann man doch davon ausgehen, dass bei standardisierter Filmbearbeitung und gleichem Film im Wiederholungsfall mit konstanten Ergebnissen gerechnet werden kann, was die Farbcharakteristik des Bildes angeht.

Dies ist in der digitalen Fotografie in viel viel größerem Rahmen variabel.
Das bietet gerade uns in der Dentalfotografie neue Möglichkeiten, stellt uns aber auch vor neue Probleme.

Jetzt nämlich müssen wir der Kamera nicht nur sagen, was ein „durchschnittliches“ Grau ist, um richtig zubelichten, sondern auch noch, was eigentlich weiss ist, damit die Farben des Bildes korrekt wiedergegeben werden. Die Kamera braucht also gewissermaßen eine Farb – Referenz, an der sie sich ausrichten kann.

Anbei zwei Bilder, geschossen mit einer Profikamera, im Abstand von Zehntelsekunden. Das gleiche Motiv, die gleiche Belichtungsituation, aber zwei vollkommen unterschiedliche Farbstimmungen.

Weissabgleich-2

Wohlgemerkt, dies kann passieren unabhängig davon, ob ein Weissabgleich gemacht wurde oder nicht.

Fakt ist, der Weissabgleich führt zu einer Änderung der Farbtemperatur, die Aufnahme betreffend. Tageslichtaufnahmen liegen bei 5500 Kelvin, Kunstlicht bei 3400 Kelvin. Arbeite ich unter dem Dentalmikroskop oder mache Fotos im Schein der Halogenlampe meines Behandlungsstuhls, so kann ich mittels Weissabgleich den „Farbstich“ der Lichtquelle kompensieren.

Soweit so gut. Hier hilft ein Weissabgleich mit Taschentuch durch das Dentalmikroskop.

Aber reicht das ? Reicht uns das ? Klare Antwort: Nein, es reicht nicht.

Denn unsere Kamera weiss immer noch nicht, was genau in unserem Bild jetzt nun wirklich „weiss“ ist. Wir können es der Kamera auch nicht sagen, dazu müsste es eine Farb – Spotmessung mit einer Weisskarte geben, die im Bild platziert wird.

Und damit sind wir bei des Pudels Kern, sofern es den ein weißer Pudel wäre.

Mit einem Weissabgleich ala „Taschentuch vor die Linse gehalten“ (der Trick ist ja nicht neu und nicht auf Mikroskope beschränkt) schaltet man zwar idealerweise den Farbstich der Lichtquelle aus, hat aber noch lange keine Gewähr, dass die Farbwiedergabe des jeweiligen Sujets der Realität entspricht.

Und dies gilt umso mehr, je weniger alltäglich die fotografierte Situation ist (und machen wir uns nichts vor, großformatig fotografierte Prämolaren oder kofferdamumrahmte Trepanationseingänge sind weit vom fotografischen Mainstream entfernt.)

Die Lösung ist einfach. Sie lautet: Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann kommt der Berg eben zum Propheten.

Wir nehmen Adobe Lightroom, nutzen die Weissabgleich -Funktion der Pipette (siehe Blogbeitrag von Oscar von Stetten) und richten diese auf einen weißen Gegenstand, den wir in unserem Bild platziert haben.

Zu Beginn habe ich weisse Silikonstopps auf die Zähne aufgebracht (die alten Hasen bei ENDO2 wissen es vielleicht noch), aber schnell festgestellt, dass eine weiße Watterolle es noch einfacher und besser tut (siehe auch Kommentar von Andreas Habash zum Blogbeitrag von gestern).

Watterolle einlegen, Foto machen, Watterolle raus, und jetzt kann man soviele Fotos machen wie man will, all diese Fotos können dann im Computer innerhalb von Sekundenbruchteilen angepasst werden über die Synchronisierungsfunktion.

Naja, aber schaden kann ein Weissabgleich mit dem Taschentuch doch nicht, oder ?

Nein, schaden tut es nicht. Insofern – wer es tun möchte, der soll es tun.

Hier noch ein paar Bilder zur Verdeutlichung.

Und hier noch 3 Bilder mit Oraseal. Da ich das eigentlich immer bei der Endo verwende, habe ich immer meine Weiss – Referenz mit im Bild. Bild 1 ist das Original, Bild 3, die Korrektur mittels Oraseal und Lightroom – Pipette, die im Übrigen in allen möglichen und unmöglichen Situationen, wie auch Oscar von Stetten gestern schon schrieb, sensationell funktioniert.

Ja und Bild 2, das ist mein Weissabgleich. Vollautomatisch. Den habe ich nämlich als Vorgabe in Lightroom hinterlegt und beim Import oder auf Knopfdruck wandelt das Programm das Halogenlicht des Dentalmikroskops in Tageslicht um. Nur für den Fall, dass ich mal vergesse, eine Watterolle einzulegen. Die Kamera macht nämlich auch nichts anderes als eine Farbtemperaturverschiebung und so ist es egal, ob es am Mikroskop oder im  Computer geschieht.

Aber ich gebe zu, am Mikroskop ist es beeindruckender.