Alternativlos

von Jörg Schröder

Nach langem Überlegen hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Therapieoptionen erschien mir vor Behandlungsbeginn und erscheint mir auch nach dem ersten Recall die nachfolgend dargestellte Behandlung praktisch alternativlos zu sein.

Nach einem in der Schule erlittenen Frontzahntrauma ( im Rahmen des Werkunterrichtes wurden Steine mit dem Hammer zerkleinert, Augenschutz war vorhanden, eine Gesichtsschutz fehlte) war es beim 8-jährigen Patienten zu einer klinisch in ihrem vollen Umfang nicht klar zu diagnostizierenden komplizierten Kronen-Wurzelfraktur gekommen.

Theoretisch kommen Milchzahntranplantation, Prämolarentransplantation, KFO-Lückenschluss und Offenhalten der Lücke mit späterer Versorgung mittels einflügeliger Klebebrücke als Möglichkeiten in Frage. Unter Berücksichtigung der Compliance der Eltern und die des jungen Patienten und den Chancen, die die hier gezeigte Behandlung bietet, bestand für mich kein Zweifel am Vorgehen. Option 1 und 2 sind in Berlin leider aufgrund fehlender geeigneter und versierter Verhandler nicht erfolgversprechend umsetzbar. Die Reise zu einem Zahnunfallzentrum ist für die Eltern nicht vorstellbar. Der KFO-Lückenschluss kann immer noch erfolgen und auch die prothetische Option läuft nicht weg.

4 Wochen nach der alio loco erfolgten Erstversorgung (labile und palatinale Fragmentfixierung mittels Komposit) erfolgte die Erstvorstellung in unserer Praxis.

Elektrische und thermische Sensibilitätsprüfung waren positiv. Der Zahn war moderat perkussionsempfindlich. Eine erhöhte Mobilität bestand nicht.

Angesichts der vitalen Pulpa des 8 jährigen Patienten galt es für mich diese möglichst vital zu erhalten, um ein Voranschreiten von Wurzellängen- und dickenwachstum möglich zu machen. Um die angestrebte Pulpotomie durchzuführen, war die Entfernung des Fragments unabdingbar. Daraus folgte, dass die relative Trockenlegung so ausreichend gestaltet werden musste, dass sowohl die Pulpotomie, als auch das Reattachment flüssigkeitsfrei durchgeführt werden konnte. Das präoperativ angefertigte DVT war bei der Einschätzung sehr hilfreich, ob die oben genannten Umgebungsbedingungen geschaffen werden könnten.

Nach mehr als ausführlicher Erläuterung der in Frage kommenden Behandlungsoptionen wurde die Behandlung einzeitig durchgeführt.

Dass die überweisende Kollegin der Behandlung beiwohnte stellte sich im Verlauf als mehr als günstig heraus, da neben einer sterilen Assistenz und der unstetigen Mitarbeiterin im Hintergrund eine weitere sterile Hand benötigt wurde, um sowohl die Pulpotomie als auch das Reattachment unter dem Mikroskop durchführen zu können. So war ein zeitgleiches Abhalten des grazilen Mukoperiostlappens und das Abmischen des zur Pulpotomie eingesetzten Materials – hier MTA Angelus – zu realisieren.

Müßig zu erwähnen, dass eine der besonderen Herausforderungen darin bestand, den kleinen Patienten gut durch die Behandlung zu führen und jede gewonnene Minute eine entscheidende sein könnte.

Mittels einer FACE-Lampe von W&H (Fluoresence-Aided-Caries-Excaation)- eine Methode, die von Dr. Thomas Connert vom Zahnunfallzentrum in Basel mitentwickelt wurde-  konnte das bei er Erstbehandlung benutzte Flow-Kompost visualisiert und nachfolgend mittels rotierender Instrumente zum Großteil entfernt werden. Um die Zahnsubstanz maximal zu erhalten, wurde ein Heidemannspatel in den inzisal befindlichen Spalt eingesetzt und das Fragment auf diese Weise mobilisiert.


Nach chirurgischer Darstellung erfolgte die Entfernung der koronalen 2mm des apikal vorhandenen Pulpagewebes mittels diamantiertem hochtourig drehendem zylindrischem Instrument. Die Abdeckung der Pulpa erfolgte mit MTA Angelus. Darüber wurde eine Schicht Ultrablend gelegt.

Nachdem dies geschehen war, konnte nunmehr das bis dahin in steriler Kochsalzlösung geparkte Fragment vorbereitet werden. Das im Fragment vorhanden Pulpagewebe wurde mit einem Exkavator entfernt und der Hohlraum nach Konditionierung mit OptiBond FL mittels Flowkomposit so weit aufgefüllt, dass eher ein Unterschuss bestand, um das Reattachment nicht zu erschweren.

Die Wiederbefestigung erfolgte mittels RelyX Unicem, nachdem auch die Zahnhartsubstanz im Mund entsprechend für die Adhäsivtechnik vorbereitet worden war.

Nach Beseitigung der Überschüsse erfolgte die Lichthärtung und der Nahtverschluss. Okklusionskontrolle und Politur stellten den Abschluss dar.

Die erste Nachkontrolle lässt eine Dickenzunahme der Wurzel erkennen. Eine Sensibilitätsprüfung ist aufgrund der tiefen Lage der Pulpotomie nicht möglich, sodass die Beurteilung der Situation bei fehlender klinischer Symptomatik per Einzelbild erfolgte.

Es wird spannend sein, wie sich die Situation weiterhin entwickelt.

 

25 Gedanken zu „Alternativlos

  1. Hallo Jörg,

    Kannst du diesen Teil präzisieren?!

    “ Die Wiederbefestigung erfolgte mittels RelyX Unicem, nachdem auch die Zahnhartsubstanz im Mund entsprechend für die Adhäsivtechnik vorbereitet worden war.“

    RelyX Unicem (2) ist doch ein selbstadhäsives Befestigungskomposit ( RMGIZ) was über die Modifizierung des Smearlayer funktioniert, mit nicht optimalen Langzeitstabilität was die Schmelzhaftung angeht. Wird da geplant in ein paar Jahren nachbehandelt wenn Verfärbungen im Schmelz auftreten, oder hast du noch zusätzlich eine Schmelzätzung mit extra Bonding durchgeführt?

    Spannender Fall!

    Gruß Gregor

    • Hallo Gregor,

      ich habe den Mundteil mittels Optibond FL und vorheriger Ätzung konditioniert. Das selbstadhäsive Konzept habe ich hier nicht genutzt. Die Alternative wäre ein dualhärtender Befestigungszement gewesen.

      LGJ

  2. Top gelöst und dokumentiert!
    Würdest Du Biodentine alternativ in Betracht ziehen wegen des Verfärbungsrisikos durch MTA?

    LG B

    • Hallo Bernard, Danke.

      Biodentine ist sicher eine gute Alternative. Ich nehme dies bei höheren Pulpotomien. Das MTA kann ich besser in der Konsistenz einstellen. Und es ist mir sehr vertraut. Daran merke ich das Altwerden. ;)) LGJ

    • Hallo Christoph. Danke für das Lob. Ich hatte mir einen 3 Stunden Block an einem Freitag Vormittag reserviert. Und ihn auch fast vollständig zur Behandlung gebraucht. Mir ist MTA vertrauter im Handling. Bei der tiefen Lage der Pulpotomie – sie musste tiefer liegen als der am weitesten apikal gelegene Bruchspalt – schätze ich das Risiko der Verfärbung als verschwindend gering ein. Bei höheren Pulpotomien nehme ich gerne Biodentine. LGJ

  3. Sehr schöner Fall und auf jeden fall das absolute optimum für den Patienten.

    Ich würde noch die intentionelle Replantation in Erwägung ziehen als Backup Therapie option.

    Also zahn mit Benex extrudiertes bzw. Atraumatisch extrahieren ggf. extraorale WKB und wieder replantieren.
    Das ganze wäre dann der kleine Bruder der Zahntransplantation.

    Aber am besten man braucht diese option nicht.

    Sehr schöner Fall!

    Georg

      • Moin Jörg,

        Nicht als erste Wahl aber ja – meine bisherigen Erfahrungen sind alle positiv verlaufen mit der extrusion.

        Ich ich gehe davon aus das der zahn nicht ankylosiert ist.

        Bei Benex hat man am Ende aber natürlich immer die Diskussion mit der schraube…

        Georg

          • Pulpa ade´!
            Finde ich persönlich im Jahr 2020 angesichts der Möglichkeiten der Regeneration bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum ehrlich gesagt zu invasiv und damit nicht akzeptabel.

            LG BB

          • Ich denke, Georg hat das als eine mögliche Behandlungsvariante erwähnt, es aber nicht für diesen speziellen Fall in Betracht gezogen.

          • Ja – ich denke dann ist Pulpa ade angesagt.

            Aber wenn ich dann an den transplantation Kongress in Rotterdam denke bei dem PM transplantiert wurden und dann obliterieren wäre ggf ein Raum für Experimente – nur will man hier recht klare Sachen haben wenn man das macht.

            Die einzige pulpaerhaltende option hast du durchgeführt.

            Und das mit der extrusion wird hoffentlich nicht nötig werden.

          • Nichts gegen Experimente. Für mich gibt es aber auch einen Unterschied zwischen Experiment und Versuch. Ich frage mich in diesen Fällen aber immer, wie ich meine eigenen Kinder versorgt sehen möchte und ob dies in meinen oder anderen Händen machbar ist. Womit wir bei der Frage sind: Wer in Berlin kann die Transplantationen auf in etwa dem Niveau durchführen, wie es in Basel oder Würzburg möglich ist, oder wie sie der Kollege aus Hongkong oder Singapur auf der ESE Tagung in Wien gezeigt hatte. Extraorale Verweildauer nach Extraktion bis zum „snuggly fitting“ in der künstlich geschaffenen Alveole maximal 10 Sekunden. LGJ

          • Ich glaube du hast mich falsch verstanden –
            das Experiment wäre diesen Zahn, der noch im Wurzelwachstum ist zu transreplantieren und hoffen das die Pulpa wie bei einem transplantierten Zahn im Wachstum obliteriert.

            Ich muss mal schauen ob es dazu überhaupt einen Fallbericht gibt.
            Es war mehr ein lautes denken – denn seit Wurzelspitze nicht mehr richtig online ist kann man diese Gedanken auch mal offener äußern.

            Auf deine Frage wer es in Berlin so wie in Würzburg macht ist einfach.
            Denn Würzburg ist ein super Zahnunfallzentrum aber kein Zahntransplantationszentrum.

            Es gibt im deutschsprachigen Raum so richtig nur Basel – das ist schade.

            Warum immer der Vergleich mit den eigenen Kindern?
            Wenn der Patient nicht nach Basel fahren kann dann ist der Vergleich wieder hinfällig. Ich würde auch nach Basel oder Rotterdam fahren.

            Rotterdam transplantiert 200 Zähne im Jahr – ein Team aus niedergelassenen Kollegen. KFO, PA, Endo, Kons

            Weiß jemand wieviele Zähne Basel im Jahr transplantiert?

            gruß Georg

          • Du hast geschrieben, das es ein Experiment wäre. Dann solltest Du das auch als lautes Denken bezeichnen, denke ich. Daher der Vergleich mit den eigenen Kindern.

            LGJ

  4. Super Fall Jörg und toll dokumentiert.
    Das Lesen entsprach dem Spannungsbogen eines sehr guten Krimis.
    Solche Falldokus zu sehen ist großes Kino und hilft mir ebenfalls täglich weiter.
    LG

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