Tiefe Gabelung mit 90 Grad nach distal

von Jörg Schröder

Die im Vorfeld der Behandlung mehrwurzeliger Zähne angefertigten DVT tragen in aller Regel zu meiner Entspannung bei. Die zu überwindenden Hürden können im Vorfeld visualisiert und die ideale Vorgehensweise kann vor Behandlungsbeginn erdacht werden.

Somit reduziert sich das in früheren Jahren häufiger erlebte Überraschungsmoment und der oftmals damit verbundene Stress.

In diesem Behandlungsfall war es genau umgekehrt. Das Wissen um die in der distalen Wurzel des 46 nach einer 90 Grad nach distal verlaufenden Krümmung noch auf mich wartende Aufgabelung erhöhte mein Stresslevel enorm. Wird es möglich sein, die Aufgabelung mit vorgezogenen Handinstrumenten zu instrumentieren? Wie hoch ist das Risiko einer Instrumentenfraktur? Werde ich in der Lage sein, diese Kanalstrukturen zu obturieren?

Im Notdienst war Zahn 46 trepaniert und mit einer Ledermixeinlage versehen worden. Seitdem bestanden keine Beschwerden mehr. Vor der Applikation des Kofferdams musste der Zahn zunächst in bewährter Weise nach Entfernung der Krone und relativer Trockenlegung (Faden und Teflonband zur Verdrängung der Gingiva) mittels hochviskösem Komposit präendodontisch aufgebaut.

Die weit linguale Lage der mesialen Kanalsysteme und das weitere „Auseinanderdriften“ auf dem Weg nach apikal, war im axialen Schnitt sehr gut zu erkennen, sodass das Auffinden der wirklichen Kanaleingänge mittel Munce-Bohrern unproblematisch verlief.

Schon das klinische Bild (ein nicht mittenzentriert gelegener distaler Kanaleingang) ließ ein zusätzliches, weiter lingual gelegenes, distale Kanalsystem vermuten.

Um im Bereich der tiefen Aufgabelung keine Stufe zu setzen, wurde die Strecke bis zur Aufgabelung im DVT ausgemessen und der gemeinsame apikale Kanalabschnitt in D bis 0,5 mm vor der Aufgabelung bis 35/06 erweitert. Die Versuche, die apikalen Kanalanteile mittels vorgebogenen Reamern der ISO-Größe 008, waren alle erfolglos. Daher wurde die Spüllösung nach der Aufbereitung der mesialen Kanalsysteme in mehreren Zyklen laserunterstützt aktiviert. Dabei war nach dem dritten Spülzyklus eine geringe Blutung aus der Periapikalregion des Kanalsystems zu beobachten, die nach dem vierten Spülzyklus sistierte. Da bei initialer Instrumentierung in allen Kanalsystemen noch Reste vaskularisierten Gewebes vorhanden waren, nahm ich daher an, dass die nach dem letzten Spülen sistierende Blutung als Zeichen zu werten sein könnte, dass die in der tiefen Gabelung vorhandenen Gewebeanteile herausgelöst werden konnten. Und hoffte.


Darauf, dass es mit dem, bei der warmen vertikalen Kompaktion entstehenden, hydraulischen Druck gelingen würde, die Aufgabelung zu füllen. Und es scheint gelungen zu sein.

Hätte es auch mit nochmals wiederholten Eddy-unterstützten Spülungen gelingen können? Vielleicht. Klinisch beobachte ich jedoch immer wieder, dass in geometrisch kniffeligen Situationen (Aufgabelungen oder Konfluationen) die laserunterstütze Spüllösung den Unterschied macht. Evidenz? Null. Naja, zumindest sehr geringe, wenn überhaupt.

Der jüngste Artikel im IEJ zu diesem Thema aus dem März 2019 (International Endodontic Journal, 52, 1210–1217, 2019 1215) kommt beim Vergleich verschiedener Aktivierungsmethoden in Relation zur erzielten Penetrationstiefe der Spüllösung ins Dentin zu folgender Schlussfolgerung:

Conclusion: Thorough irrigation of straight, large canals in extracted teeth with simple root canal geometries enabled penetration in coronal and middle sections but faced limitations in apical areas. Activation of irri- gants increased penetration depths apically, where PIPS was associated with segments of deeper penetration, followed by EDDY and PUI. SWEEPS, on the other hand, did not show benefits compared even to manual dynamic activation.

Und ja, PIPS ist nicht gleich LAI, aber das Grundprinzip die gesamte Spüllösungssäule im Kanal mit im Vergleich zu ansatzgestützten Methoden (Eddy, PUI) sehr geringer Dämpfung zu aktivieren, ist beiden Verfahren gemein.

8 Gedanken zu „Tiefe Gabelung mit 90 Grad nach distal

  1. Als zur Zeit “ Leo Lausemaus Hörspiel Gepeinigter“ ( alle mit kleinen Kindern wissen was ich meine) war der Hinweis auf das PIPS und Sweep ein Segen, „es erwärmte mein Herz “ nach all den ablehnenden Haltungen überall dazu in letzter Zeit doch mal positive Stimmen zu hören…

    • SWEEPS hat im diesjährigen Artikel im IEJ ( Vergleich Eddy, PUI, PIPS und SWEEPS) am schlechtesten abgeschnitten. Und PIPS habe ich nicht eingesetzt. Das kann man nur mit Fotona. Ich bin nur von LAI angetan. Ob es am Ende den Unterschied macht? Dazu müsste derselbe Zahn zweimal existieren und dann durchläuft man absolut identische Protokolle und schaut was raus kommt. Also bleibt immer ein dran glauben übrig. Ich tu’s. LGJ

  2. Ich hatte in der jüngeren Vergangenheit bei abrupten Krümmungen immer häufiger folgendes Szenario: Gleitpfad lässt sich mit 10er Handfeile herstellen, danach gelingt die koronale Erweiterung mit 25.06 bis vor die Krümmung. Die mechanische Gleitpfadfeile (WaveOne Gold Glider) 15.06 schafft anschließend die Krümmung aber nicht. Wenn ich die Beiträge richtig lese, nutzen Sie ProFile und Hyflex (EDM?) für sowas. Können Sie mir ganz kurz das Vorgehen erläutern? Vielen Dank!

  3. Im beschriebenen Fall ist es mir auch nicht gelungen den apikalen Abschnitt zu instrumentieren. Das lag in erster Linie daran, dass es an der Krümmung auch noch eine Aufgabelung gab. Wenn es nur ein Kanal ist, der sich abrupt um die Ecke bewegt, nutze ich nach vorgebogener ISO 008 und 010 manchmal die 012,5 bzw. 012 ISO vorgebogen, um dann, je nach Weite vor der Krümmung, mit 015 (wenn sehr eng) oder ProTaper Handfeile S1 (17,0 an der Spitze aber dann schön konisch) zu erweitern. Dann die S2 ProTaper Hand vorgebogen (20’er Spitze, aber getapert).

    Dann sollte die HyFlex 15/04 um die Ecke gehen. Dann HF 20/04 und jetzt wieder in Abhängigkeit der Weite vor der Krümmung entweder die HF25/04 gefolgt von 20/06 HF oder sofort die 20/06 HF. Je länger die Strecke nach der Krümmung um so eher tendiere ich zunächst die 4’er Taper HF zu nutzen. Die 6’er Taper immer eine Größe kleiner als die zuvor benutze Taper 4 Feile. Also die 25/06 erst, wenn die 30/04 auf AL war. Variable Tip-Variable Taper hieß dieses Vorgehen früher bei den K3-Instrumenten.

    Wenn es s-förmig und eng ist erweitere ich zunächst mit ProFile 15/04, 20/04, 15/06 bis 0,5 bis 1mm vor den Beginn der Krümmung. Dann versuche ich wieder mit der 15/04 etwas weiter zu kommen. Gelingt es, dann 15/04, 20/04 und 15/06 PF auf Arbeitslänge. Altmodisch, ich weiß, aber ich habe ein Gefühl für diese Feile entwickelt, sodass ich häufig die Feile entferne, wenn sie sich bereits leicht aufgedrillt hat. Frakturen sind extrem selten. Allerdings tausche ich insbesondere 15/04 und 15/06 häufig aus, wenn ich ein komisches Bauchgefühl habe. Gelingt das nicht, oder denke ich schon gleich zu Beginn es geht nicht, nehme ich entweder Pathfiles 13, 16, 19 und dann die 15/04 PF und danach wie eben beschrieben, oder auch gerne die Gleitpfadfeile von HyFlex 15/1, 15/2 dann 20/2. Danach 15/04 ProFile. Wenn extreme Krümmung vorhanden nach 20/02 HF die 15/04 HF. Ich versuche zu vermeiden, dass die Feile auf voller Länge wandständig arbeiten muss. Wenn ich mit HF 20/04 auf AL gekommen bin ist der Kanal kein Problem mehr. Also ProFile um Patency zu erzielen, wenn es obliteriert/eng ist. Da ich 95% Revisisonbehandlungen durchführen darf und Erstbehandlung selten sind, nutze ich initial fast immer nur ProFile bis 20/04. Bei Erstbehandlung und eng/Krumm gerne Pathfiles oder HF Gleitpfadfeilen.

    In engen Kanälen, die stark gekrümmt sind mit langer Strecke nach der Krümmung geht die HF25/06 sicher. Die 30/06 kann dann allerdings fakturieren. Dann eben nur bis 30/04 und Schall, Ultraschall und Laseraktivierung der Spüllösung.

    Ansonsten empfinde ich die HF 30/06 und 35/06 als sehr angenehm bei moderaten Krümmungen bis 35 und 40 Grad. Schnittfreudig und recht masshaltig.

    Also eine Vielzahl von Optionen, die ich nutze. Bis auf die ProFile Anfangssequenz aber kein betoniertes System.

    LGJS

    P.S. Ich weiß, es war nicht kurz. ;)

  4. Noch vergessen. Auch die 15/02, 20/02 und 25702 und 30/02 ProFile sind erstaunlich flexibel. Diese nehme ich auch gerne, um Platz für die HyFlex 15/04 oder 20/04 zu schaffen. Grundprinzip bei eng und krumm aber immer. Taper 04, 04 und dann einen Durchmesser kleiner für den Taper 06.

  5. Wie appliziert man einen „Kofferraum“? ;-)
    Starker Fall und gute Tipps für mich dabei gewesen!
    Eine Frage noch: DVT bei Molaren (auch in der Erstbehandlung) generell immer bei Ihnen?
    Grüße
    CM

    • Danke für die Autokorrektur-Korrektur.
      Zur DVT-Frage: mittlerweile ja. Weil ich über die Jahre (wir sind seit März 2011 dreidimensional unterwegs) gelernt habe, im 2D Bild mögliche Problemzonen zu erkennen. Hier z.B. den Umstand, dass die Kanalstruktur im distalen Kanal apikal „verschwindet“. Hinzu kommt, dass das DVT wichtige Hinweise gibt, die sonst nur zu erfahren bzw. zu erfühlen sind. Mit allen damit verbundenen Risiken.

      Z.B. die Art und der Verlauf der Krümmung der Kanalsysteme nach bukkal bzw. lingual. Häufig ist das mesiolinguale Kanalsystem das im Raum weniger gekrümmte und das mesiobukkale das häufig abrupt konfluierende. Also beginne ich bei konfluierenden Kanalsystemen mit dem weniger stark gekrümmten, um das konfluierende nur bis zur Konfluation aufzubereiten. So vermeide ich ein Instrument um starke Krümmungen herum bewegen zu müssen. Das DVT beeinflusst meine Strategieauswahl erheblich. Ich lege für mich vor Beginn der Behandlung fest, was ich in welcher Reihenfolge machen werden. Kein Zufallsprinzip oder Bauchgefühl mehr. Die Mitarbeiterin weiß welche Instrumente zum Einsatz kommen werden. Das läuft dann erheblich vorhersagbarer. LGJS

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