Sensibilitätsstörung nach Initialbehandlung

von Jörg Schröder

Endodontische Notfallbehandlungen führen nicht immer zum vollständigen Abklingen der bestehenden Beschwerden. Eine der häufigsten Gründe ist dabei die nicht vollständige chemo-mechanische Aufbereitung bei der initialen Behandlung. Direkt gefolgt von koronalem Leakage, dass nicht immer in Form eines insuffizienten Restaurationsrandes oder einer unbehandelten Karies vorliegen muss. Es reicht auch eine Infraktur mit Kontakt zum Pulpakammerhohlraum.

In nachfolgendem Fall kamen beide Ursachen zum Tragen. Der die distale Randleiste des Zahnes 47 bis kurz zum Kanaleingang  durchziehende Haarriss kann als Eintrittspforte der bakteriellen Kontamination angesehen werden, da der Zahn bis zum Auftreten der Beschwerden vollkommen restaurationsfrei war.

14 Tage vor der Erstvorstellung in unserer Praxis erfolgte im Notdienst die Trepanation des 47 und eine medikamentöse Einlage. Die Zugangskavität war mit Cavit verschlossen worden. Das okklusale Relief blieb unverändert. Nach anfänglicher Besserung traten nach einigen Tagen erneut Aufbissbeschwerden auf.

Zum Beratungstermin, einem Freitag, wies der Zahn eine deutliche Perkussionsempfindlichkeit, jedoch keinerlei palpatorische Druckdolenz auf. Die Beweglichkeit war gering erhöht. Die Sensibilität im Bereich des rechten Unterkiefers war normal. Das präoperativ erstellte DVT ließ einen deutlichen Abstand der Apizes des 47 zum N. alveolaris inferior erkennen.

Um einen zeitnahen Behandlungstermin zu ermöglichen, wurde der Tagesplan des folgenden Montags durch Umorganisation so verändert, dass ein ausreichendes Zeitfenster für eine suffiziente Erstbehandlung (adhäsive Versorgung des Haarrisses, okklusale Umgestaltung mit Beseitigung exkursiver Frühkontakte und Reduktion der Kontakte in IKP, sowie vollständige chemo-mechanische Aufbereitung) zur Verfügung stand.

Zum Behandlungstermin hatte sich die Situation jedoch dramatisch verändert. Vom rechten Mundwinkel bis hin zur Mitte der Unterlippe und hinab bis zum rechten Kinn bestand 4 Tage nach der Erstvorstellung eine vollständige Anästhesie, die auf eine akute Exazerbation der apikalen Parodontitis zurückzuführen war.

Sensibilitätsstörungen, die auf eine akute endodontische Infektion zurückzuführen sind, habe ich ausschließlich im Bereich des N. mentales und/oder des N. alveolaris inferior vorgefunden. Angesichts der knöchernen und nicht ausdehnungsfähigen Umgebung dieser Strukturen kann eine Volumenzunahme durch entzündlich bedingtes Exsudat offensichtlich die Minderung oder den vollständigen Verlust der Sensibilität im betroffenen Gebiet nach sich ziehen.

Um bleibende Schäden der betroffenen nervalen Strukturen zu verhindern, ist ein rasches (Be)Handeln geboten. Neben der vollständigen Aufbereitung und bestmöglicher Desinfektion der Kanalsysteme der verursachenden Zähne verordne ich immer eine begleitende systemische Antibiose.

Wichtig erscheint mir zudem, die genaue Ausdehnung der betroffenen Areale zu erfassen und zu (foto)dokumentieren. Dazu benutze ich zwei gerade zahnärztliche Sonden, die ich mit zwei Händen in spitzem Winkel über die Haut führe. Eine Sonde auf der nicht betroffenen und eine Sonde auf der betroffenen Seite. Sobald die Sensiblitätsstörung  wahrgenommen wird, wird mit einem Faserschreiber (nicht wasserlöslich) ein Punkt markiert. Von nun an genügt eine Sonde, die in gleicher Weise über das betroffene  Gebiet geführt wird. Dabei ist wichtig, sich vom sicher normal sensiblen ins Richtung des sensibiltätsgestörten Areal zu bewegen. Sobald die Einschränkung wahrgenommen wird (mehrfaches Wiederholen verschafft Sicherheit) erfolgt die nächste Markierung. Auf diese Weise hat man nach maximal 5 Minuten die Ausdehnung der Störung erfasst und kann diese fotodokumentieren. Eine Einschätzung der Remission der Sensibilitätsstörung fusst somit auf leicht reproduzierbaren Befunden.

Im vorliegenden Fall zeigte sich bereits 8 Tage nach meiner ersten Intervention eine deutliche Verkleinerung des betroffenen Areals. Zudem hatte sich die vollständige Anästhesie in eine Hypästhesie umgewandelt. Interessante Randnotiz: bei allen derartigen Behandlungsfällen dauerte die Remission der Störung im Bereich des Überganges inneres zum äusseren Lippenrot und hier besonders im Mundwinkelbereich am längsten.

Die Obturation der Kanalsysteme erfolgte erst, nachdem der Patient 4 Wochen nach dem ersten Termin in unserer Praxis das vollständige Abklingen der Sensibilitätsstörungen telefonisch berichtet hatte.

Ein, vor allem für den Patienten, mehr als erfreulicher Behandlungsverlauf.

Vergleiche ich die präoperativen Bilder mit den postoperativen Bildern, muss ich jedoch kritisch anmerken, dass der letztlich resultierende Hartsubstanzdefekt erheblich ist. Radiologisch täuscht zwar die zweidimensionale Betrachtung, da die bukkale und linguale Wand vollständig erhalten sind, angesichts der Unversehrtheit vor Behandlungsbeginn ist der Substanzabtrag ein Wermutstropfen in der ansonsten erfolgreichen endodontischen Behandlung.

2 Gedanken zu „Sensibilitätsstörung nach Initialbehandlung

  1. Schöner Fall, danke für die schöne Doku.
    Lag zum Zeitpunkt der Anästhesie begleitend eine Schwellung vor, evtl. im Mundbodenbereich? Oder sonst andere Beschwerden, Schluckstörungen o.Ä.?
    Was ist denn Ihrer Meinung nach die Ursache für den Harrriss? Bruxismus? Aufbisstrauma?

    • Nein, trotz lingualer Lage der Aufhellung gab es keine palpatorische Druckdolenz. Auch Schluckbeschwerden wurden nicht beobachtet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die innigen Okklusionsbeziehungen eine Rolle gespielt haben. Hinzu kommt ein tiefes Relief der Kaufläche. Das reicht aus, um über Jahre die Infraktur zu befördern.

      Lgjs

Kommentar verfassen