Trauma-Erstversorgung – Wunsch und Wirklichkeit

von Ronald Wecker

Zwei Fälle von dieser Woche die einen ins Nachdenken bringen und mir exemplarisch für den Zustand der Trauma-Erstversorgung in unserem Land zu stehen scheinen.

Fall1:

Zustand 7 Wochen nach Fahrradunfall und chirurgischer Versorgung in einer Universitätsklinik. Vollständige Fraktur des Unterkiefers in Regio 31 mit Avulsion des Zahnes 31, Längsfraktur des Zahnes 15 (dieser wurde am Unfalltag entfernt) sowie einer Reihe unkomplizierter Kronenfrakturen im Front- und Seitenzahnbereich beider Kiefer. Die Reposition der Fragmente erscheint nicht vollständig gelungen zu sein.

Klinisch imponiert ein knöcherner Sequester im Bereich des avulsierten Zahnes 31.

Auf Nachfrage berichtet der Patient, dass es vor einem Tag eine Nachkontrolle gegeben hatte. Seine Frage was denn mit dem Sequester geschehen müsse wurde mit einem “da muss sich Ihr Zahnarzt kümmern” beantwortet. Da war selbst ich sprachlos.

Auf die Versorgungsnotwendigkeit der multiplen unkomplizierten Kronenfrakturen mit zum Teil erheblichen Dentinfreilegungen ist zu keiner Zeit hingewiesen worden. Eine regelmässige Sensibilitätskontrolle der teilfrakturierten Zähne erfolgte nicht.

Fall 2:

9-jährige Patientin nach komplizierter Kronenfraktur an 21 vor ca. 8 Monaten. Die Erstversorgung in einer auf Kinderbehandlung spezialisierten Praxis erfolgte noch am Unfalltag: Inhomoge Obturation mit Extrusion in den Periapikalbereich und dentinadhäsiver Aufbau.

Seit 2 Wochen zeigt sich eine bukkale Fistelung, die 9mm tief verfolgbar ist. Radiologisch imponiert eine lateral der Wurzel gelegene Aufhellung.

Die den Eltern alio loco gegebene Therapieempfehlung lautet: Wurzelspitzenresektion.

Wünschenwert wäre, wenn die Kenntnise über eine adäquate Erstversorgung nach traumatischen Zahnverletzungen und die in der Folge durchzuführenden Behandlungsmassnahmen eine größere Verbreitung erfahren würden. Der hier schon mehrfach erwähnte DentalTraumaGuide ist eine der einfachsten Möglichkeiten sich zu auf den aktuellen Wissenstand zu bringen.

Die Wirklichkeit sieht – leider- anders aus.

4 Gedanken zu „Trauma-Erstversorgung – Wunsch und Wirklichkeit

  1. Gespräche mit Kollegen über ähnliche Erfahrungen zeigen eher, dass das wirklich Alltag ist, bedingt z.B. teilweise durch Sparzwänge (zu wenig Personal mit zu viel Arbeit, schlechte Organisation, “Frischlinge” aka überforderte unerfahrene Assistenten etc.) oder falsch verstandene Vorgehensweisen (und/oder bereits überholt).

    Was mich in diesem Zusammenhang immer depremiert: warum gibt es in den großen Städten nicht in den großen Krankenhäusern einen 24h Notdienst wo IMMER ein ZAHNARZT und ein KIEFERCHIRURG vorhanden ist, die sich mit nichts anderem als derartigen Fällen beschäftigen, oder wenigstens speziell auf dem Laufenden halten? Klar, Geldzwänge und vielleicht ist manchmal kein Patient da (was ja vorzuziehen wäre!), aber dieses Getingel der Patienten zu Ihrerm Hauszahnarzt der gerade bis zum Ellenbogen in einer Ost steckt weil der Zahn bei der Ex frakturiert ist, wird durch diesen neuen Schmerzpatienten nicht entspannter und der Patient muß warten – und in wie vielen Fällen sagt der Arzt dann nach Begutachtung, dass der Patient doch ins Klinikum muß… Hier bei uns hat im größten Krankenhaus entweder ein MKGler oder HNOler Dienst – oder keiner. Nicht vergessen werde ich den Tag wo eine 83 jährige Patientin mit ordentlichem mandibulärem Abszess in die Praxis geschlichen kam – und einen Überweisungsschein des örtlichen Klinikums mit der Bitte um Behandlung in der Hand hielt. Keine Trep der fraglichen Zähne, keine Inzision. Klar kann die Patientin zur falschen Zeit im richtigen Ort gewesen sein, aber wenn ich wie bei einem anderen Patienten mit einem Fossa canina Abszess ( mit druckdolenter V. angularis und massiv geschwollener Infraorbitalregion) auf meine Behandlungsanfrage die Antwort “der Patient soll morgen 1500h kommen,heute ist grad keiner da ” (es war Montag 1300h), dann zweifelt man schon etwas… Warum sollte es in der Praxis draußen also anders sein? Klar, wir haben alle das Bestreben das Beste für unseren Patienten zu tun, und handeln nach bestem Wissen und hoffentlich auch Gewissen, aber wir sind alle nur Menschen. Genau deshalb bin ich so froh über den Dental Trauma Guide, weil ich als Mensch Fehler mache – und lieber nochmal meine Therapie doppelt überprüfe. Was noch ein netter Nebeneffekt von dem Guide ist: man kann sich kurz vor dem Rechner (vorzugsweise im Büro) sammeln und von dem emotionalen Achterbahn runterkommen wenn man gerade ein verunglücktes Kind gesehen hat…

    In dem Sinne einen schönen Freitag.

  2. Jörg, wie lautet Deine Diagnose für den 2. Fall von Ronald?
    PAC wegen insuff WKB und WF? Fraktur? Lag da eine Dislokation vor oder täuscht das Bild?
    HG Stefan

    • Inhomogene vermutlich kontaminierte WF mit symptomatrischer chronischer apikaler Parodontitis. Klinisch gab es laut Ronald keine Anzeichen für eine Fraktur. Unter Umständen gibt es auf der Höhe entweder einen Riss oder aber einen hohen Seitenkanal. Der Zahn ist laut Patient und Eltern nicht gelockert gewesen. Da der Zah vollständig aus Komposit aufgebaut ist und das Fremd-Rö aus dem März den Zahn in gleicher Position zeigt glaubt Ronald und ich auch an eine Fehlstellung.

      LGJ

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