von Bonald Decker
…die “richtige” Position” des Instrumentes erkennen…
So, oder so ähnlich wird bei “Wurzelbehandlungen” damit “argumentiert”, dass während der Therapie auf eine Lokalanästhesie verzichtet werden “muss”.
Auch auch WURZELSPITZE sind befürwortenden Kommentare dieses Procedere nicht unbekannt. So hieß es dort in der Vergangenheit u.a.:
“Ich sehe immer wieder zentimeterweise über den Apex hinausgeschobene Guttapercha-Points – da dürfte vorher auch ein Aufbereitungsinstrument den Weg gebahnt haben. Ohne LA kaum vorstellbar, dass das ohne Reaktion des Patienten bliebe.”
Als exemplarisches Gegenbeispiel möchte ich nachfolgenden Fall vorstellen. Die Wurzelkanal”füllung” erfolgte laut Patientin ohne Anästhesie, da der Behandler an ihrer Reaktion (in/an den Augen) sehen wolle, ob er “am Ziel” sei…
gemerkt habe sie bei der WF “schon was”, aber richtig schmerzhaft sei es nicht gewesen…
auch wenn dies nur ein Fallbeispiel darstellt verdeutlich es doch, dass auch die Technik der –Arbeitslängenbestimmung anhand der Patienten(schmerz)reaktion– alles andere als fehlerfrei ist…
Hier noch einige 3D-Impressionen der Situation:
https://wurzelspitzeintern.files.wordpress.com/2015/08/pohl-fotoii.jpg
In diesem Beitrag geht es mir darum zu verdeutlichen, dass keine der verfügbaren Techniken zur Bestimmung der Arbeitslänge vollkommen fehlerfrei ist. Nur eine Kombination aus unterschiedlichen Verfahren (z.B. endometrische Längenbestimmung, radiologische Aufnahmen…) liefert die höchste Messgenauigkeit für unsere Patienten. Deren Schmerzsensation als alleiniges Kriterium heranzuziehen scheint keine ausreichend valide Methode zu sein…
P.S.: Das palatinale Fragment misst 16 mm
” An den Augen des Patienten erkenne ich ob ich die richtige Arbeitslänge hatte – und der Patient an meinen wenn ich total daneben lag”… :D…
Wir müssen uns klar darüber sein, dass wir IMMER zu kurz oder zu lang aufbereiten und füllen, und es wäre unrealistisch zu denken wir sind genau richtig. Stattdessen ist es immer ein Kompromiss, aber sowas wie in diesem Fall würde ich als fahrlässig einstufen. Wurde kein Kontrollbild nach der WF gemacht? Sind das normale Guttaperchas oder Titanpins? Ich habe mich nie getraut auf ein Kontrollbild zu verzichten – mal abgesehen davon das ich als Zahnarzt auch eine visuelle “Belohnung” für meine Arbeit haben möchte (die Belohnung des Behandlungserfolges kommt erst in 10-20 Jahren)…
Au weh, ich scheine mit meinem damaligen Kommentar offenbar weit transapikal im Entzündungsgewebe herumgestochert und Empfindlichkeiten chronifiziert zu haben (Sorry, das Bild passt einfach zu gut).
Bezüge:
https://wurzelspitze.wordpress.com/2014/10/29/vertrauensbildende-masnahmen-in-der-endodontologie-ii-behandlung-von-unterkiefer-inzisivi/
https://wurzelspitze.wordpress.com/2015/01/28/vertrauensbildende-masnahmen-in-der-endodontologie-ii-behandlung-von-unterkiefer-inzisivi-ii/
Zunächst stört es mich, wenn mein Zitat recht nahe bei einem “muss” steht – ich habe das nie so apodiktisch ausgedrückt, im Gegenteil darauf hingewiesen, dass die Lokalanästhesie bei der endodontischen Therapie regelmäßig benötigt wird. Ein “muss” (offensichtlich wird das als etwas Böses angesehen) sehe ich viel eher auf Ihrer Seite: Unabhängig von der lokalen (und auch systemischen?) Situation wird für jede Wurzelkanalbehandlung eine Lokalanästhesie gefordert, eine differenzierte Behandlung wird grundsätzlich abgelehnt. Wenn das kein “muss” ist.
Und es stört mich, wenn suggeriert wird, dass ich den Verzicht auf die Lokalanästhesie allein mit der Längenbestimmung begründen würde. Das ist nicht meine Meinung, und ich möchte diese Unterstellung hier scharf zurückweisen.
Naja, und ernsthafte Überlegungen, die das Patientenwohl im Auge haben, meines Erachtens auch wohl begründet sind und zB auch von ausgewiesenen Endodontologen vertreten werden, als “Argumente” durch das Umschließen mit Anführungszeichen herabzuwürdigen, ist nicht gerade die feine englische Art.
Ich möchte – wie für meine anderen Behandlungen auch – eine Indikation haben, zumal für eine invasive Behandlung. Ich sehe einfach nicht die Notwendigkeit einer Lokalanästhesie sowie die Hinnahme der mit ihrer Anwendung einhergehenden (potentiellen) Komplikationen in den Fällen, in denen die vorherige klinische und radiologische Diagnostik mit großer Sicherheit eine deutliche apikale Parodontitis mit (großer) Osteolyse erkennen läßt.
Dass eine Osteolyse keine Schmerzfreiheit garantiert bei der Aufbereitung, in einem Parallelblog (https://wurzelspitze.wordpress.com/2015/01/28/vertrauensbildende-masnahmen-in-der-endodontologie-ii-behandlung-von-unterkiefer-inzisivi-ii/) wird dies “insbesondere bei mehrwurzligen Zähnen” angeführt: auch das habe ich nie bestritten. In der ursprünglichen Diskussion ging es dazu um einwurzlige Zähne. Unterschiedliche Situationen in den Wurzeln mehrwurzliger Zähne sind mir nach 30 Jahren Poliklinik nicht gänzlich unbekannt. Selbstverständlich beziehe ich die Osteolyse auf die jeweilige betroffene Wurzel und schließe nicht von einer Osteolyse an einer Wurzel auf die Gesamtheit des Endodonts. Zu suggerieren, mir wäre diese Problematik nicht geläufig, das ist schon starker Tobak.
Ja, ich weiß auch um die relativ geringen Komplikationsraten im Zusammenhang mit der Lokalanästhesie:
Trotzdem sind sie existent, und ein “Weglachen” (Pardon, ich bin gerade etwas echauffiert) derselben wird meines Erachtens der Problematik nicht gerecht. Ja, Todesfälle sind wirklich sehr selten im Zusammenhang mit Lokalanästhesie, aber es gibt sie. Das hat nichts mit Angst machen zu tun. Und es muss ja auch nicht ein Todesfall sein, der zum Nachdenken anregen sollte: Immerhin wird in den Ländern, in denen Articain erst seit kurzem verwendet wird (Articain ist nur in Deutschland so lange und so verbreitet im Einsatz), dieses Lokalanästhetikum in Frage gestellt, weil seit dem Beginn der Anwendung die Komplikationsraten bezüglich Nervschädigungen offenbar drastisch zugenommen haben: man bringt das in Zusammenhang mit der Toxizität der höher konzentrierten Lösung (4% vs. 2%).
Ernsthafte Studien aus der Endodontie zu dieser Problematik fehlen völlig: Der Vergleich von Behandlungen mit und ohne Lokalanästhesie unter Berücksichtigung verschiedener Befunde/Diagnosen (apikale Aufhellung an der betroffenen Wurzel) und Schmerzsensationen, ggf. unter vergleichender Berücksichtigung der Angstentwicklung wird dann in der Diskussion schnell ersetzt mit “Angst verursacht mehr Komplikationen als Lokalanästhesie”, und es wird suggeriert, dass es die Angst vor dem Schmerz bei der Wurzelkanalbehandlung sei. Paradoxerweise wird gleichzeitig geschrieben, dass die Patienten mehr Angst vor der Lokalanästhesie hätten. Ja, was denn nun?
Zur Frage der schlechten Beleumundung der Wurzelkanalbehandlung: das resultiert nach meiner Ansicht aus den Schwierigkeiten, eine partiell nekrotische Pulpa/eine Pulpitis behandeln zu müssen, aber nicht aus der Wurzelkanalbehandlung vollständig nekrotischer Endodontien. Statt mit einer ohne LA schmerzfreien WKB den Patienten zu demonstrieren, dass WKB nicht gleichzusetzen ist mit Schmerz, wird das Fehlwissen zementiert.
Und wer eine Lokalanästhesie so hinbekommt, dass er ein Lob erhält (“die beste Lokalanästhesie die ich je beim Zahnarzt bekommen habe. Ich habe (quasi) nichts gespürt.”), der wird sich doch nicht im Wurzelkanal wie ein Berserker aufführen und dem Patienten auch bei Restvitalität im Kanal so drastische Schmerzen zufügen, dass dieser trotz dann durchgeführter Lokalanästhesie “voller Angst” auf die nächste Schmerzsensation wartet. Oder gibt es Vorschriften, Erfordernisse, Notwendigkeiten, dass eine WK-Nadel nicht mit viel Gefühl peu à peu bis zum Apex geführt wird, sondern in Sekundenbruchteilen ohne Rücksicht auf Patientenwohl in den Kanal hineingetrieben werden muss?
Nun, der obige anekdotische Fall beweist doch lediglich:
1. Diese Patientin hat etwas gespürt.
2. Der Schmerz war offensichtlich nicht so schlimm, dass die Patientin eine LA gebraucht hätte: Das entzieht der Argumentation pro LA jegliche Grundlage. Es sei denn, man definiert diesen Fallbericht als irrelvant und untypisch. Das müßte dann aber auch vice versa gelten: irrelevant für die Argumentation im Sinne des Autoren…
Doch nochmal zurück zu 1): Damit bestand zumindest die Chance einer adäquaten Reaktion. Nur ist das Empfinden der Patientin ignoriert worden: entweder von ihr selbst (“ein Indianer kennt keinen Schmerz”) – dann ist sie von ihrem Behandler nicht ausreichend vorbereitet worden. Oder vom Behandler, so wie er offensichtlich auch die Ergebnisse der Längenmessungen (oder auch die Notwendigkeit der Längenmessungen) ignoriert hat.
Damit stellen sich interessante Fragen: kann man aus einem Fehlverhalten, dokumentiert an einem Einzelfall, eine Methode als falsch oder unnötig kritisieren? Und noch viel interessanter: Welche der Methoden? Offensichtlich hat ja die Längenbestimmung vollständig versagt! Verzichten wir aufgrund dieses Fallberichtes also auf das Röntgenbild, weil es ja offensichtlich nichts gebracht hat?
Unstrittig dürfte jedoch sein: Mit LA besteht überhaupt keine Chance auf Reaktion.
Aber vielleicht darf ich auch Anekdoten anführen, Anekdoten, wie sie regelmäßig anfallen in unserer Poliklinik. Ich hatte nur bisher keinen Wert darauf gelegt, dies regelhaft zu dokumentieren: nach Frontzahntrauma ist es häufig notwendig, eine Wurzelkanalbehandlung an einem oberen Schneidezahn durchzuführen. Regelmäßig zeigen sich die meist betroffenen jungen Patienten ausgesprochen ängstlich bis phobisch in der Erwartung einer “Spritze”. Und die Oberkiefer-Front gilt ja gemeinhin als besonders schmerzempfindlich. Trotz aller Vorsicht und Bemühungen unter Ausnutzung aller Tricks und psychologischer Führung (glauben Sie mir ruhig, dass ich da Einiges drauf habe: die Transplantation von Zähnen in LA bei 7-12-Jährigen ist eine sehr gute Schule) ist eine Lokalanästhesie dort immer ein wenig autschig… Die Situation entspannt sich sofort, wenn ich erkläre, dass eine Spritze nicht nötig ist, da ja das Zahninnere schon tot und damit unempfindlich ist.
Meine Präferenz sieht daher so aus (so polemisch-provokativ wie das Beispiel hier:
https://wurzelspitze.wordpress.com/2015/01/28/vertrauensbildende-masnahmen-in-der-endodontologie-ii-behandlung-von-unterkiefer-inzisivi-ii/):
“Herr Doktor (oder ggf. auch Herr Pohl, manchmal auch: Du), ich habe von einer Spritze überhaupt gar nichts gespürt. Weil ich keine brauchte und Sie mich nicht dazu gezwungen haben. Auch Ihre Behandlung war sehr einfühlsam. Ich habe mich sehr gut aufgehoben gefühlt und hatte während der Wurzelbehandlung…
a) [reife Zähne]
a1) … gar nichts gespürt.
a2) … eine ganz leichte Empfindung gespürt. Sie hatten mich vorher instruiert, und mit meinem erhaltenen Gefühl und Ihrem vorsichtigen Behandeln konnte bei einer radiologisch nicht erkennbaren Normvariante – das Foramen apikale lag hinter der Wurzelspitze, der Kanal war 1mm kürzer als das Röntgenbild vermuten ließ – trotzdem eine korrekte Wurzelkanalfüllung gelegt werden, ohne Austritt von Sealer.
b) [unreife Zähne] … nur einmal ein ganz klein wenig gespürt, aber viiiiiiel weniger als die blöde Spritze, die ich beim letzten Mal bekommen musste. Das war auch kein richtiger Schmerz, sondern so ein etwas anderes Gefühl. Ich bin nicht eingeschlafen, weil Sie mir gesagt haben, dass es wichtig ist, diese Stelle zu finden, an der ich beginne, etwas zu spüren – und dass Sie sich dafür auf mich verlassen können müßten. Damit Sie nicht den ganzen Nerven aus dem Zahn entfernen müssen, sondern nur so weit, wie er wirklich tot ist. Weil dann meine Zahnwurzel noch weiter wachsen kann.
Ich werde allen meinen Freunden erzählen, dass man für eine Wurzelkanalbehandlung nicht immer so eine Spritze braucht, dann müssen die nämlich auch nicht so viele Ängste haben, die durch Horrorgeschichten von Freunden und Verwandten aufgebaut wurden und die durch die bisherigen unnötigen Spritzen verstärkt wurden. Danke, dass Sie meinen Zahn gerettet haben und mich nicht unnötig mit der Spritze gestochen und mit dem schrecklich bitteren Zeugs vollgepumpt haben.”
Warum ich Ihnen und mir das antue? Weil es wichtig ist. Für den Patienten. Für uns Zahnärzte. Für die Fortentwicklung. Weil es schwarze Schafe und andere Meinungen geben muss, weil sonst alles im Status Quo versumpft und hingenommen wird, was geändert werden sollte. Weil ich es langweilig finde, sich in einer Gruppe Gleichgesinnter nur auf die Schultern zu klopfen in gegenseitiger Bestätigung. Weil ich gerne diskutiere. Weil ich glaube, dass diese Gruppe hier auf sehr hohem Niveau behandelt und diskutiert und daher willens und in der Lage ist, Fragen und Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, adäquat zu beantworten. Und stark genug, auch grundlegende Kritik zu ertragen. Ich setze mich dem ja auch aus durch meine Wortmeldungen hier.
Eines liegt mir aber fern: jemanden persönlich anzugreifen. Manchmal ist das etwas schwierig, denn in einem solchen thread-System muss der eigene post ja als Antwort auf einen bestehenden post irgendwo eingefügt werden…
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