2D vs. Extraktion

von Sebastian Riedel

In der Regel dauert ein Termin zur endodontischen Beratung in unserer Praxis 30 Minuten:

Es werden die relevanten klinische Befunde erhoben, Röntgenaufnahmen angefertigt, die  für eine erfolgreiche endodontische Therapie notwendigen Massnahmen erläutert und abschliessend die Risiken der geplanten Therapie sowie mögliche Behandlungs-alternativen ausführlich besprochen.

Als sich dieser Patient vor zwei Tagen wegen Beschwerden in Region 26/27 vorstellte, ging es schneller.

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Laut Patientenaussage wurde 26 im Jahr 2001 resiziert, etwa zur gleichen Zeit, wurde an Zahn 27 eine Wurzelbehandlung durchgeführt. Seitdem schmerzt es im linken Oberkiefer immer wieder, vor allem nach der professionellen Zahnreinigung hat der Patient eine Woche andauernde, meist heftige Schmerzen. Seit 2001.

Klinisch konnte bukkal an 27 mit der PA-Sonde bis zum Apex sondiert werden, der Zahn war deutlich beweglich. Zur Beurteilung der Periapikalregionvon 26 und 27 wurde ein zweidimensionales Röntgenbild angefertigt.

Der Befund war so eindeutig, dass ich in meiner Erläuterung keinen Zweifel daran ließ, dass es keinerlei zahnerhaltende Maßnahmen gäbe; ich schlug die Extraktion vor.

Gestern konnte ich den Zahn entfernen, und eine Überraschung kam damit zum Vorschein: Schmerzen nach der Prophylaxe sind bei dem Befund nachvollziehbar, man erkennt sehr gut die durch die Bearbeitung der Wurzeloberfläche entstandene Mulde bukkal. Die Via falsa in dieser Ausprägung war im zweidimensionalen Bild überhaupt nicht zu vermuten !

Meine Ankündigung, der Patient werde mit großer Wahrscheinlichkeit nach Entfernung des Zahnes eine gesundheitliche Entlastung erfahren, war dann auch für ihn nachvollziehbar. Ein Gespräch mit dem seit Jahren behandelndem Kollegen bahnt sich an…

11 Gedanken zu „2D vs. Extraktion

  1. Liegen ältere Röntgenaufnahmen des Patienten vor? Eventuell entstand die Mulde primär durch Resorptionsvorgänge eines dahinter liegenden 8ers und die Perforation wurde während der späteren Wurzelkanalbehandlung (ohne Elektrometrie) leider nicht bemerkt. Wäre die Mulde durch die Prophylaxe (z.B. Scaler) entstanden, dann wäre sicherlich auch der Guttapercha durch die mechanische Bearbeitung abgetrennt oder zumindest über die Jahre hinweg stark beschädigt gewesen.
    Eine via falsa – in Form eines Aufbreitungsfehlers – würde ich hier jedoch nicht vermuten.

  2. Hallo Herr Riedel,
    ein interessanter Beitrag, und ein ungewöhnlicher Befund!
    Nach 4 Jahren stiller Beobachtung des Blogs nun aber mein erster Kommentar:
    Ich störe mich an der Formulierung: „mit großer Wahrscheinlichkeit nach Entfernung des Zahnes eine gesundheitliche Entlastung erfahren“?
    Hatte der Patient vorab den gesundheitliche Probleme? Und wenn ja, welche?
    Welche Labormedizinischen Parameter wurden vorab erfasst und welche verbesserten sich?
    Was bedeutet genau: „gesundheitliche Entlastung?“
    Und was: „mit grosser Wahrscheinlichkeit?“

    Warum geht der Patient 13 Jahre zum alten Zahnarzt, und erträgt Schmerzen? Ohne seine Probleme zur Sprache zu bringen?
    Ich schliesse mich hier meinem Vorkomentator an: „Wäre die Mulde durch die Prophylaxe (z.B. Scaler) entstanden, dann wäre sicherlich auch der Guttapercha durch die mechanische Bearbeitung abgetrennt oder zumindest über die Jahre hinweg stark beschädigt gewesen.“
    Wie exzessiv soll den den die Prophylaxe durchgeführt worden sein, um so einen Defekt zu erzeugen?
    Was heisst jetzt: ein Gespräch mit dem seit Jahren behandelten Kollegen bahnt sich an?
    Ich als Feld- Wald- und Wiesenzahnarzt finde, etwas mehr Contenance im Patientengespräch wäre manchmal durchaus angebracht.

    VG
    Christian Vöpel

  3. Ein interessanter Fall und ein seltsamer Befund.
    Aber ich als Feld- Wald- und Wiesenzahnarzt störe mich an der Formulierung:
    „mit großer Wahrscheinlichkeit nach Entfernung des Zahnes eine gesundheitliche Entlastung erfahren“
    Was bedeutet das?
    Haben Sie labormedizinische Parameter vorab erfasst?
    Hatte der Patient den gesundheitliche Probleme vorab?
    Oder haben Sie einfach ins Blaue hinein eine persönliche Meinung geäussert?
    Wie mein Vorkomentator bemerkte: Wäre die Mulde durch die Prophylaxe (z.B. Scaler) entstanden, dann wäre sicherlich auch der Guttapercha durch die mechanische Bearbeitung abgetrennt oder zumindest über die Jahre hinweg stark beschädigt gewesen.

    Warum erträgt der Patient 13 Jahre Schmerzen ohne seinen Zahnarzt darauf aufmerksam zu machen?

    Etwas mehr Contenance im Patientengespräch erscheint mir durchaus angebracht.

    VG
    Christian Vöpel

  4. Zur näheren Erläuterung: Der Patient wird das Gespräch mit dem Behandeler suchen, da die Entscheidung im Termin mit mir so klar und unmissverständlich (und richtig ausfiel), ich habe an der Aufklärung der Situation kein Interesse. Ich würde sicher nichts Bahnbrechendes erreichen.
    Der Patient äußerte Beschwerden in der Region auch nur beiläufig, während wir einen Termin für einen Röntgenrecall wegen einer anderen Situation hatten, die Vermutung, es habe mit 26 und der WSR zu tun, war für den Patienten ganz klar.
    Meine Diagnose ist die der apikalen Parodontitis an 27 aufgrund des Bildes. Die klinische Problematik der parodontalen Schädigung und Verbindung zum Apex macht den Zahn nicht erfolgreich behandelbar.

    Ich werde durch Einzelaufnahmen des Zahnes in Segmentschnitten noch zeigen, wo der Aufbereitungsfehler lag, ob eine Via falsa vorliegt oder die Resorption im Nachhinein die klinische Erscheinung verursacht – ich bekomme den Zahn nach dem klärenden Gespräch wieder vom Patienten!
    Danke für das Feedback!
    S.Riedel

  5. Sehr geehrter Herr Vöpel,
    ich finde es toll, dass Sie auf diesem Wege ihre Gedanken formulieren und ich die Gelegenheit bekomme, hierauf einzugehen und meine Äußerung zu konkretisieren.
    Ich bin überzeugt, dass Entzündungen in Form einer apikalen chronischen Parodontitis oder einer lokalisierten Parodontitis in Form einer sondierbaren Tasche eine gesamtkörperliche Einschränkung der Gesundheit darstellen, und aus diesem Grund eine therapiewürdige Diagnose darstellen. Mir fehlen als Endodontologen zwar die zugrunde liegenden allgemeinmedizinischen Beweise im konkreten Behandlungsfall, die in den letzten Jahren gesammelten, annekdotischen, Patientenschilderungen lassen aber darauf schließen, dass über die Vermittlung des Immunsystems vielfältige Reaktionen von den Patienten bemerkt werden, die auf eine Entlastung des Immunsystems mit Auswirkungen an anderen Stellen des Körpers ( rheumatoide Beschwerden, arthritische Beschwerden, Haut, Leistungsfähigkeit im allgemeinen) zurückzuführen sind.
    Das geht soweit, dass ein Patient nach multiplen endodontischen Revisionsbehandlungen durch mich berichtete, eine deutliche Leistungssteigerung im Tagesverlauf im Vergleich zu vorher zu bemerken.
    Kürzer gesagt: bei KEINER meiner endodontischen Behandlungen oder Revisionsbehandlungen liegen labormedizinische Parameter vor, und trotzdem führe ich die Behandlungen durch, wenn eine medizinische rechtfertigende Indikation vorliegt, also positive körperliche Auswirkungen zu erwarten sind ( Schmerzfreiheit, Ausheilen einer apikalen Läsion ). Der Patient hatte immer wieder wie beschrieben Schmerzen ( dauerhaft ) und bisweilen, getriggert durch die PZR, starke Beschwerden.
    Diese zuvor beschriebenen Erfahrungen ermunterten mich dazu, die ( in unserer Praxis eher seltene) Extraktion des Zahnes als Entlastung des Körpers zu bezeichnen.
    Ich versuche immer klarzustellen, dass unsere Spezialisierung in der Endodontie schon im Moment der Diagnostik beginnt und hier die schwierigsten Momente der Behandlung liegen können. In meiner Aufklärung bewerte ich die Qualität der Arbeit anderer nicht, da ich nur über die umstände der Behandlung spekulieren könnte, sondern ich fasse nur Fakten zusammen. Ein Recht auf offene, ehrliche Kommunikation hat aber jeder Patient verdient.

    Herzliche Grüße
    S.Riedel

  6. Lieber Christoph, meine Vermutung, dass die Stelle per Mundhygiene schlecht erreichbar ist und dies parodontaler Erkrankung Vorschub leisten konnte, war der reflexartige Gedanke. Häufig sieht man auch wenig knöcherne Bedeckung der bukkalen Wurzeln (sehen wir doch auch im DVT oft) und somit per se eine evtl. leichter besiedelbare Nischen.?
    LG Sebastian.

  7. Sehr geehrter Herr Vöpel,
    im Zusammenhang mit Ihrem Kommentar möchte ich gern noch erfahren, aus welcher meiner Formulierungen Sie entnahmen, ich habe gegenüber dem Patienten die Contenance verloren?
    LG
    S.Riedel.

  8. Sehr geehrter Herr Riedel,
    wahrscheinlich habe ich mich da etwas missverständlich ausgedrückt.
    Ich hätte mir nur etwas mehr Zurückhaltung bei der Formulierung dem Patienten gegenüber gewünscht,
    denn mich stört einfach die Aussage : „höchstwahrscheinlich werden Sie eine gesundheitliche Entlastung erfahren“.
    Natürlich sind keine Laboruntersuchungen für endodontische Massnahmen nötig und auch die Extraktion ist ja absolut sinnvoll.
    LG
    Christian Vöpel

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