„Das allgemeine Berufsbild ist höchst unerfreulich“ Teil 2

von Hans – Willi Herrmann

Von Erich Heinrichs 1949er Buch „Vom Erfolg in der zahnärztlichen Praxis“ hatte ich hier berichtet. Heinrich hatte unter der Überschrift “ Das allgemeine Berufsbild ist höchst unerfreulich“ über den Verlust an Wertschätzung des Zahnarztes durch die Patienten geklagt.

Von den Ursachen dieses Gesinnungswandel berichtet er im nachfolgenden Kapitel „Vertrauenskrisen“.

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9 Gedanken zu „„Das allgemeine Berufsbild ist höchst unerfreulich“ Teil 2

  1. Sind wir nicht auch selbst schuld?
    Ein paar Gedanken zur Selbstzerstörung des Berufsbildes durch sprachliches Abwerten.
    Sprache ist ein gewaltiges Instrument. Und wir dürfen uns nicht wundern, wenn unser Ansehen sinkt und sinkt, wenn wir selbst uns sprachlich degradieren.
    Wann haben Sie denn zuletzt behandelt? Oh, nein, wir versorgen doch nur noch. Wie der Einzelhandel uns versorgt. Wir wundern uns darüber, dass Patienten wie Kunden auftreten? Wenn wir uns selbst zum beliebigen Warenanbieter machen? Wir ergreifen Maßnahmen. Manchmal immerhin therapeutische Maßnahmen. Ja, geht’s denn noch? Mal abgesehen vom stilistisch grauenvoll gestelzten Wortungetüm: Ich bin Arzt, ich behandele. Menschen. Mit Angst, mit Schmerzen, mit Krankheiten. Maßnahmen? Das klingt schon nach Besserungsanstalt, aber nicht nach Zahnarztpraxis. Wer will als Patient, dass Maßnahmen ergriffen werden? Und dann diese Bezeichnungen, die die Entwicklung unseres Berufes zum Akademischen, zum Biologischen, zum Ärztlichen überdauert haben: Kronenfraktur oder profunde Karies? Nein, dann wird nicht die Dentinwunde behandelt, dann wird als erste Maßnahme die Versorgung mittels einer direkten oder indirekten Überkappung durchgeführt. Hallo? Beim Barbier im Mittelalter stehengeblieben? Wir degradieren uns mit solcher Nomenklatur nicht nur selbst, wir nehmen uns auch die Chance, mit klarem Benennen der Erkrankungen oder der Verletzungen uns selbst viel bewußter zu machen, dass wir eben nicht irgendein lebloses Stück Irgendwas „versorgen“, sondern dass wir verletztes, lebendes Gewebe zu behandeln haben. s.a. http://wurzelspitze.wordpress.com/2014/08/29/sensibilitat-negativ-vitalitat-positiv/#comment-7456. Beispiele gäbe es noch viele, doch jetzt ruft das Examen. Wahrscheinlich wieder mit eitrigem Sekret (*schüttel*), Vitalitätsprobe, und – das ist jetzt die Krönung – Versorgungsmaßnahmen…

    • Hallo Herr Pohl,
      ist das so?
      Oder ist nicht mehr das ein Frage der persönlichen Empfindung.
      Mich irritiert mehr das gesamte Auftreten einer Person.
      Lassen Sie sich lieber von einem stilistisch sichern, wortgewaltigen Kollegen behandeln?
      Ich würde meine Wunde definitiv lieber von einem fachlich versierten Kollegen versorgen lassen. ;)
      Herzliche Grüße
      Olaf Löffler

      • Hallo, Herr Löffler,
        nein, ich meinte nicht die Einzelperson, den einzelnen Behandler. Sondern den Berufsstand an sich und seine Wortführer. Wir wählen heute selbst Bezeichnungen, die unser Tun auf das eines demütigen Lohn- und Akkordarbeiters, heute: Leistungserbringers, reduzieren. Hören Sie sich mal auf den Tagungen die Vorträge an. Da wird versorgt, nicht behandelt. Es werden nicht Krankheiten therapiert, es werden Maßnahmen ergriffen. Diese Wortwahl schlägt m.E. auf das Selbstbild durch. Und wenn man sich schon selbst als Versorger sieht, als Maßnahmenvollstrecker, was sollen dann Außenstehende für ein Berufsbild von uns haben? Das hat nichts mit Stilsicherheit zu tun, aber viel mit Selbstverständnis. Ich lasse mich lieber von einem Kollegen behandeln, der sich als Arzt versteht und nicht als Versorger. Fachliche Versiertheit nehme ich mal für beide an, gehe allerdings davon aus, dass ich die eher bei einem Arzt finde als bei einem Versorger. ;-)

        • Lieber Herr Kollege Pohl,
          nur mal kurz nachgefragt: arbeiten Sie in einer Klinik, oder in eigener Praxis? Ich frage deshalb, weil mich interessiert, ob Sie für ihre Leistung, oder für ihre Anwesenheit bezahlt werden.
          Ich habe selbst 19 Jahre lang beim Staat gearbeitet und konnte so behandeln, wie ich es wollte. Nun muss ich seit 7 Jahren in eigener Praxis die Familie versorgen und das funktioniert umso besser, je mehr hochwertige Leistung von mir verkauft werden.
          Wenn ein Mensch mit einer Erkältung zum Arzt geht, sagt er: „Ich bin krank! Hab mir eine Grippe eingefangen.“
          Wenn einer zum Zahnarzt geht, sagt er nicht, ich bin krank, sondern:“Ich habe ein Loch im Zahn! Es tut zwar nicht weh, aber es sieht nicht gut aus!“
          Sie können beide entweder behandeln, oder versorgen. Das liegt und lag schon immer im eigenen Selbstverständnis. Nur der Unterschied zwischen beiden Patienten, liegt im Antrieb. Der eine will nur wieder gesund werden, der andere will das Loch im Zahn verschlossen haben. Aus ästhetischen Gründen! Wenn sie dem Kariespatienten beibringen wollen, dass er schwer erkrankt ist und dringend eine kompetente Behandlung durch einen erfahrenen Arzt braucht, der lacht sie aus! Der will keine Behandlung seiner Erkrankung, der will wieder einen schönen Zahn. Und ob das ein Dentist, ein Techniker, oder der beste Arzt macht, ist dem erstmal völlig wurscht. Und jetzt liegt es an ihnen, ob sie dem Patienten eine GIZ Füllung verkaufen, oder ein Keramik Veneer.
          Aber wir reden am eigentlichen Thema vorbei, Herr Kollege Pohl, denn im alten Artikel ging es nicht, oder nur bedingt um das Selbstverständnis des Arztes als Versorger, oder Behandler, sondern v.a. um die Tatsache, dass uns durch die Einführung der Sozialversicherung ein Joch auferlegt wurde, dass wir bis heute tragen und womit wir uns irgendwie arrangiert haben. Dabei ist der Zahnarzt wesentlich besser dran, als der Humanmediziner.

          Herzliche Grüße,

          H. Vögele

          P.S.: Ihr letzter Satz übrigens, der mit der fachlichen Versiertheit und wo sie zu finden ist, ist in meinen Augen der falscheste von allen. Talent und Behandlungskompetenz zu unterstellen, das habe ich bisher v.a. in Kliniken erlebt…

          • Sehr geehrter Herr Kollege Vögele,
            Sie haben mich offensichtlich völlig falsch verstanden.
            Mir ging es darum, dass, wenn wir uns auf Bezeichnungen einlassen, die uns vom ärztlichen Tun entfernen, die uns in die Nähe zum „demütigen Lohn- und Akkordarbeiter“ rücken, wir uns nicht wundern dürfen, wenn wir entsprechend wahrgenommen werden. Es erschreckt mich, dass wir diese Bezeichnungen so verinnerlicht haben, dass wir sie berufsintern, wir unter uns, in Gesprächen, auf Tagungen, in unseren Praxen und Kliniken, ständig und offensichtlich ohne uns darüber bewußt zu sein, benutzen, dass diese Bezeichnungen die ursprünglichen medizinischen offenbar schon komplett aus unseren Gedanken verdrängt haben, dass wir uns vor uns selbst bereits als Versorger und nicht mehr als Arzt begreifen. Selbst-Bewußtsein zeigt sich in der Sprache.
            Schadet es denn, wenn Sie Ihrem Patienten sagen, dass sein Zahn krank ist, dass sein Zahn behandelt – und nicht versorgt – werden muß? Dass zunächst ein Medikament erforderlich ist, um das verletzte/erkrankte Dentin zu behandeln – und nicht, dass Sie jetzt als Maßnahme das Loch zumachen würden?
            Oder auf Tagungen, in Publikationen: ich habe das Gefühl, dass es unser Selbst-Bewußtsein und unser Berufsbild erodiert, wenn wir selbst (!) uns als Versorger (im Jargon von Ihnen: Löcher-Verschließer) sehen. Selbst dann, wenn der Patient uns als solchen sieht, kann ich dem doch entgegenwirken. Ohne ihn zu schelten, beiläufig, während ich ihn „versorge“. Steter Tropfen höhlt den Stein.
            Und das hat weder mit Klinik noch mit Praxis, weder mit notwendigem Einkommen noch mit Bezahlung für Anwesenheit zu tun. Sondern mit dem Nachdenken über Möglichkeiten, unser Ansehen zu verbessern. Und da halte ich die Sprache und die Verwendung bestimmter Begriffe eben für einen wesentlichen Faktor.
            Mit besten Grüßen
            Yango Pohl

            Warum Sie aus meinem Beitrag einen Praxis-gegen-Klinik-Kleinkrieg machen, verstehe ich nicht. Wen könnte ich wohl gemeint haben, wenn ich von Vortragenden auf Tagungen schreibe? Und habe ich nicht explizit geschrieben, dass nicht der einzelne Behandler gemeint sei? Hat Ihnen mein letzter Satz so zugesetzt? Warum? Lesen Sie diesen doch bitte als augenzwinkernde ;-) Antwort auf den Beitrag von Herrn Löffler. Und ja: ich vermute fachliche Versiertheit eher bei einem Kollegen, der eine Karies profunda als eine Erkrankung von Dentin und Pulpa ansieht, als bei einem Kollegen, der sein Tun als Löcher verschließen ansieht…
            Dass der Artikel die böse Sozialversicherung anprangert: richtig. Bin ich dann mit meinem Diskussionsbeitrag darauf festgelegt, oder darf ich auch einen neuen Aspekt einbringen? Einen, der es uns vielleicht erlaubt, selbst etwas zu tun gegen das Joch, das wir tragen? Und da wir in einer Gesellschaftsform leben, die auf Diskussion und Mehrheitsentscheid basiert, ist die Waffe eben das Wort, die Sprache. Doch wenn wir uns schon selbst zum Löcherverschließer degradieren… ob die Krankenkassen dann vor lauter Mitleid einen Zuschuss gewähren?

          • Lieber Herr Kollege Pohl,
            Ich versteh Sie durchaus und gebe ihnen auch weitestgehend Recht. Im Gegensatz zu ihnen kenne ich aber keinen Zahnarzt, der sich selbst als Versorger sieht (ausser eben der eigenen Familie), sehr wohl aber als Leistungserbringer, oder Behandler.
            Karies und Parodontose sind eben Erkrankungen, die den Menschen in seiner Lebensqualität eher wenig, oftmals gar nicht beeinträchtigen.
            Als diagnostische Mittel dienen uns Röntgenbild, Kältetest, Wärmetest, Klopftest, selten Keimbestimmung, meist reicht Blickdiagnostik. Ein Blutbild: eher nie! Wieviel wissenschaftliches und medizinisches Studium braucht es für drei, oder vier Diagnosen, die den allergrößten Teil unseres Tuns ausmachen?

            Die Behandlung hingegen ist oft sehr, sehr diffizil und erfordert äußerstes Geschick und Feingefühl. Reinstes und feinstes Handwerk! Mikrochirurgie von mir aus! Aber ob das unbedingt dicke Medizin und Wissenschaft ist? Zahnmedizin in der Praxis ist in meinen Augen zu 90% feinstes Handwerk, das praktisch geübt werden muss! Kennen Sie Hands-on Kurse für Humanmediziner??
            Insofern bin ich gerne, oder lieber ein guter Leistungserbringer (weniger ein Lochzumacher…), der hochwertiges Handwerk verkauft, als ein Arzt und Wissenschaftler, der den Patienten moralisch von seiner Erkrankung überzeugen möchte…

            An den Patienten, die täglich zu mir überwiesen werden sehe ich, dass es unheimlich viele gute Ärzte und Diagnostiker gibt, aber auch eine unglaubliche Anzahl schlechter Handwerker…! Mir wäre es manchmal lieber, es wäre anders herum! Man lebt ganz gut, als gesckickter Handwerker, der die Patienten gut beHANDelt! Und da haben Sie Recht und sprechen uns allen aus dem Herzen. Wir versorgen nicht, wir behandeln!

            Herzliche Grüße.

          • Lieber Herr Kollege Vögele,
            mein Beitrag hatte doch nichts mit der praktischen, handwerklichen Durchführung der Behandlung zu tun. Jedenfalls war das nicht meine Absicht. Es geht mir nur darum, dass wir uns nicht mit unserer Sprache freiwillig auf ein Abstellgleis begeben. Uns eben nicht zum Löcherversorger machen, der Sie ja auch nicht sein wollen. Und nochmals: Zielrichtung war nicht primär der Behandler als Einzelner, sondern unser Berufsstand, der es mit seiner Sprache einfacher macht, dass ihm Akkordarbeit, Normen, etc. übergestülpt werden. Ich sehe einen Unterschied zwischen „Ich bin Arzt“ und „Ich bin Versorger“. Als Arzt behandele ich einen Menschen, ein Individuum mit seinen ganz speziellen Bedürfnissen, seinem individuellen Empfinden, seinen Fähigkeiten. Als Versorger trage ich die gleiche Bezeichnung wie zB RWE. Und muß dann eben damit rechnen, dass die Erwartungen an mich auch unter eher industriellen Gesichtspunkten angelegt werden. Vielleicht stimmt das ja auch nicht, vielleicht ist das ja auch irrelevant. Ich bin aber überzeugt, dass der Sprache eine ziemliche große Bedeutung zukommt und wir uns dessen bewußt sein sollten.
            Dass zum Zahnarztberuf handwerkliches Geschick gehört – das ist doch keine Frage. Da bin ich ganz bei Ihnen, ich schimpfe oft genug darüber, dass handwerklich Unbegabte das ZM-Studium aufnehmen – lediglich, weil die Abinote stimmt – oder weil man als Zahnarzt viel verdienen kann. Das gibt schlechte und unzufriedene Zahnärzte. Andererseits: nur handwerklich geht auch nicht (mehr). In Zeiten, in denen Stammzellen, Regeneration, Toxizität, Schmerzmodulation, etc., Thema sind, in Zeiten mit immer mehr älteren, multimorbiden Patienten ist das schlicht nicht möglich. Aber das ist ein ganz anderes Thema…

            Beste Grüße
            Yango Pohl

  2. Herr Pohl hat schon Recht, Kommunikation und Außendarstellung sind ein wichtiger Aspekt dafür, wie wir wahrgenommen werden wollen. Da ist sicher nicht selten Luft nach oben. Aber so wie ich den Artikel lese, zeigt er kurz nach dem zweiten Weltkrieg (!) äußerst luzide viele Probleme im Arzt-Patienten-Verhältnis in Relation zum Versicherungswesen auf, die es ganz offensichtlich in unterschiedlicher Ausprägung nahezu zwangsläufig und schon immer zu geben scheint, sobald ein Dritter von außen eigene Interessen vertritt und damit gezielt oder unter billigender Inkaufnahme die Beziehung zwischen Arzt und Patient beinflusst. Unglaublich!

    Herzliche Grüße aus Berlin

    Bernard Bengs

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