von Hans – Willi Herrmann
Die junge Anästhesistin, die bei uns auf dem Stuhl zur Wurzelkanalbehandung saß, sah müde, übernächtigt aus.
Dunkle Ringe unter ihren Augen.
Zum 3. Mal Nachtdienst in dieser Woche.
Mit einer Reihe von akuten Zwischenfällen, die deutliche Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen hatten. Nichts mit Durchschlafen auf der Arbeit.
Und zwischendrin der normale Tagdienst, also keine Freizeit, zumindest nicht in dem Maße, dass man von einer der Belastung angemessenen Regeneration hätte sprechen können.
Kann unter diesen Umständen garantiert werden, dass die mit der hohen Verantwortung einhergehende notwendige Leistungsfähigkeit zu jeder Zeit und in jeder Situation sichergestellt ist ?
Und – was mich noch nachdenklicher machte.
Der Kollegin war deutlich anzumerken, dass die hohe Belastung, die ihr im Rahmen ihres Tätigkeitsfeldes auferlegt wurde, schon jetzt, zu Beginn ihres Berufslebens, sie im Laufe der Zeit und vermutlich gar nicht mal so weit in die Zukunft reichend, an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit führen würde.
Und noch liegen, mit Anfang Dreißig, mehr als 35 weitere Berufsjahre vor ihr.
Mit welcher Perspektive ? Eigentlich mit keiner, beruflich gesehen.
Denn eins ist klar, in absehbarer Zeit werden die Rahmenbedingungen ihres Arbeitens hier bei uns in Deutschland nicht deutlich besser werden.
Damit geht es den Ärzten und Zahnärzten und allen Dienstleistern in der Kranken – und Altenpflege nicht besser wie vielen anderen Berufstätigen in diesem unserem Lande nach der Milleniumwende.
Eigentlich sieht es in vielen Bereichen ähnlich aus. Aber das heißt ja nicht, dass die Allgegenwärtigkeit dessen automatisch eine Legitimation des Faktischen darstellen muss.
Und – noch immer hält sich, zumindest, was die landläufige Einschätzung der Situation in der Ärzteschaft angeht, hartnäckig die Vorstellung, dass man als Arzt das Leben auf einer Insel der Glückseligkeit genieße.
Dabei sprechen vielfach erkennbare Zeichen eine ganz andere Sprache.
Innerhalb dieser Berufsgruppe findet man eine hohe Burn Out – Rate, die sich leider auch in letzter Konsequenz in einer gegenüber Vergleichsgruppen erhöhten Selbstmord – Rate manifestiert. Und auch andere Burn Out – Zeichen, exemplarisch sei der Alkoholabusus angeführt, sind in der Ärzteschaft überdurchschnittlich vertreten.
Sagt man.
Hört an.
Weil so richtig sprechen tut ja keiner darüber.
Unter der Rubrik “Im Hamsterrad” wird es an dieser Stelle immer wieder Beiträge geben, die einen Einblick vermitteln sollen in die konkreten alltäglichen Begleitumstände des ärztlichen und zahnärztlichen Arbeitens.
Es ist an der Zeit und dem Internet sei Dank gibt es durch das Web 2.0 auch die Möglichkeiten hierzu, aus dem Schatten herauszutreten, die Stimme zu erheben und aufmerksam zu machen auf Etwas, was man allzugerne auch heute noch am liebsten als nicht existent verdrängen möchte.
Denn eins ist klar. Wenn man sich erst mal vor Augen hält, wie es in Wirklichkeit aussieht im Gesundheits und Pflege – System Deutschlands heutzutage, dann stehen zwangsläufig unbequeme Fragen im Raum, auf die man möglicherweise Antworten erhält oder sich selbst geben muss, die man eigentlich gar nicht hören möchte.
Und – wer in diesem Zusammenhang meint, hier wird auf hohem Niveau gejammert, dem sei versichert, dass viele der Protagonisten, von denen in dieser Rubrik berichtet werden wird, mit hohen Erwartungen an sich selbst und an die Möglichkeiten, helfend tätig sein zu dürfen, hohen, edlen Idealen dienen zu können, ins Studium und in den Beruf gegangen sind.
Hier geht es nicht um die Bocklosen, die Faulen, die es in jeder Berufsgruppe gibt. Hier geht es gerade um die einst hochmotiviert Gestarteten, vom System Desillusionierten und Frustrierten, denen man im Laufe der Zeit jegliche oder zumindest einen Großteil ihrer Freude im und am Beruf genommen hat.
Auch das nichts Neues und nicht auf diese Berufsgruppe beschränkt.
Erschreckend ist nur, und eine neue Dimension darstellend, wie schnell und wie umfassend dieser Prozess heute voranschreitet.
Hätten sie früher, in den 60ern, 70ern und auch noch in den 80ern mal unter Ärzten und Zahnärzten gefragt, was ihre Kinder mal später beruflich machen sollen, so wäre die Antwort wie aus der Pistole geschossen und mit Nachdruck gewesen: “Ich wünsche mir, dass mein Kind meine Praxis übernimmt.”
Und heute ?
Was denken Sie, antworten die Kollegen ?