Eine junge Frau.
Ein tragischer Unfall.
2 Oberkieferschneidezähne, denen die Extraktion droht.
Ganz klar, dass wir spontan unsere Hilfe anbieten.
Was wäre denn die Alternative ? Die Extraktion? Nicht wirklich. Eiine Brückenversorgung oder Implantation zu vermeiden in so frühem Alter in einem ästhetisch anspruchsvollen Bereich ist doch jeden Aufwand wert. Und ist nicht der Satz “Wir schaffen das !” mittlerweile im Grundkanon deutscher Sprache fest verankert ?
Nur so am Rande – Das war, damals, 2015, keine kreative Eigenschöpfung der Altkanzlerin, sondern dem Obama´schen “Yes, we can!” entlehnt. Beides jedoch plakativer Ausdruck, scheinbar Unmögliches anzugehen und einem glücklichen Ende zuzuführen.
“Und da bin ich ganz bei Ihnen!”, werter Leser, um eine weitere 2 Euro – Münze ins Phrasenschwein deutscher Aphorismen zu werfen.
Ich verstehe den Wunsch.
Auch in mir ist das ein starkes Gefühl, als Samariter mein Karma zu Positiven hin zu beeinflussen.
Vorbehaltlos zu helfen.
In der idealen Welt würden wir nun erneut voller Elan unserem getreuen Ross Rosinante die Sporen geben und gegen die schnell sich drehenden Windmühlenflügel des drohenden Zahnersatzes anrennen. Ziehen kann man die Zähne ja immer noch, oder ? Warum nicht also einen weiteren ultimativen Versuch des Zahnerhaltes wagen?
HERODONTICS!!!
Rules!!!!
ABER
Die Patientin nimmt nun zum 4. Mal einen Anlauf.
Nach insgesamt 3 erfolglosen Versuchen, die Situation in den Griff zu bekommen.
Wie wahrscheinlich ist es, das WIR nun Erfolg haben werden ? Das eigene, möglicherweise überlebensgrosse Ego mal aussen vorgelassen.
Waren nicht die Kollegen vorab mindestens genauso zuversichtlich, die Sache zum Guten zu wenden ? Zumindest werden Sie dies der Patientin gegenüber und ihren Eltern im persönlichen Gespräch vermittelt haben, da bin ich sicher.
Die nun also möglicherweise zum vierten Mal auf den möglichen Zahnerhalt eingeschworen werden. Und sich sicherlich mit verständlicher Skepsis fragen: Kann ich diesen Verheißungen denn wirklich trauen ? Immerhin geht es ja nicht nur um eine weitere eventuell belastende Behandlung, sondern auch um Einiges an Geld. Und zwar unabhängig davon, ob die Patientin gesetzlich oder privat krankenversichert ist. Klar ist, von der GKV kann es kein Geld mehr für die geplante Behandlung geben, die Patientin ist kassenabrechnungstechnisch zahnerhaltend “austherapiert”. Die Patientin bzw. ihre Eltern müssen die Kosten aus eigener Tasche zahlen. Und werden sicherlich abwägen: “Lohnt sich das?” Oder sollten wir das Geld nach 3 erfolglosen Versuchen nicht besser in die Implantation stecken? Die vom Kieferchirurgen angeraten wird.
A pro pos Kieferchirurg. Wir haben 3 Arten von Kieferchirurgen vor Ort.
Der eine überweist NIE.
Der zweite löblicherweise in einer ganzen Reihe von Fällen, bevor er chirurgisch tätig werden könnte, um die OP zu vermeiden.
Der dritte, nachdem er mit mehrmaliger WSR gescheitert ist. Wie im vorliegenden Fall. Vermutlich haben die Eltern gefragt “Kann man denn gar nichts mehr machen ???” Und da wird dann an mich verwiesen: Soll ich doch den Eltern klar machen, dass die Zähne nicht erhaltungsfähig sind. Wir haben Kollegen hier vor Ort, die schicken uns nur die wirklich hoffnungslosen Fälle. Und immer nur dann, wenn der Patient nicht bereit ist, sich den Zahn ziehen zu lassen. Zumeist sind diese Zähne dann wirklich nicht mehr zu retten. Aber nicht, weil der Zahn per se schlecht wäre, sondern vielmehr, weil er durch die Vorbehandlung in einen solch scheinbar hoffnungslosen Zustand versetzt wurde.
Wir stehen gewissermaßen in unserer Praxis am Ende der Behandlungskette.
Was sehr schade ist, weil wir doch im Rahmen der Erstbehandlung so viel mehr und besser etwas hätten tun können. Nun jedoch betrachten wir die kümmerlichen Reste dessen, was früher mal zwei schöne Zähne waren.
Was mich zum Kern der Sache bringt.
Wie wahrscheinlich ist es, das ich Erfolg haben werde ?
Welchen Aufwand muss ich betreiben, um erfolgreich zu sein ?
Was stelle ich dem Patienten in Rechnung für meinen Aufwand bzw. was steht auf dem Heil- und Kostenplan, der der Patientin mitgegeben wurde.
Und was diesen letzten Punkt angeht.
Man möge bitte bedenken, dass die Situation, wie sie sich im vorliegenden Fall widerspiegelt, bei uns nicht äußerst selten, sondern regelmäßig auftaucht. Aus diesem Umstand ergibt sich zwangsläufig irgendwann die Notwendigkeit, solche Behandlungen auch betriebswirtschaftlich adäquat zu betrachten. Herodontics lassen sich nämlich umso einfacher als Non Profit- Maßnahme rechtfertigen, wenn diese eben nur äußerst selten auftauchen. Ein heldenhafter Zahnerhaltungsversuch bei einem Frontzahn eines jungen Menschen einmal pro Jahr ? Da muss ich nicht mal auch nur kurz darüber nachzudenken , “Klar, machen wir !”
Aber wie sieht das aus, wenn Tag für Tag so ein Patient in der Tür steht ?
Bei uns gehören solche Fälle von grundsätzlich schon schwierigen und/oder noch zusätzlich kompromittierten Frontzähnen zum Tagesgeschäft. Und Frontzähne rufen nun mal, weil “einfach” ein vergleichsweises geringes Honorar auf. Trep, Feile rein, Kanal trocknen, Zentralstiftwurzelfüllung, fertig. Das geht in den sprichwörtlichen paar Minuten möglicherweise, hat aber mit dem, was im vorliegenden Falle gefordert ist, nichts zu tun.
Und da kommt dann zwangsläufig der Moment, dass man überschlägt, wieviel Zeit steckt in einer solchen Behandlung und was bekomme ich dafür ?
In zwei Sitzungen durchgeführt stünden insgesamt 424,3 Euro auf dem GOZ-Abrechnungs- Taxameter. Entspricht diese Summe dem zu leistenden Aufwand, dem zu leistenden Können und Know How, das notwendig ist, um die beiden Frontzähne im Mund zu halten?
Wieviel Zeit müssen wir veranschlagen, um die Behandlung (WF- Revision und orthograder Verschluss eines iatrogenen Neoapex größeren Durchmessers mittels MTA) adäquat durchführen zu können. Und nur so aus Neugier. Wieviele Implantate werden in dieser Zeit gesetzt und was wird dann als Honorar aufgerufen?
Fragen über Fragen.
Wer gibt die Antworten ?
Lieber Ha-Wi,
die Antworten kann sich sicherlich nur jeder selber geben. Zu unterschiedlich sind die Startpunkte.
Aber in meiner Brust schlagen nach deinen Ausführungen mindestens drei Herzen – in sehr unterschiedlicher Taktung.
Punkt 1: Was ist etwas wert und wer bemisst es ?
Nachdem mich ein Verkehrsrowdy im letzten Jahr umgefahren und schwer verletzt hat,
versuche ich nun mit einem guten Anwalt etwas zu erreichen. Und jede Stunde des
Gespräches , also auch jede Beratung , wird mit etwa 350 Euro berechnet. Ein
oralchirurgischer Kollege plant mit einem noch weitaus höheren Stundensatz.
Mein Vater war Prof. für Herzchirurgie, hatte drei Fachärzte und leitete ein Krankenhaus
mit über 250 Angestetllen. Von solchen Stundensätzen konnte er nur träumen !
Also was ist deine – meine – unser aller Leistung hier Wert , wo ordnen wir uns ein ?
Punkt 2: Unsere Ausrüstung – mental und apparativ. Das eine lässt sich gut berechnen , wir alle
wissen was wir an die Hersteller zahlen für DVT , Mikro , Steri etc pp.
Stundensatzberechnung für Einsteiger. Da ist es mit der Einschätzung des durch Arbeit
und Fortbildung und vor allem unendlichem Engagements schon nicht mehr ganz so
einfach .
Punkt 3: Wir sind Mediziner/innen und sollen – können helfen ! Jetzt wird es ganz pathetisch – ich
erinnere an Hyppokrates ….
Also mal ehrlich – Es geht eventuell um die Frontzahnästehtik eines jungen Menschen.
Wir haben es in der Hand eventuell auftretende psychosoziale Folgeschäden mit dem
Erhalt zu verhindern – und dann trauen wir es und noch über Geld zu reden ? Ich
überspitze ganz bewusst . Ja traue ich mich . Wenn Familienmitglieder aus meiner riesen
Familie kommen oder meiner Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen werden diese ja auch ,
sicher abgemildert , aber doch an den Kosten für aufwendige Behandlungen beteiligt.
Menschen mit denen mich viel mehr verbindet als mit den meisten Patientinnen und
Patienten. Es würde auf Unverständnis in der Belegschaft treffen,sollte ich solch
unterschiedliche Maßstäbe anlegen.
Fazit für mich : Also was jetzt ? Behandlung siehe Anwalt – oder Kostenstundensatz ohne Honorar
für mich oder ich will nur ein , helfen , ganz abgemildert ?
Bedeutet bei uns: abgesehen von zwei bis drei wirklichen Ausnahmen im Jahr,
bekommt ein jeder eine jede einen nahezu therapieabhängig identischen KVA.
Das Wurst kostet beim Landmetzger auch für alle das gleiche!
Und zu grunde gelegt wird der ermittelte Stundensatz um mit 64 schuldenfrei zu
sein.
Soviel als Kurzstatement auf diese immer wieder so schwer zu beantwortende Frage .
Nils
Hallo Ha-Wi,
Du kannst mitteilen, dass das Risiko von zwei Impl bei dem jungen Alter als auch die Deiner Behandlung nach der Vorgeschichte der Zähne groß ist. Dass Du in Deinem präzisen Vorgehen eine realistische Chance aber keine Garantie siehst, die Zähne – und wenn nur für einige Zeit – zu erhalten und dass in einigen Jahren die Prognose für die Implantate besser wird.
Mit Verlaub, wenn es der Fall vom 14.09.2021 ist, könntest Du ggf. auch sagen dass Deine lege-artis-Behandlung eine bessere Prognose hat, als der aktuelle Zustand auf dem Röntgenbild.
Ein “kollegiales” Gespräch der KZV oder ZKN zur Behandlungsqualität mit dem “Kollegen” wäre hier wirklich angebracht – eigentich schon aus Eigeninteresse, um nicht in amerikanische Verhältnisse abzugleiten. Die “kollegialen” Gespräche, die Du ob zu hoher Qualität erleben musstest waren es wohl eher nicht.
Die Antworten gibt üblicherweise meist leider nur der Patient bzw. die Eltern.
HEPI-Index?