Taktikbesprechung (2) – Der HEPI-Index in der Patientenberatung

Es ist noch gar nicht solange her, da hätte ich mir die Röntgenbilder der gestrigen „Taktikbesprechung“ angeschaut und dann, man nenne es Intuition oder auch klinische Erfahrung, aber letztendlich aus dem Bauch heraus meine Aussage getroffen:

Behandlung => Ja oder Nein ?

Dann kam Thomas Seitner und gab – hier bei WURZELSPITZE – zu bedenken, es wäre gut, es gäbe eine auf fallbezogenen Faktoren beruhende Beurteilung, die endodontische Behandlung betreffend.

Kennen Sie das ?
Wenn einer mit einer Idee rüberkommt, die so klar und auf der Hand liegend ist, dass man sich fragt, warum man nicht selbst und vor allem nicht schon viel viel früher selbst drauf gekommen ist.

So ging es mir damals.
Eine blitzartige Erkenntnis, dass wir genau so etwas wirklich gut gebrauchen könnten. Eine Möglichkeit der Kommunikation mit dem Patienten, einen komplexen Sachverhalt auf möglich einfache Art und Weise herunterzubrechen.

Ich fing, an mir Gedanken zu machen.
Wie müsste so etwas aussehen ?

Einfach, schnell und unkompliziert durchzuführen sollte es sein.
Am Behandlungsstuhl.
Mit einem Ad Hoc-Ergebnis, dass ohne grosse Rechenoperationen (kein Rechner, kein Blatt Papier, keine Tabellen, im Kopf demnach) erstellt und dem Patienten sofort und gegebenenfalls ohne grafische Hilfsmittel das Resultat präsentiert werden kann und er ad hoc in der Lage ist, die Situation zu bewerten und danach stande pede seine Entscheidung treffen zu können.

Herausgekommen ist das Nachfolgende. Und Jörg Schröders Fall ist ein schöne Möglichkeit, meine Vorgehensweise am konkreten Beispiel vorzustellen:

Prinzipiell gilt es zwei Dinge miteinander in Relation zu stellen. Die Prognose des Zahnes auf der einen Seite und der zum Zahnerhalt notwendige Aufwand auf der anderen.

Das Ergebnis ist ein Index, der dem Patienten präsentiert werden kann. Als einfach zu kommunizierendes Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung pro/contra Zahnerhalt.

Wie es geht ?

Wir beurteilen zunächst die Prognose des Zahnes. Einfacher Zahn, Erstbehandlung. Dann würde ich (nicht 100%, das wäre aus strategischer Sicht unklug, aber doch minimal) 95 (Prozent) als Wert voraussetzen.

Als nächstes geht es um die Beurteilung des Arbeitsaufwandes, der zum Zahnerhalt notwendig ist. Hier gehe ich in 30er Schritten vor und addiere die jeweiligen Schwierigkeiten. OK -Frontzähne 30, Molaren 60. Eine Revision ? Weitere 30 Punkte. Wie auch jede weitere Schwierigkeit. Extreme Obliterationen oder exotische Anatomieen ? + 30 Perforation ? + 30. Frakturiertes Instrument ? + 30. Sie verstehen das Prinzip.

Setzt man nun beide Werte – Prognose und Aufwand – in Bezug zueinander,

Prognose
_________

Aufwand

erhält man im positiven Falle eine Verhältniszahl, die gleich/größer als Eins ist. Im negativen Fall ist die Verhältniszahl kleiner als 1.

Das bedeutet nicht, dass der Zahn nicht zu erhalten ist, aber für die weitere Beurteilung ist es nun wichtig, zu wissen, welchen Aufwand und welches Risiko des Misserfolges der Patient mitzutragen bereit ist.

Dies gilt es im nächsten Schritt zu erfragen. „Wie sehr (auf einer Skala von 1 – 10) hängen Sie an diesem Zahn?“ lautet folgerichtig unsere Frage an den Patienten.

Gleiches gilt für den Behandler. Dieser hat auf einer Skala von + 10 bis – 10 die Möglichkeit, eine subjektive strategische Einschätzung vorzunehmen. Hier fliessen alle „weichen“ Faktoren ein, die einen einer Behandlung in all ihrem Facettenreichtum innerlich zustimmen oder gegebenenfalls auch davon Abstand nehmen lassen.

Beispiel gefällig ?
Ein sehr netter Patient, der seit vielen Jahren in die Praxis kommt und ein strategisch wichtiger Zahn, der eine vorhandene Zahnersatzversorgung stabilisiert? Eine glatte +10. Ein sehr unangenehmer Patient, der gleich bei seinem ersten Besuch in der Praxis an Allem etwas herumzumeckern hat, der Meinung ist, die Behandlung sei für ihn, weil Privatpatient, sofort und kostenfrei durchzuführen, im Vorfeld schon eine mannigfaltiger Schriftverkehr mit den Kostenträgern notwendig war, und es um einen Zahn geht, der eigentlich unter die Rubrik „Herodontics“ fällt? Im schlimmsten Fall ist das eine – 10!

Wie geht das Alles nun in die Formel ein ?

Die Einschätzungen werden mit dem Quotienten aus Prognose und Aufwand multipliziert.

Prognose.
_________ * Einschätzung Patient * Einschätzung Behandler

Aufwand

Und letztendlich soll – wie der Volksmund sagt – unterm Strich – als Resultat ein positives Ergebnis herauskommen. Was immer dann der Fall ist, wenn der ermittelte Wert => 1 ist.

Nehmen wir als Positiv-Beispiel einen endodontisch zu behandelnden Oberkieferfrontzahn bei einer 21 Jährigen. Prognose? 99 Prozent. Aufwand? 30 Prozent. Ergibt 3,3. Die Patientin mit sehr gepflegtem, kariesfreiem, kfo – reguliertem Gebiss möchte den Zahn auf jeden Fall erhalten. Eine glatte 10. Das sehe ich genauso und ziehe, meine Einschätzung in die Waagschale werfend, ebenfalls die Höchstnote 10. Ergibt einen Index-Wert von 330. Ab einem Index- Wert von 1 würden wir behandeln, 330 ist exorbitant höher, man sieht also sofort, dass wir hier es mit einem extrem erhaltungswürdigen Zahn zu tun haben.

Wie sieht es nun mit Jörg Schröders Taktikbesprechungszahn aus ? Klar kann ich sagen, lohnt sich nicht mehr, aber geht es auch ein wenig weniger eminenzbasiert?

Betrachten wir zunächst den zu veranschlagenden Aufwand

Molar 60
Revision 30
Wurzelstift 30
Perforation 30
Fehlender Ferrule 30
herausforderende Anatomie 30

Und wie sieht es mit der Prognose (Erfolgswahrscheinlichkeit in Prozent) aus ?

Revision 80
Perforation – 30
mangelhafter Ferrule – 30

Dann sind wir bei einer Erfolgswahrscheinlichkeit von 20 Prozent, der ein Arbeitsaufwand von 210 Prozent gegenübersteht. ergibt 0,095 als Index-Wert. Und bei Alles unter 1 gehe ich als Behandler auf Distanz. The odds are against us – die Gewinnchancen sind gegen uns.

Das heisst jetzt nicht, dass wir solche Fälle grundsätzlich niemals nicht behandeln. Was noch fehlt, sind die Einschätzungen von Patient und Behandler. Wie sehr hängt der Patient an diesem Zahn ? Wie stufe ich als Behandler den Zahn ein ? Unbedingt behandlungswürdig oder würde ich leichten Herzens auf diesen Zahn verzichten? Wenn Patient und Behandler gleichermaßen Höchstnoten vergeben, kämen wie immerhin auf einen Wert von 11.

Auf der anderen Seite würde im vorliegenden Fall selbst ein Patient mit Höchstbewertung 10 keine ausreichende Punktewertung erzielen können, sofern der Behandler nicht von der Sinnhaftigkeit der Behandlung überzeugt ist. Eine Minuswert bei seinen Beurteilungen bedeutet nämlich, dass der entsprechende Wert vom Zähler in den Teiler der Gleichung rückt.

20/210*10*10 = 9,5

Im vorliegenden Fall bin ich persönlich stark gegen eine endodontische Behandlung dieses Zahnes. Ich kenne nicht alle Faktoren, aber von dem, was ich sehe, wäre mein Votum eine -8.

Bedeutet

20/210*10/8 = 0,12

Klingt das jetzt kompliziert ?

Das ist es aber nicht.

Im Gegenteil.

Seit das Thema (Danke Thomas!) aufkam, nutze ich dieses Hilfsmittel für mich selbst, um in wenigen Sekunden in Gedanken mich klar aufzustellen, ob es für mich (und den Patienten) Sinn macht, eine endodontische Behandlung durchzuführen. Das geht rasend schnell. Molar, Revision, grosse apikale Aufhellung, stark obliterierte Kanäle. Aufwand 120. Prognose? 60 Prozent ?

Und schon kommst darauf an, was der Patient sagt: Wie sehr hängen Sie an diesem Zahn, „Naja wenns sein muss, muss er raus. Sagen wir eine 3.“

60/120 = 0,5* 3 Ergibt 1,5. Also ganz knapp schon an der unteren Grenze. Und wie beurteile ich den Fall ? Im günstigsten Fall *10, dann wären wir bei 15, im schlechtesten Fall /10, dann wären wir bei 0,15

Alles im Kopf leicht zu rechnen.

Und wir sind gerüstet für die Kardinalfrage des Patienten. Was tun mit dem Zahn ? In einer Reihe von Fällen nutze ich nun den HEPI-Index auch zur Patienteninformation. „Schauen Sie Herr Müller Maier Schmidt, zur Verdeutlichung ihrer speziellen Situation ist es hilfreich, den sogenannten HEPI – Index heranzuziehen. Wir müssen lediglich 4 Parameter zur Beurteilung in Bezug setzen. Die Überlebenswahrscheinlichkeit des Zahnes, den Arbeitsaufwand, der notwendig ist, ihr persönlicher Wille zum Zahnerhalt und die zahnmedizinisch-strategische Einstufung. Alles über 1 ist okay, je höher der Wert umso besser und alles unter 1 ist so, dass sie ihr Geld besser sparen und in etwas anderes investieren sollten.

Meine Erfahrung soweit: Mehr als mit vielen Worte erkennt der Patient sofort, wo er steht mit seinem Zahn. Und ist beeit, dem fachlichen Rat zu folgen. Gerade die Zauderer (die ewig lange im Stuhl hin und her überlegen, sind mit dem HEPI – Index viel schneller als bisher in der Lage, einer Entscheidung zu treffen.

Mein Tipp.
EInfach ein paar Mal ausprobieren.
Ich verspreche.
Es hilft.

Achja.
HEPI steht für Herrmann Endodontie Progose Index, aber das bleibt unter uns.
Auch das ist Psychologie. Man muss dem Kind einen Namen geben, das beeindruckt subliminal und verstärkt die Wirkung.

7 Gedanken zu „Taktikbesprechung (2) – Der HEPI-Index in der Patientenberatung

  1. Hallo Ha-Wi,
    ich denke viele von uns machen mehr oder weniger (un)bewusst diese Überlegungen.
    Sehr schön dies zu systematisieren, wie Du es getan hast – und die (für Dich?) richtigen Parameter zu finden.
    – Wie würdest Du etwa eine 2. Perforation, einen 2. Fragment, ff werten?
    – Wie einen Ausgangszustand nach WSR (subsummiert unter herausfordernde Anatomie?)
    – glasartig sprödes Dentin
    – multiple erforderliche Revisionen (Ich Erinnere mich an einen Fall von Carsten Appel, der für eine OK-Brücke 7-7 mit alernierenden Lücken li-re je 6,4,2 insgesamt 8 Endorevisionen gemacht hat.)
    .
    — Ist Deine 30%-Stufung ggf. mit einer 30-Minuten-Zeitaufwand-Schätzung gleich zu setzen?
    — Welche Prognosewerte wählst Du für die jeweiligen Situation aus, variieren diese auch schon unbewusst von Deinem Bauchgefühl – oder sind sie davon unabhängig? – Für wie viele Ausgangssituationen sind die Prognosewerte vordefiniert – oder kann eine Formel helfen — s.u.?
    — Ist HEPI objektivierbar oder SEPI, wenn Thomas es macht und CEPI, wenn ich es mache?

    !! Verstehe mich nicht falsch, ich finde Deinen Ansatz sehr gut, kann es nur noch nicht gut fassen !!

    Ich glaube Thomas´s Ansatz war, für eine Behandlungsplanung ein Scorewert zu erhalten, der nachvollziehbar, möglichst vom Behandler unabhängig und vergleichbar ist und mit der Weiterentwicklung des Zahnes über die Jahre in Relation ausgewertet werden kann.
    — Ha-Wi, das wäre nicht so einfach, wie von Dir vorgestellt, aber viele relevante, objektivierbare Gesichtspunkte könnten behandlerunabhängig bei der Prognoseeinschätzung beachtet werden. Vielleicht ergänzen sich beide Betrachtungen: Dein Screnning-Score in der Patientenberatung
    mit folgendem Score um Fälle behandlerunabhängig, objetivierbar und longitudinal zu betrachten:
    — Befund ………………………………………………………………… – n – 5; ab 60 je Lebensdekade
    ……………………………………………………………………………….. – Diabetes
    ……………………………………………………………………………….. – Multimorbide
    ……………………………………………………………………………….. – eingeschränkte Mundöffung
    ……………………………………………………………………………….. – Grad (0-3) PA-Furkation
    ……………………………………………………………………………….. – deutliche Kippung, mesial
    ……………………………………………………………………………….. – deutliche Kippung bucc, ling
    ……………………………………………………………………………….. – n vorangegangene WSR-Wurzeln
    ……………………………………………………………………………….. – n vorangegangene WSR-Versuche
    ……………………………………………………………………………….. – n fehlende Ferulle-Wände
    (Kanalvorauswahl: OK 1,2,3 = 1; 4,5 = 2; 6 = 5; 7 = 4; 8 = 3; UK: 1,2,3,4,5 = 2; 6 = 5; 7 = 4; 8 = 3)
    1. Behandlung: VitE……………….. 100 % abzüglich Anzahl – n Kanäle; alternat.: Zahnnummer (1-8)
    ………………………………………………………………………………. – Dentikel
    ………………………………………………………………………………. – n Obliterationen
    …………………….Trep1 mit großer apic. Aufhellung…………. – n apicale Aufhellungen
    ………………………………………………………………………………. – n laterale Aufhellungen
    Revision: ………………………………………………………………… – n -ter Revisions-Versuch
    ………………………………………………………………………………. – n zu entfernende Stifte
    ………………………………………………………………………………. – n zu entfernende WF´s
    ………………………………………………………………………………. – n zu entfernende Fragmente
    ………………………………………………………………………………. – n apicale Stufen/ starke Krümmungen
    ………………………………………………………………………………. – n zu deckende Perforationen
    ………………………………………………………………………………. – n Sitzungen bis fertiger (Stift-)Aufbau
    ………………………………………………………………………………. – n WSR mit hoher Wahrsch. vorgesehen
    ZE-/ weitere Planungen: ……………………………………………. – n gliedr. Brücke erhalten oder geplant
    ……………………………………………………………………………….. – 9 – n Teleskope erhalten oder geplant
    ……………………………………………………………………………….. – 9 – n Kanäle (wenn endständ. Telesk.)
    ……………………………………………………………………………….. – KFO-Therapie vorgesehen
    ……………………………………………………………………………….. – chir. Kronenverlängerung
    um intraoperative Parameter ergänzen: ……………………….. – n Infrakturen (IKD)
    ……………………………………………………………………………….. – glasartiges Dentin
    ……………………………………………………………………………….. – n weitere Kanäle
    ……………………………………………………………………………….. – n weitere Obliterationen
    ……………………………………………………………………………….. – n Komplikation (Perforation, Fragment)
    im Laufe der Jahre um Planungsabweichung (fehlende/ andere ZE-Versorgung), ff ergänzen.
    Ausgangsprognose rückwirkend auf das Ergebnis bezogen jährlich bewerten: -2 über 0 bis +2
    (- = schlechter, 0 = wie erwartet, + = besser)

    Prognoseberechnung:
    — 25 Jahre, gesund, Zahn: 11, 1 VitE, eine Sitzung = 100-1 -1 = 98 %
    — 61 Jahre, Zahn: 16, Diabetes, Multimorbide, eingeschränkge Mundöffnung, PA-Furkation Grad 2, Mesialkippung, 2 WSR´s, 2 WSR-Versuche, 2 fehlende Ferulle-Wände, 3 apic., 2 lat. Aufhellungen, 2. Revision, 2 Stiftentfernungen, 3 alte WF´s, 2 gekrümmte Wurzeln, 1 Fragment, 1 Stiftperforation, 5 Behandlungs-Sitzungen vorgesehen (ohne Beratung, ff); 4. Teleskop, endständig; KFO-Aufrichtung vorgesehen, chir. Kronenverlängerung,
    = 100% -1 -5 -1 -1 -1 -2 -1 -2 -2 -2 -3 -2 -2 -2 -3 -1 -2 -1 -5 -5 -4 -1 -1 = 100 – 50 = 50 %

    Vielleicht fallen Euch noch wichtige Gesichtspunkte ein, die ich ausgelassen habe.
    LG, András

  2. Sehr schön!
    An der Gewichtung und den einzelnen Parameter könnte man noch Evolution betreiben (siehe Jörgs Beitrag) aber- top – geht genau in die richtige Richtung !

    • Kniffelig wird es jedoch bei der Bewertung der Schwierigkeit einzelner Massnahmen, wie z.B. das Bergen von Fremdmaterial im Periapikalbereich oder die Fragmententfernung jenseits einer Krümmung, um nur zwei Situationen zu benennen. Hier ist der Erfolg der geplanten Behandlung meiner Meinung nach nicht auf dem Papier zu beurteilen, da hier viele Faktoren eine Rolle spielen, die in der Person der Behandlerin bzw. des Behandlers liegen und sich einer „normalen“ Wertungsmöglichkeit entziehen. Ich erinnere nur an ein Bonmot von Prof. Castellucci:“You cannot remove a fractured Instrument beyond the curvarture.“

  3. Grundsätzlich eine tolle Idee, ich frage mich nur, ob mit der Prognose einerseits und der subjektiv strategischen Einschätzung des Behandlers nicht die Behandlerseite bzw. -sicht doppelt gewichtet eingeht. Oder anders gefragt, woher kommt eine „objektive“ Prognose? LgG

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