Geschichten aus dem Endozän 20210727 „Ich hasse Zahnärzte“

„Ich hasse Zahnärzte!“.

Die Behandlung hat noch nicht begonnen, da gibt der Patient lauthals besagtes Statement ab und – um es vorwegzunehmen – er wird diesen Satz im Laufe der nächsten Stunde noch mehrmals genau so wiederholen.

Willkommen im Notdienst.
Es ist Sonntag, der Tag des EM Fussball- Finales und der Patient war am Donnerstag schon mal beim Zahnarzt. Gegen seine Schmerzen wurde ein Antibiotikum verordnet. 3 Tage später sind die Schmerzen geblieben und nur noch stärker geworden. Eine entsprechende Untersuchung – unbezahlt wie fast alles im Notdienst was wir tun – ergibt den vor Jahren bereits (suboptimal) wurzelkanalbehandelten Zahn 26 als Schmerzauslöser.

Was tun?

Den Zahn extrahieren ?
Obwohl dieser erhaltungswürdig und erhaltungsfähig ist ?
Eine Pseudo-Therapie (Schmerzmittel, Antibiotikum, Trepanation, Inzision) durchführen in der Hoffnung, dass uns der Patient bis Montag morgen 8 Uhr nicht mehr belästigt ?

Ein verlockender Gedanke im Hinblick darauf, dass mittlerweile der „ich hasse Zahnärzte“ – Satz schon zum 4. oder 5. Mal gefallen ist. Und unsere KZV eine endodontische Maßnahme unsererseits nicht bezahlt, nicht im Erfolgsfalle und gewiss nicht im Falle der Extraktion durch den Nachbehandler.

Wir wagen uns an die Endo.
Anästhesie, danach Schmerzfreiheit.
Revision der vorhandenen WF (leichter als dem Röntgenbild nach erwartet), Darstellung des bislang nicht behandelten 4 . Kanals. Desinfektion und Medikamentöse Einlage. Verschluss der Zugangskavität mit Glasionomerzement.

„Ich hasse Zahnärzte!“. Sagt der Patient, sobald wir die Behandlung beendet haben.

Ich habe die ganze Zeit geschwiegen, aber jetzt kann ich meinen Mund nicht mehr halten.

„Ich weiss nicht , ob es eine zielführende Strategie ist, den Personen, von denen Sie sich Hilfe versprechen, so einen Satz permanent an den Kopf zu werfen?“ Und muss lächeln dabei, denn die Situation entbehrt nicht einer gewissen grotesken Komik.

Eine Kontrolle am nächsten Tag ergibt Schmerzfreiheit, der Patient konnte sehr gut schlafen.

„Ich hasse Zahnärzte!“
Wieder fällt dieser Satz.

Innerlich zucke ich mit den Schultern.
Stelle einen Arztbrief aus und verweise den Patienten zur Weiterbehandlung an den Hauszahnarzt, der schon die suboptimale Primärbehandlung durchgeführt hat.

Ob der Hauszahnarzt es diesmal besser machen wird?
Ob der Hauszahnarzt diesmal den gewiss nicht banalen 4. Kanal adäquat behandeln wird ?

2 Gedanken zu „Geschichten aus dem Endozän 20210727 „Ich hasse Zahnärzte“

  1. Von der psychologischen Seite des Patienten abgesehen: aktuell handeln die KK tatsächlich so, dass Sie die Endo im Notdienst nicht mehr bezahlen- oder dem nachfolgenden Behandler nicht mehr bezahlen!
    Krankenkassen Logik: eine WK kann an einem Zahn nur 1x durchgeführt werden… und da wir uns ja dämlicherweise im Bema in den Bereich der Sachleistung haben hineindrängen lassen- kann eben nur eine suffiziente Endo abgerechnet werden. 1x.
    Also entweder der Behandler im Notdienst -oder der Hauszahnarzt.
    Dass Material und Aufwand verwendet wurde- scheint niemanden zu interessieren…
    Habe gerade einen Regress zu einem Fall von vor 1,5 Jahren, in dem ich die WK und Trep Leistung rückwirkend abgezogen bekam, weil der Hauszahnarzt diese auch berechnet hatte..!
    Ich hasse Kassenzahnmedizin-Richtlinien … ;-(

    Da man im Notdienst schwerlich eine rechtsgültige Kostenvereinbarung mit dem Patienten treffen kann (man kann sich zwar alles unterschreiben lassen, aber jeder Dorfrechtsanwalt wird das „kippen“) … bliebe tatsächlich nur der Weg von Schmerzmittel, Antibiotika oder wenn schon abszedierend -wie vor 30 Jahren die sogenannte „Schrödersche Lüftung“.

    Es lebe die moderne digitale Medizin !
    (Vor allem die der Statisktik der KK und KZV…!)

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