Zwei ganz kurze stechende Schmerzen in meinem Zahn 26 beim Frühstück.
Ich kannte so etwas nicht, aber es war auszuhalten. Ich bin 56 und hatte Gott sei Dank noch nie in meinem Leben Zahnschmerzen. Auch – oder sollte ich sagen gerade nicht an diesem Zahn, der seit mehr als 40 Jahren sich als Zustand nach direkter Überkappung darstellt. Damals – in den 70ern – wurde mit sehr dickem Diamanten und Turbine exkaviert. Und zwar in exakt der Zeit, welche die Assistentin benötigte, um den Phosphatzement für die Unterfüllung anzurühren. Die vorhandene Amalgamfüllung, bukkal und palatinal standen nur noch schmale Restwände, war möglicherweise genauso alt. Vielleicht auch im Studium noch einmal erneuert, also immerhin mehr als 30 Jahre minimal auf dem Buckel, wobei ich – aus meiner rudimentären Erinnerung heraus- gebeten hatte, den Phosphatzement in situ zu lassen. Angesichts der vorhandenen P hatte ich seitdem entschieden – never change a running system – den Zahn solange es geht, in seinem Zustand zu belassen.
Vital war er in all den Jahren geblieben. Die vorhandene Zahnhalssensibilität, die jedes Eissessen und kalte Getränke zur Qual machte, ein untrügliches Zeichen.
Während ich meine frühmorgentliche Nahrungsaufnahme fortsetzte, die Zeitung überflog und dabei überlegte, ob nach all den Jahren eine Sekundärkaries der Grund für die Beschwerdeproblematik sein könnte und ich ein Zahnfilm zur Kariesdiagnostik noch in Erwägung zog, fühlte meine Zunge plötzlich eine rauhe Kante auf der palatinalen Seite des Zahnes.
Jetzt war alles klar.
Eine Fraktur, auf/unter Gingivaniveau reichend.
Das Bruchstück war nicht aufzufinden, ich musste es verschluckt haben, ohne das mir dies aufgefallen war, ich hatte nicht einmal bemerkt, wie es sich gelöst haben könnte.
Mindestens 15 Jahre her war meine letzter invasiver Kontakt beim Zahnarzt.
Jetzt liege ich auf dem Stuhl und harre der Dinge, die da kommen werden.
Um es kurz zu machen.
Es war furchtbar.
Nein, es tat nichts weh, aber die Bohrgeräusche.
Die Hölle. Das rote Winkelstück mit Diamant und Hartmetallfinierer noch schlimmer als das grüne Winkelstück mit dem Rosenbohrer.
Ich empfinde das als Folter.
Barbarische Folter.
Die Geräusche. Die Vibration. Das Hämmern und Rattern.
Und gleichzeitig bin ich unglaublich dankbar, das es jemanden gibt, der mir meinen Zahn erhält. Wieder in Ordnung bringt. Mich schmerzfrei behandelt. Das ich hinterher wieder gut kauen kann. Nicht mit einer Zahnlücke umherlaufen muss, Keine Zahnschmerzen habe.
Und der sein Handwerk beherrscht.
Ich nenne es Uhrmacherkunst.
Auf kleinstem Raum präzise Verrichtungen zu machen. Viele viele genau abgestimmte Handgriffe und Zureichungen, die wie Zahnräder ineinandergreifen müssen, um am Ende ein adäquates Produkt schaffen zu können.
Und ich blicke auf meine beiden Gegenüber, Zahnarzt und Assistenz.
Mit FFP 2 – Mundschutz, Schutzbrille, OP-Haube, Schutzkittel.
Keine 40 cm von mir entfernt. Das Aerosol, mein Aerosol benetzt meine Wange, meine Stirn, meine Brille. Ein potentieller COVID 19 – durchtränkter Spraynebel. Ich wurde vor kurzem COVID – 19 negativ getestet, aber wieviele Patienten können das von sich sagen. Und bin ich es immer noch ?
Seit dem Test sind 2,5 Wochen vergangen.
Und ich denke: “Danke, das ihr mich behandelt!”
Vor 150 Jahren hätte ich über viele Tage elendige Schmerzen erdulden müssen, die Behandlung – ganz gleich ob Füllung oder Extraktion – ohne Anästhetikum, wäre ein Qual gewesen. Und im Mittelalter wäre ich vielleicht an einem sich mit der Zeit einstellenden Abszess gestorben.
Und ich frage mich.
Was läuft eigentlich falsch bei den Patienten ?
Die doch ebenso empfinden müssten.
Wo ist der Respekt, die Anerkennung ?
Warum erfährt man dies heute nur noch von den wenigsten Patienten ?
Heutzutage erfährt der Friseur, der Nagel-Designer, der Tätowierer mehr Wertschätzung als der Arzt oder der Zahnarzt.
Achten Sie einmal drauf, wie die Leute von diesem Personenkreis sprechen, wieviel Anerkennung, die kreative Leistung betreffend diesen Personen zugesprochen wird. Was an Geld dafür locker gemacht hat, inwieweit eine Wartezeit am “Behandlungstag” ohne Aufhebens toleriert wird und wie die aufzuwendenden Geldbeträge als sinnvoll und angebracht investiert eingeordnet werden. Auch von Patienten, welche die Abrechnung einer Carpule Anästhestikums für 87 Cent als nicht rechtmäßig anprangern, weil dies von der privaten Krankenkasse nicht erstattet wird.
Es wird Zeit, dass sich was ändert.
Ja so ist es !!!
Wohl wahr. Woran liegt es? Schwer zu sagen. Es hat sich offenbar in den Köpfen der Menschen unausrottbar das Vorurteil festgesetzt, wir klempnerten ein bißchen herum und werden dafür übermäßig entlohnt. Jede Arzthonorarstatistik widerlegt das, egal! Dafür werden wir mit “Liebesentzug” bestraft.
Hat es was mit den Zuzahlungen zu tun – vielleicht?. Die Leute müssen bei uns regelmäßig Geld in die Hand nehmen, bei anderen Arztberufen sehr viel weniger. Was mir auffällt: Bei meinen befreundeten Orthopäden, Kardiologen oder Urologen biegen sich zur Weihnachtszeit die Regale vor lauter Geschenken der Patienten (es sei ihnen gegönnt, genau wie die Honorare, die ein Vielfaches der unseren sind). Da bekommt aber jeder Privatpatient auch klaglos alles erstattet. Vorsorge beim Kardiologen oder Urologen: 20 Minuten Aufwand max. ergeben knapp 1000 Euro üblicherweise. Kein Cent Abzug seitens der Versicherung jemals, also auch keine Klagen beim Arzt. Bei uns, die wir einen roten Teppich ausrollen für unsere Patienten und über viele Stunden Filigranarbeit mühsam Zähne erhalten, gibt es ein paar freundliche Worte. Nicht daß ich die Präsente bräuchte, aber vielleicht zeigt dies eine Grundeinstellung als äußeres Zeichen.
Endo ist ja per se erstmal nicht sexy, nicht sichtbar, außer vielleicht in der Front. Nichts, worauf man stolz ist, anders als beim Tattoo, der Frisur, der Moncler-Jacke, die ja wegen des Preises gekauft wird und nicht trotzdem.
Wird sich das ändern? Wir tun jeder für uns in unserem Bereich viel dafür. Ob es reicht, da bin ich skeptisch und verbuche es unter Berufsrisiko…
Sehr wahre Worte, leider,,,, das sieht man jetzt auch wieder an den Hasskommentaren im Netz bezüglich der angekündigten Hilfen für Zahnärzte,,, wir sind ja alle viel zu reich und fahren teure Schlitten,,,
Ich hatte vor ca 6 Jahren auf einer Reise nach Buxtehude ebenfalls das erste Mal in meinem Leben höllische Zahnschmerzen. Ein unterer 5er wurde symptomatisch, leider war der Donnerstag ein Feiertag und die Beschwerden tags zuvor leider nur vage und wurden deshalb von mir ignoriert.
Ich musste den Tag überstehen und fuhr am folgenden Freitag zu einer befreundeten Endodontologin ins 80 km entfernte Hamburg, welche mir den Zahn notfallmässig behandelte uns dafür extra Patienten umbestellte.
Ich war um eine Therapie nie so dankbar wie damals.