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Ärzte in Italien: “Wir riskieren hier jeden Tag unser Leben”

Ärzte in Italien: “Wir riskieren hier jeden Tag unser Leben”

Italiens Mediziner werden gefeiert. Doch viele klagen, sie würden vom Staat alleingelassen. Vor allem die Hausärzte, unter denen es die meisten Covid-19-Todesfälle gibt.
Ärzte in Italien: Ein Arzt vor einem provisorischen Covid-19-Hospital am Gemelli-Krankenhaus in Rom, 16. März 2020
Ein Arzt vor einem provisorischen Covid-19-Hospital am Gemelli-Krankenhaus in Rom, 16. März 2020 © ANDREAS SOLARO/​AFP/​Getty Images

“Wir riskieren hier jeden Tag unser Leben”

Es vergeht fast kein Tag, an dem in Italien nicht auch unter den Ärztinnen und Ärzten des Landes ein Todesfall vermeldet wird. Es sind Mediziner aus den verschiedensten Disziplinen und manchmal sind es auch Ärzte, die längst in Rente waren, aber in dieser schweren Zeit zurück in den Dienst gegangen sind. Wie zum Beispiel Gino Fasoli, Jahrgang 1946, einst Hausarzt in der norditalienischen Provinz Brescia. Als ihn seine Kollegen im Krankenhaus um Hilfe baten, war er sofort zur Stelle. Fasoli ist am 14. März an den Folgen von Covid-19 in einem Krankenhaus in der gleichnamigen Provinzhauptstadt gestorben.

Der Dachverband der italienischen Ärztekammern hat seine Internetseite mit einem Trauerflor versehen und führt seit dem 17. März eine Liste der verstorbenen Kolleginnen und Kollegen. Am Montag, den 30. März, sind seit Beginn der Epidemie 62 Ärztinnen und Ärzte gestorben, mehr als 2.600 medizinische Pflegekräfte haben sich zudem mit dem Virus infiziert. In den Medien und von der Politik werden sie als Helden gefeiert, doch angesichts der steigenden Todesfälle fragen sich vor allem die direkt Betroffenen, warum ausgerechnet sie, die an vorderster Front stehen, nicht ausreichend vor Covid-19-Infektionen geschützt werden können.

Dieser Frage wurde am Samstag auch in einem Artikel des Corriere della Sera nachgegangen. Darin wird von einer staatlichen Verordnung vom 10. März an die Krankenhäuser des Landes berichtet. Nach dieser sollten bei medizinischem Personal, das Kontakt mit einem erwiesenen oder vermeintlichen Covid-19-Patienten hatte, dabei aber keine Krankheitssymptome zeigt, keine Tests vorgenommen werden.

Riskante Hausbesuche

“Am Anfang dachte man, dass nur Patienten mit Symptomen die Infektion weiterverbreiten würden”, erklärt Luigi Tritapepe am Telefon. Er ist Direktor der Anästhesie und der Intensivstation im römischen Krankenhaus San Camillo Forlanini. Es sei aber auch nicht auszuschließen, meint Tritapepe, dass die Verordnung, zumindest zum Teil, auch mit den knappen Reserven von Testabstrichen zu tun hatte. Rückblickend wäre es besonders am Anfang der Epidemie sinnvoller gewesen, mehr Tests durchzuführen, um die Verbreitung zu begrenzen, “nur waren wir alle vollkommen unvorbereitet und lernen jetzt von Tag zu Tag dazu”.

Für die neue Covid-19-Intensivstation im San Camillo hat er alle seine Mitarbeiter auf das Virus testen lassen. “Weil ich bei null anfangen wollte. Die Gefahr, sich in dieser Station anzustecken, ist eher gering. Wir sind ja von Kopf bis Fuß durch die verpflichtende Schutzausrüstung geschützt.” Angst hätten sie aber trotzdem alle. Deswegen lebe ein Pfleger seiner Station seit einiger Zeit in einem Hotel, um seine Frau und sein Kind nicht dem Risiko einer Infektion auszusetzen.

“Weitaus gefährdeter aber sind die Kollegen außerhalb der Intensivstation”, gibt Tritapepe zu Bedenken. Der große Fehler, der begangen wurde, war aus seiner Sicht, dass in den Krankenhäusern nicht sofort die Covid-19-Patienten und -Verdachtsfälle von den anderen Patientinnen und Patienten räumlich getrennt wurden. “Das wurde zum Verhängnis für viele unserer Kolleginnen und Kollegen aus anderen medizinischen Abteilungen. Denn sie verfügen nicht über unsere Schutzanzüge und viele wurden auch fachlich nicht vorbereitet”, sagt Tritapepe.

Besonders viele Todesopfer aber zählt man in Italien unter den Hausärztinnen und Hausärzten. 24 haben ihr Leben im Dienst bereits verloren. “Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir Kanonenfutter sind”, klagt die Mailänder Hausärztin Monica Marabini. “Uns wird befohlen, alle Sicherheitsbestimmungen einzuhalten, wenn wir mit den Patienten in Kontakt kommen – doch die nötige Schutzkleidung erhalten wir nicht.” So sei man verpflichtet, Hausbesuche durchzuführen, doch nur mit Mundmaske und Handschuhen ausgestattet, wäre das für beide gleichermaßen ein hohes Risiko, auch wenn der Patient offiziell gar nicht am Virus erkrankt ist. Und dasselbe gelte für die Besuche in der Praxis, obwohl Termine mittlerweile nur mehr in dringenden Fällen und nur nach telefonischer Absprache mit dem Arzt abgemacht würden.

Abstruse Vorschriften für Hausärzte

“Ich habe Mailingliste eingerichtet, damit mir meine Patienten jederzeit schreiben können”, sagt Marabini. Sie kontrolliere sie regelmäßig, bis spät in den Abend hinein. Oft fühle sie sich am Rand der Verzweiflung. “Wir halten Patienten zu Hause, die eigentlich in die Notaufnahme gehören, hängen manchmal eine halbe Ewigkeit am Telefon, um einen Rettungswagen zu bekommen. Am Anfang fand ich die Arbeit der Regierung gut, jetzt nicht mehr.”

Auch Silvestro Scotti, Vorsitzender des Nationalen Verbandes der Hausärzte, würde sich mehr Kompetenz in der Politik und den Behörden wünschen. Wir erreichen ihn telefonisch in seiner Wohnung in Neapel. Er erzählt von Marcello Natali, einem Kollegen und Freund, der Hausarzt in der ersten lombardischen Quarantäne-Zone war. “Das letzte Mal, als ich mit ihm telefonierte, hörte ich, dass seine Praxis voll mit Patienten war und fragte ihn, warum.” Weil auch Kolleginnen und Kollegen infiziert seien und deren Patienten auf die noch offenen Praxen verteilt worden waren, lautete die Antwort. Natali war 57 Jahre alt, als er am 18. März an Covid-19 starb.

Für unser Gesundheitssystem sind wir Freiberufler”, erklärt Scotti. “Und das bedeutet, dass wir uns Mund- und Augenschutz, Handschuhe und Sicherheitsanzug selbst besorgen müssen.” Nur, zu bekommen sind sie nicht, denn das, was der Markt hergebe, lande in den Krankenhäusern. Scotti vergleicht die Lage der italienischen Kollegen mit Bildern aus der chinesischen Stadt Wuhan, als dort die Epidemie ausbrach. Sie zeigen, wie Sanitäter in kompletter Schutzkleidung in die Wohnungen der Patienten gehen. “Wir riskieren hier stattdessen jeden Tag unser Leben.”

Und das nicht nur bei den Hausbesuchen, auch die Vorschriften für die Untersuchungen in der Praxis seien abstrus. “Laut diesen soll der Arzt einen verdächtigen Patienten, sobald dieser die Praxis betritt, von den anderen trennen. Als würde der Arzt persönlich jedem Patienten die Türe öffnen”, sagt Scotti. Deswegen erfolgten die Visiten, wann immer es möglich ist, über Video, das Rezept wird dann mit einem Code versehen an die Apotheke geschickt. Jeder müsse sich eben, so gut er kann, selbst schützen, in der Hoffnung, dass man heil aus dem Albtraum herauskommt.

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