Es war in den Schlagzeilen, füllte sogar die Feuilletons der renommierten Tageszeitungen.
Diese Woche ist Marie Fredriksson, die Sängerin des schwedischen Pop Duos Roxette verstorben.
Eine Band der 80er.
Nicht meine musikalische Welt.
Auch wenn die 80er ja einen großen Teil meiner musikalischen Prägung bestimmten. Welche auf 4 Säulen sich stützt: Elektronische Musik. Schwarze Musik (Funk, Soul). Jazz und Klassik.
Und daher die zweite Todesnachricht der Woche schon eher meine Kreise berührt, auch wenn ich mit dem Namen Bodo Staiger nichts anfangen konnte.
Dafür umso mehr mit dem Lied “Dreiklangsdimensionen” der Gruppe Rheingold.
Beides der “Neuen Deutschen Welle” zugeordnet, was dem Lied in seiner Qualität und Ernsthaftigkeit nicht gerecht wird.
Über die Neue Deutsche Welle wird sicherlich später einmal an dieser Stelle gesprochen werden, heute wollen wir uns den späten Siebzigern und frühen Achtzigern und vorrangig Musik aus England zuwenden. Von dort kamen nämlich die musikalischen und modischen Inputs, die meine Jugend, genauer gesagt meine späten Teenie-Zeiten bis in die Mitzwanziger Jahre hinein, prägten.
Beginnen wir also unseren Freitag Abend Musikreigen mit einem Lied, das für mich persönlich die 80er Jahre wie kaum ein anderes repräsentierend in der Erinnerung heraufbeschwört.
West End Girls.
Pet Shop Boys.
Und so ziemlich auch das einzige Lied, das in der Provinzdisco gefeiert wurde, konkret im “Las Palmas” in Meisenheim, bevor es überhaupt seinen globalen Siegeszug antrat. Es gab nämlich eine 1984 schon veröffentlichte Ur-Version. Von Producerlegende Bobby Orlando produziert. Und die wurde mit “Burn Burn Burn” Rufen vom Nahe- und Glanregion Red Neck-Auditorium gefeiert.
So provinziell war das “Las Palmas” im Übrigen gar nicht mal, immerhin ein ziemlich großer Schuppen. Mit respektabler Lasershow, die ihren Vergleich mit der Disco aller Discotheken (das New Yorker Studio 54 mal aussen vorgelassen), dem Dorian Gray am Frankfurter Flughafen nicht scheuen brauchte. Mein erster Besuch dort wird mir für immer unvergessen bleiben. Die Autobahn – des Hörensagens nach zu dieser Zeit die einzige vierspurige in Deutschland – ohne Verkehr. Wir liefen kurz vor Mitternacht ein, einen unendlich langen verwaisten Korridor im Untergeschoss hinunter, der Flughafen menschenleer. Beides heute unvorstellbar.
Die spannende Frage, würde uns der Türsteher durchlassen.
Im Innern erstklassiger Sound aus JBL-Lautsprechern.
Die vermeintlich ganz Coolen lehnten in den mannshohen Basshörnern und erkauften sich ihren Status mit semipermanentem Tinnitus.
Und dann die Musik.
Being Boiled.
Von “The Human League”.
Die später mit Don´t you want me” ihren Druchbruch feierten.
Vergleicht man die beiden Lieder miteinander und zieht ergänzend noch das spätere “Fascination” hinzu, fällt die eklatante Andersartigkeit des Erstlingswerks auf. Nicht verwunderlich allerdings, wenn man weiss, das der Sänger Philip Oakey nur schmückendes Beiwerk, die wahre musikalische Kraft bei The Human Legaue aber Martyn Ware und Ian Craig Marsh waren. Die gründeten kurze Zeit später die Gruppe “Heaven 17”. Deren erste LP “Penthouse and Pavements” mit (We don´t need this) Fascist Groove Thing noch zu rauh und unpoliert war, um mehr als einen Achtungserfolg zu erzielen. BTW History Repeated, man besingt darin die unverständliche Wiederwahl von Ronald Reagan, dem nicht ernstzunehmenden Hollywood- Schauspieler, der Präsident wurde. Später sollte Martyn Ware sich mit der Produktion des Tina Turner Comeback- Albums “Private Dancer” seinen Platz im Pop – Mainstream sichern, als Heaven 17 blieben sie trotz Chart-Platzierungen im Mittelfeld und Anerkennung der Musikkritiker nur eine Interlektuellen-Minderheiten-Band. Aber immerhin. Being boiled war von der Kritik noch abgekanzelt worden: „Absichtlich mühsam, teuflisch aufreibend, sind sie so schön wie graue Zementplatten sein können, und in etwa genauso bunt”.
Düster und für Viele mindestens genauso verschreckend neuartig wie Being Boiled war Anne Clark. “Sleeper in Metropolis” und “Our Darkness” sind Pop- Musik Leuchttürme. Und der synthesizerunterlegte Sprechgesang war zur damaligen Zeit einzigartig. Und ist es in dieser dezidierten Form bis heute geblieben.
Aber Tanzen konnte man auf die Musik.
Da war wenige Jahre zuvor noch ganz anders.
Wenn Kraftwerk heute als die Erfinder oder Vorreiter des Techno ausgerufen werden, dann ist dies lediglich der Beweis für eine seltsame Verklärung der Realität durch die Zeit.
Kraftwerk, das war vollkommen verkopfte Musik, zum Tanzen vollkommen ungeeignet.
Die in Düsseldorf beheimatete Band – von ihrem Selbstverständis her und in ihrem Auftritt auf und neben der Bühne eher Kunstschaffende. Auch wenn der Bezug seinerzeit nie hergestellt wurde, vom artistischen Kontext her waren das Projekt mehr im Dunstkreis der Düsseldorfer Kunstavangarde um Joseph Beuys und Sigmar Polke anzusiedeln als in der ZDF-Hitparade.
Späte Rehabilitierung.
Bei einem vor ein paar Jahren aus sentimentalen Gründen besuchten Konzert von Kraftwerk im Karlsruher ZMK (man tritt gerne in renommierten Museen auf, sic!) lieferte die Band eine großartige Show. Ihr Repertoire behutsam an den musikalischen Zeitgeist angepasst, sich zeitgemäß und gerade dadurch zeitlos präsentierend, in einer Qualität und Wertigkeit, wie es die Originale nie vermitteln konnten. Ausdrücklich ausgenommen. Autobahn. Von Beginn an ein Meisterwerk, welches noch heute in seiner unveränderten Urform den “test of time” besteht.
Zurück zu den Briten.
Die es früh schon verstanden, Härte, aber auch Tanzbarkeit in die elektronische Musik zu bringen. Stück für Stück hielten zudem Ästhetik und ausgefeilte Storylines in die Musikvideos Einzug. Gab es von den Liedern der späten Siebzigern keine Videos oder lediglich mitgefilmte Live- Auftritte, so hatte sich dies wenige Jahre später, M TV sei Dank, grundsätzlich gewandelt. Die hier benannten Gruppen – über “Human League” und ihr durchgestyltes “Fascination” wurde schon gesprochen – sind allesamt hierfür hervorragende Beispiele.
Die Pet Shop Boys drehten mit Bruce Weber, dem berühmten Fashion Fotografen ihr “Being Boring” Video. Nachdem sie dessen Jazz- Doku über den Trompeter Chet Baker gesehen hatten und – mir ging es genauso – von der cineastischen Ästhetik begeistert waren. Wer auch nur die ersten Minuten der Doku sich anschaut, der weiss, warum Neil Tennant und Chris Lowe so angetan waren. “Let´s get Lost” ein Film, der immerhin mit eine Oscar Nominierung bedacht wurde. Und – kleine Anekdote am Rande – mit dessen Director of Photography, Jeff Preiss, ich zufällig und zunächst unwissend der Identität seiner bei einer meiner Fototouren in New York bei einem Spaziergang den Hudson River entlang, mit ihm über die architektonische Qualität der Belüftungstürme des Holland Tunnel fachsimpelnd, ins Gespräch kam.
Und dann sind da noch “New Order”.
Die mit Sicherheit bei den Jungen eine Renaissance erleben werden. Prägt doch ihr “Blue Monday” den Trailer des kommenden “Wonder Woman”- Hollywood- Blockbuster.
Im Video von 1983 noch zu offensichtlich schlecht gefaktem und asynchronen Play Back und mit Keyboarder im Bundeswehr-Hemd, ein in England in den Achtzigern immer mal wiederkehrendes provokantes Mode-Accessoire.
Im drastischen Gegensatz dazu 1987 “True Faith” im durchchoreografierten stylischen und später preisgekrönten Pop Video. Produziert von einem Hollywood Regisseur. Bis heute ein Meilenstein der Musik- Video Historie.
Und – last, but not least – wir sind ja musikalisch in Great Britain, da passt diese Phrase wie die sprichwörtliche Faust auf s Auge.
The KLF.
Ein Künstler- Duo. Bill Drummond und Jim Cauty.
Die in die Öffentlichkeit traten mit dem Vorsatz, die Musikindustrie vorzuführen. Als musikalische Dilletanten einen Nr. 1 – Hit zu platzieren. Und in ihrem Buch “The Manual (How to Have a Number One – The Easy Way) detailliert ihre Vorgehensweisen beschrieben, wie man aus einer Handvoll Samples einen Nummer-eins-Hit konstruiert. Mit diesem Buch enttarnten Cauty und Drummond, Letzterer eine Zeitlang Manager bei einer Plattenfirma, klug und sarkastisch die Mechanismen des Musikgeschäfts.1992 gewannen die Beiden einen BRIT Award und absolvierten bei der Preisverleihung ihren letzten gemeinsamen Auftritt, der bis heute Kultstatus genießt: The KLF taten sich zum Auftritt mit der Black Metal Band Extreme Noise Terror zusammen, schossen mit Maschinenpistolen Platzpatronen in die Zuschauermenge und verließen nach einer zweieinhalbminütigen Grindcoreversion ihres Hits 3 A. M. Eternal und der abschließenden Durchsage „The KLF has now left the music business“ die Bühne. Die Verantwortlichen der BBC hatten gerade noch verhindern können, dass die Band Blut aus Eimern über das Publikum schüttete. Dafür hinterließ die Band bei der Aftershow Party allerdings einen Schafskadaver, der einen Zettel mit der Aufschrift „I died for you. Bon appetit“ trug.
Damit nicht genug. Einige Zeit später verbrannten die Beiden in einem videodokumentierten Happening 1 Million Pfund, nachdem sei zuvor den aufgeschichteten Banknoten- Stapel als Kunstwerk einem renommierten Britischen Museum zum halben Preis des Geldwertes angeboten hatten, ein Ankauf aber vom Museum abgelehnt wurde.
Dann tauchte The KLF vollkommen ab, um, wie zuvor angekündigt, nach exakt 23 Jahren wieder für einen Abend aufzutauchen. Alles in Allem, wir leben in einer Zeit des Kunstbetriebs, in der eine von einem Aktionskünstler mit Panzer Tape an die Wand geklebte Banane für 120.000 Dollar als Kunstwerk gehandelt und von einem anderen Aktionskünstler spontan gegessen wird, was den Wert der Installation dann noch erhöhen soll. Alles Dinge, die The KLF vor 30 Jahren schon vorhergesehen und gebrandmarkt haben. Und dann noch herausragende, auf Samples basierende Musik geschaffen haben. In künstlerisch anspruchsvolle, mit Ironie und Selbstironie gespickte Videos verpackt. Die Lieder ein Knüller. Man vergleiche mit Nr. 1- Hits von heute !
Überhaupt war die britische Musikszene damals gespickt mit noch einer Reihe mehr hochkarätiger Acts, sowohl auf der Musiker wie auf der Producer- Seite. Weiter geht es damit demnächst im 2. Teil.