Apikale Wurzelkanaltopografie. Eine Einführung

von Holm Reuver

In Lehrbüchern wird die apikale Topografie von Wurzelkanälen häufig auf die Merkmale apikale Konstriktion und Foramen major/minor/physiologicum reduziert. Das ist das Ergebnis von eingeschränkten Untersuchungsmöglichkeiten. Histologische Schnitte, makroskopische Betrachtung der äußeren Wurzel, Querschliffe, Längsschnittpräparate und transparente Präparate ohne geeignete fotografische Technik zu deren Auswertung begrenzten lange Zeit die Untersuchungsmöglichkeiten und führten zu Fehlinterpretationen anatomischer Merkmale.

Man muss sich vergegenwärtigen, dass Wurzelkanalsysteme sehr komplexe Formen haben. Allein die Hauptkanäle weisen in der Regel Krümmungen in mehreren Ebenen auf, so dass der Kanalverlauf nie mit einer – in der Regel planen -Schnittebene zentral getroffen werden kann. Weiterhin lässt sich die Neigung der Schnittebene nur näherungsweise dem Verlauf eines Wurzelkanals anpassen, es ist bei Längsschnitten oder Längsschliffen/-brüchen keine Aussage über die Querschnittsgeometrie möglich. Es ist noch nicht einmal möglich zu erkennen, ob ein Längsschnitt oder -schliff/-bruch den Wurzelkanal zentral oder eher in seiner Peripherie erfasst. Ist ein Wurzelkanal bei einer längs verlaufenden Präparation einmal angeschnitten und erweist sich die Neigung der Schicht als suboptimal oder ungeeignet, kann die Neigung der Schnittebene nicht mehr verändert werden. Anders als in Längsschnitten kann man die Untersuchungsebene in Querschnitten oder -schliffen relativ einfach senkrecht zum Wurzelkanal ausrichten. Und Untersuchungen in dieser Perspektive haben durchaus ihre Indikation. Zur Erfassung räumlicher Ausprägungen von Wurzelkanälen sind sie jedoch nicht geeignet. Geht es nicht um die Hauptwurzelkanäle sondern um die Untersuchung der apikalen Topografie mit ihren sehr unterschiedlichen und häufig komplexen Strukturen, erweisen sich konventionelle Untersuchungstechniken erst recht als ungeeignet.

Die räumliche Anordnung der Pulpastrukturen, deren Verbindungen untereinander und zum Parodont sowie die für Wurzelkanalbehandlungen wichtigen Details lassen sich mit konventionellen Untersuchungsmethoden also nicht erkennen. Das schmälert den Wert der meisten anatomischen Untersuchungen für die Durchführung von Wurzelkanalbehandlungen beträchtlich.

Mit zwei Entwicklungen ist es möglich geworden, die Wurzelkanaltopografie in beliebigen Perspektiven darzustellen und gleichzeitig die Wurzel als Volumen durchblicken zu können: Zum Einen die Einführung des Mikro-CT und zum Anderen eine spezielle Fototechnik zur Auswertung transparenter Zahnpräparate. Mit beiden Techniken kann die apikale Wurzeltopografie mit all ihren Merkmalen in hoher Auflösung untersucht werden. Gleichzeitig kann das untersuchte Objekt als Volumen wahrgenommen werden, also auf die Weise, wie wir Menschen unsere Umgebung visuell erfassen. Dadurch ist die Interpretation der Bilder sehr einfach, die visuelle Erfassung wird von einer einzelnen dünnen Schicht auf das gesamte Volumen erweitert. Eine dreidimensionale Beurteilung wird aber erst dadurch möglich, dass die Untersuchungsobjekte in beliebigen Perspektiven betrachtet werden können.

Um Ordnung in die Komplexität von Wurzelkanalsystemen zu bringen, macht es Sinn, zwischen unterschiedlichen Merkmalen zu differenzieren. Dabei kann jedes Merkmal sehr verschieden ausgeprägt sein. Die Kombination aller Merkmale und deren jeweiliger Ausprägungen macht die Einzigartigkeit jedes einzelnen Wurzelkanalsystems aus und bringt bisweilen erhebliche Herausforderungen bei der Durchführung von Wurzelkanalbehandlungen mit sich. In dem Video eines transparenten Zahnpräparats können beinahe alle unterschiedlichen Merkmale von Wurzelkanalsystemen erkannt werden.

Merkmale
apikale Krümmung
Aufzweigung
Ramifikation, Delta
Seitenkanal
blind endende Kanälchen
Isthmus
mesiozentrale Kanalstrukturen
unterschiedliche Weite der Wurzelkanäle
Querschnittsform der Wurzelkanäle
apikale Konstriktion
Veränderungen im Verlauf der Reifung
Veränderungen durch Alterung
pathologische und reparative Veränderungen: Resorptionen, Verengung, Verschluss

darüber hinaus
Kanalsysteme im Adhärenzbereich fusionierter Zahnwurzeln
von der Wurzelaußenseite einstrahlende Kanälchen mit und ohne Verbindung zur Pulpa
Kanäle innerhalb der Zementstruktur

Die Untersuchung der apikalen Wurzelkanaltopografie kann mit entsprechenden Fotos sehr beeindruckend dargestellt werden. Wenn es aber um Heilung nach endodontischen Behandlungen geht, darf die Bedeutung der Morphologie nicht überschätzt werden. Denn in erster Linie sind es die Stoffwechselleistungen vitaler Zellen, die Reparatur- und Entzündungsvorgänge modulieren und nicht die sehr unterschiedlichen geometrischen Ausprägungen der von Hartgewebe begrenzten Räume.

In weiteren Beiträgen werden die einzelnen Merkmale und deren Bedeutung für endodontische Behandlungen vorgestellt.

Zahn 27 eines 26-jährigen Individuums als transparentes Präparat: Das gesamte Volumen kann visuell erfasst werden und durch die Drehung können die einzelnen Merkmale und deren Ausprägungen räumlich erfasst werden, u. a. apikales Delta in mb1, apikale Ramifikationen, höher gelegene Seitenkanäle, länglicher Wurzelkanalquerschnitt in mb2 und db, unterschiedliche Weite der vier Hauptkanäle, Krümmungen der vier Hauptkanäle, apikale Krümmungen aller apikaler Endstrecken, apikale Konstriktionen, Isthmus, blind endende Kanälchen sowohl von der Pulpaseite als auch von der Fusionszone, Kanalsystem der Fusionszone.

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