Der Weissabgleich (1)
Ist es nicht erstaunlich, ist es nicht ein Wunder, zu beobachten, wie ein kleines Kind sich die Welt erschliesst ?
Das erfährt, dass der Tisch Tisch und nicht Krötzelflutz heisst.
Und Papa Papa.
Und nicht Mama.
Warum ich das erzähle ?
Weil auch eine Fotokamera lernen muss.
Farben zum Beispiel.
Denn woher weiss eigentlich eine Kamera, das weiss weiss ist ?
Ich verstehe jeden, der nun irritiert innehält.
Und führe gerne an, dass zu Zeiten der Schwarz Weiss – Fotografie, die Definition von Weiss einfach und eindeutig war. Während Schwarz als Abwesenheit von Licht definiert werden kann, so ist Weiss im Umkehrschluss als die höchstmögliche Helligkeit im Film anzusehen. Zwischen beiden Extremen findet man dann alle Möglichkeiten von Grauwerten.
In unserer realen Welt jedoch ist Weiss, genau wie Grau und Schwarz eine “unbunte” Farbe. Eine neutrale Lichtempfindung als Ergebnis der Mischung von allen Wellenlängen des Spektrums in physikalisch gleicher Strahlungsstärke. Weiss ist also keine Konstante, sondern entsteht als ein Gemisch aus unterschiedlichen Farben und die Art der Beleuchtung spielt eine entscheidende Rolle. Ein “weisser” Gegenstand sieht ganz unterschiedlich aus, je nachdem, ob er von Tageslicht, bei Kerzenschein oder von einer Glühlampe, Halogen-, Led-, Neon- oder Xenonbeleuchtung illuminiert wird.
Im Alltag fällt uns dies in der Regel nicht auf. Weil unser Gehirn sich an die unterschiedlichen Beleuchtungen adaptiert.
Wir wissen halt, dass die Kaffeetasse weiss ist, ganz gleich, von welchem Beleuchtungsmittel sie angeleuchtet wird.
Im Film festgehalten, trifft dies dann nicht mehr zu.
Hier weisen plötzlich Aufnahmen, die in mit Neonlampen beleuchteten Innenräumen erstellt wurden, einen Farbstich auf. Weisses erscheint bläulich.
Weil der farbbildende Emulsion des Farbfilms auf die Farbtemperatur des Sonnenlichtes (die bei 5500 Kelvin liegt) abgestimmt war. Für abweichende Beleuchtungen gab es sogenannte Kunstlichtfilme.
Die digitale Fotografie hat es auch hier einfacher.
Man muss nicht mehr mit unterschiedlichen Filmen hantieren, sondern lediglich der Kamera sagen, dass Weiss Weiss ist.
Und in fast allen Fällen macht das die Kamera sogar automatisch, nämlich immer dann, wenn der sogenannte Auto-Weissabgleich aktiviert ist. Dann nämlich analysiert die Kamera das anzufertigende Bild, sucht den hellsten und den dunkelsten Teil eines Bildausschnittes heraus und definiert diese als Weiss und Schwarz. Das klappt unter normalen Lichtverhältnissen auch erstaunlich gut. So gut, dass ich bei meiner Fotografie abseits der Zahnmedizin immer diese Voreinstellung wählen würde.
Bei der Fotografie unter dem Dentalmikroskop sieht die Sache aber anders aus.
Hier habe ich Lichtquellen, die in ihrer Farbtemperatur vom natürlichen Tageslicht abweichen.
Und damit den Algorithmus der Kamera an ihre Grenzen bringen.
Andererseits haben wir beim Arbeiten mit dem Mikroskop den großen Vorteil, dass die Beleuchtungsverhältnisse extrem konstant sind. Auch wenn eine Halogen- Beleuchtung, eine LED- Beleuchtung oder eine Xenon – Beleuchtung extrem unterschiedliche Farbtemperaturen haben, so ist diese doch konstant.
Hier macht es Sinn, nicht den automatischen, sondern stattdessen den manuellen Farbausgleich der Kamera zu nutzen.
Geht ganz einfach. Wir stellen im Kameramenue die Option manueller Weissabgleich ein, halten ein weisses Blatt Papier unter die Linse unseres Mikroskopes, machen ein Foto, speichern das Ergebnis ab und die Kamera weiß von nun an, was “Weiss” ist.
Zur Illustration des geschilderten Phänomens der Farbstichigkeit noch ein paar Fotos. Abgebildet mmer die gleichen weissen Gegenstände, als Farbtupfer noch ein Glas Orangensaft und der Jahreszeit geschuldet ein grauer Osterhase. Jeweils mit unterschiedlichen Farbtemperaturen fotografiert. Das erste Foto mit Auto-Weissabgleich aufgenommen, die weiteren Fotos bei 2000 und 10.000 Kelvin Farbtemperatur.


