Erstberatung

von Jörg Schröder

Immer wieder suchen uns Patienten auf, bei denen die klinischen und/oder radiologischen Befunde sowie die anamnestisch zu erhebenden Behandlungsverläufe bei mir ein inneres Kopfschütteln verursachen.

Es hat einige Jahre gedauert, bis ich die meiner Meinung nach richtigen Worte finden konnte, um die jeweiligen Sachverhalte zu erläutern, ohne allzuviel Porzellan zu zerschlagen.  Ich möchte den Patienten den Status und die zur Verfügung stehenden Behandlungsoptionen nahebringen, ohne in berufsrechtliche Schwierigkeiten kommen zu können (Stichwort “gutachterliche Äusserung”). Zudem sind es teilweise Patienten, die von Ab-und-Zu-Überweisern überwiesen werden. Hier gilt es einen schmalen Grat zu wandeln. Ich werde nichts schön reden. Aber macht es Sinn, seine inneren Gedanken zu äussern? Wem nutzt es? Den Patienten? Ich glaube nicht. Mir? Mit Sicherheit nicht. Den Überweisern? Erst recht nicht. Hier können alle Beteiligten nur verlieren, wenn die Wortwahl nicht bedacht wird.

Im ersten Beispiel erfolgte nach einem Verkehrsunfall die implantologische Versorgung im Oberkieferfrontzahnbereich. Die Patientin würde ich als von den erfolgten zahnärztlichen Behandlungen stark traumatisiert bezeichnen. Bereits der Gedanke an eine Lokalanästhesie in diesem Bereich lässt die Tränen fliessen. Die Nachfragen der Patientin zeugen von einem in Mitleidenschaft gezogenem Vertrauen zu Zahnärzten allgemein. Warum wurde die Revision des deutlich insuffizient gefüllten und beherdeten Zahnes 21 nicht vor der implantologischen Versorgung durchgeführt? Die apikale Lyse zeigte sich ja bereits im vor der Implantation angefertigten DVT.

Was ist der Grund für die Resektion des 21 bei einer 22 jährigen Patientin die im Alter von 9 Jahren eine  endodontische Behandlung erhielt? Ist es hilfreich, diese Frage auch genauso gegenüber der Patientin zu stellen?

Das präoperative OPG zeigt eine tiefe Karies an 27. Das bei der Beratung erstellte Einzelbild dafür zwei Instrumentenfragmente von denen weder der Überweiser berichtete, noch die Patientin wusste.

Wie geht die werte Leserschaft mit diesen Dingen um?

8 Gedanken zu „Erstberatung

  1. Ich mache mittlerweile bei jedem überwiesenen Patienten zumindest eine Aufnahme vor der Behandlung. Ich hatte auch zweimal den Fall von abgebrochenen Feilen, ohne dass ich darüber unterrichtet wurde und habe sie dann zähneknirschen auf meine Zeit/Kosten entfernt.
    Absolut konform gehe ich mit der Aussage, dass noch mehr Porzellan zu zerschlagen niemandem nützt. Viele Patienten suchen einen Schuldigen für die Misere in ihrem Mund und erst recht wenn sie von annahenden Kosten hören. Natürlich sind alle drei Fälle gelinde gesagt suboptimal gelaufen, aber solange ich bei der Vorbehandlung nicht dabei gewesen bin halte ich mich mit dem (ver-)urteilen strikt zurück. meine Gedanken mache ich mir natürlich schon dazu.
    Mittlerweile telefoniere ich fast bei jedem überwiesenen Patienten mit dem Vorbehandler, manchmal gibt es da auch den ein oder anderen Aha-Effekt und die gerade unter Tränen dargestellte Geschichte aus Patientensicht bekommt eine dramatische Kehrtwende.

    • Die Rückmeldung an die überweisenden Kollegen ist ein wichtige. Ich bin dazu übergegangen Beratungsberichte zu schreiben, in denen schlicht der Sachverhalt, wie in einer Fallpräsentation beschrieben ist. z.B. ” In der distobukkalen Wurzel imponiert in der zweidimensionalen Röntgenaufnahme am Übergang vom mittleren zum unteren Wurzeldrittel ein metalldichter Fremdkörper bei dem es sich aufgrund der erkennbaren Aussenkontur mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um ein Instrumentenfragment handelt.” Wie es dorthin gekommen sein mag, kann sich der Adressat selbst erschliessen. Das persönliche Gespräch ist sicher schön, birgt mir jedoch das Risiko, dass ich in “Echtzeit” nicht immer wohlüberlegt formuliere. Zudem mag ich es persönlich nicht, aus der Behandlung heraus zu gehen, um in Fällen, bei denen es nicht um Leben und Tod geht, mit den Kollegen zu telefonieren. Diesen wird es unter Umständen ähnlich gehen und so versuche ich das Anruf-Hin-und-Her zu vermeiden. LGJS

  2. Der Grat ist schmal und wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein. Das bin dann schon mal nicht ich.
    Aber manchmal muß man einfach einen Hinweis geben, um Schaden abzuwenden.
    Ein Beispiel:
    Eine Patientin kam auf eigene Initiative zu mir, erhielt zwei Frontzahnrevisionen samt Langzeit-PVs, da die alten Kronen und Stifte dies erforderte. Gute Heilung nach kurzer Zeit. Die Patientin kommt zum Recall nach einem Jahr und zeigt mir freudestrahlend ihre schönen brandneuen Kronen auf den Endo-Zähnen. Leider zeigt das Rö-Bild, daß die Präp.grenze ca. 1,5mm tiefer ist als die Kronenränder. Ich gebe einen SEHR dezenten Hinweis, der Hauszahnarzt möge versuchen, das noch etwas zu optimieren (was freilich neue Kronen bedeutet hätte, was ich aber dem Kollegen überlassen habe zu formulieren). Wütender Anruf des Kollegen, ich hätte wohl falsch geröntgt, die Kronen seien prima, er droht an, mich bei der Kammer anzuzeigen etc.
    NUN: Ein Gutachterverfahren und zwei Jahre später ist die Patientin endlich glücklich über neue Kronen von ihrem neuen Hauszahnarzt, soweit so gut. Aber wie gesagt: Der Grat ist schmal…

    • Da wird mir schon vom Lesen schlecht. Wie muss es um die Selbstüberschätzung des Kollegs, der sich aufregte, bestellt sein.
      Ich sehe mich in allererster Linie dem Wohl meiner Patienten verpflichtet und werde, so wie Du es gemacht hast, immer einen verständlichen aber unemotionalen Hinweis geben. LGJ

        • Woran mag das liegen? Fehlendes kollegiales Korrektiv? Klinikärzte/- zahnärzte haben da weniger Chancen zum Beschönigen.
          Allerdings befürchte ich eine Gauss’sche Normalverteilung dieses Attributes und glaube, dass dies auch bei den Allgemeinmedizinern ähnlich ausgeprägt ist. Und bei uns geht es “nur” um Zähne! LGJS

          • Definitiv!
            Wir “prokeln” alleine, angehimmelt von unseren Mitarbeiterinnen und von einem Großteil unserer Patienten (Endlich haben sie den einzig fähigen Zahnarzt auf Erden gefunden) mit selbsterstellten, auf eigener Erfahrung beruhenden Behandlungsprotolkollen ohne jegliches Korrektiv vor uns hin. Da muss man doch zwangsläufig abheben, oder?
            Zugegeben, vielleicht etwas abgehoben und überzogen, aber so ähnlich verläuft es meiner Ansicht nach wohl schon.
            Mich hat in meiner Assistenzzeit (2007-08) die zufällige Entdeckung des Wurzelspitze-Blogs erstmal ganz ganz tief geerdet und ich musste erstmal ins stille Kämmerlein zum Luftschnappen.
            LG Sebastian

Kommentar verfassen