Von Christoph Kaaden
Ende letzter Woche kontaktierte mich eine unserer treuesten Zuweiserinnen, um mich von einer Komplikation während der Behandlung eines gemeinsamen Patienten (pensionierter Allgemeinmediziner) zu unterrichten.
Laut ihrer Angabe hatte sich bei der finalen Politur der frisch eingesetzten Implantatkrone der Silikonpolierer aus dem Winkelstück gelöst und sei dann in der Mundhöhle “verschwunden”.
Der Patient wurde daraufhin aufgesetzt und gebeten den Polieren mittels Wasser auszuspülen.
Leider fand sich das Objekt so nicht und es wurde von einer Ingestion ausgegangen (da ansonsten keine weiteren Symptome bestanden).

Vergleichbarer Polierer
Aufgrund seines medizinischen Hintergrundes zeigte sich der Patient stark verängstigt und veranlasste selbstständig eine zeitnahe Gastroskopie zur Klärung der näheren Umstände…
Ich habe diesen Zwischenfall zum Anlass genommen mich mit der Thematik etwas eingehender zu beschäftigen.
Welches Vorgehen ist obligat? Genau welche Maßnahmen erfordert ein solcher Zwischenfall? Welche weiteren Untersuchungen sind indiziert ?
Ein Blick in die Literatur bringt Aufklärung:
In dem Artikel: “Aspiration und Verschlucken von Fremdkörpern” von Zitzmann et al (Schweiz Monatsschr Zahnmed, Vol 110: 6/2000) heißt es dazu:
Verschlucken von Fremdkörpern
Während einige verschluckte Fremdkörper akuten Handlungsbedarf erfordern, ist bei anderen Objekten ein eher zurückhaltendes Vorgehen indiziert.
Die Entscheidung, ob die Entfernung des Fremdkörpers notwendig wird, hängt im Wesentlichen ab von der Grösse, der äusseren Form, der Art des Objektes und seiner Lokalisation.
Da scharfe, spitze und lange Objekte vielfach die Kurvaturen des Duodenums nicht passieren können, sich dort verkeilen und Perforationen verursachen, ist die rechtzeitige Entfernung dieser Objekte unbedingt vorzunehmen.
Bei Erwachsenen ist die Endoskopie ab einer Objektlänge von etwa 10 cm, bei Kindern ab 6 cm, indiziert.
Stumpfe oder gerundete Objekte, deren Durchmesser 2,5 cm überschreiten, sollten ebenfalls durch Gastro-Duodenoskopie entfernt werden, da sie möglicherweise den Pylorus nicht passieren können. Wird das sofortige Entfernen des Fremdkörpers ver- säumt und kommt es zur Impaktion des Objektes, so können Wochen oder sogar Jahre vergehen, bis Symptome auftreten, die von frühzeitiger Sättigung und postprandialem Erbrechen bis hin zu Gewichtsverlust reichen. Auch die Impaktion im Bereich des Ösophagus, der 4 physiologische Verengungen (oberer Ösophagus-Sphinkter, Kompression durch den Aortenbogen und durch den linken Hauptbronchus, Zwerch- fell-Durchtritt) als mögliche Impaktionsstellen aufweist, indiziert die Entfernung des Fremdkörpers.
Die Komplikation kann sogar zur Notfallsituation eskalieren, wenn das Objekt auf die ventral gelegene Trachea drückt.
Ist der Fremdkörper durch das Heimlich-Manöver nicht zu lösen, so ist unverzüglich die Endoskopie einzuleiten. Der Einsatz flexibler Endoskope, mit Hilfe derer Objekte bis in den distalen Bereich des Duodenums erreicht werden, erlaubt die Fremdkörper-Entfernung beim ambulanten Patienten. Die starre Endoskopie muss unter Anästhesie oder tiefer Sedierung des Patienten durchgeführt werden und kann zur Entfernung scharfer Objekte indiziert sein, um die Gefahr der Perforation zu minimieren. Hat der Fremdkörper bereits das Duodenum erreicht, so passiert das Objekt in der Regel auch den Rest des Intestinaltraktes innerhalb mehrerer Tage oder Wochen. Die röntgenologische Überwachung der Objektbewegung mittels wöchentlicher abdomi- naler Röntgenaufnahmen ist ratsam. Während dieser Zeit sollte der Patient zur Identifizierung des Objektes den Stuhl sammeln. Empfehlungen spezieller Diäten, die die Passage des Fremdkörpers unterstützen oder beschleunigen könnten, sind bislang nicht durch wissenschaftliche Daten belegt. Von der Verwendung von Abführmitteln ist unbedingt abzusehen, da die erhöhte peristaltische Kontraktion des Darms eine mögliche Perforation nur forciert. Entlang des Intestinaltraktes kann es im Bereich physiologischer oder pathologischer Verengungen zur Impaktion des Fremdkörpers in den Schleimhautfalten der Darmmukosa kommen. Häufige Impaktionsstellen sind der Pylorus, das Treitz’sche Ligament, die Ileozökalklappe, die rektosigmoidale Übergangszone und der Anus.
Ist das verkeilte Objekt mittels Rekto- bzw. Kolonoskopie nicht zu erreichen, so kann die chirurgische Intervention notwendig werden. Diese ist auch indiziert, sobald Hämorrhagien, intestinale Obstruktion oder Perforationen nachgewiesen werden. Liegt die Komplikation bereits längere Zeit zurück und wird nicht unmittelbar in Zusammenhang mit dieser gebracht, so ist die korrekte Diagnose der intestinalen Perforation vielfach erschwert und verzögert. Je nach Intensität der Kontamination des Peritonealraumes und der Abwehrbereitschaft des Patienten schreitet die Pathologie der intestinalen Perforation fort und kann zu Abszessen, generalisierter Peritonitis oder Blutungen in den Peritonealraum führen.
Das Fazit des Artikels lautet daher:
Verschwindet ein Objekt im Oropharynx, so sind mit Hilfe der radiologischen Diagnostik eine Aspiration unbedingt auszuschliessen und die notwendigen Massnahmen durch den Spezialisten zu ergreifen. Den Patienten in dieser Situation nach Hause zu entlassen, im Glauben, das Objekt sei verschluckt worden und finde seinen natürlichen Weg durch den Intestinaltrakt, ist als Unterlassung einzustufen und kann lebensbedrohliche Folgen haben.
Auch das Verschlucken von Fremdkörpern bedarf der korrekten Diagnose und erfordert – abhängig von Form und Kontur des Objektes – ein mehr oder weniger invasives Vorgehen zum Schutz des Patienten.
Nicht zuletzt aus forensischen Gründen ist eine genaue klinische, röntgenologische und administrative Verlaufskontrolle unabdingbar.
Es gilt also alles dafür zu tun, dass eine solche Komplikation möglichst vermieden wird. Zukünftig werde ich also vor dem Start eines Polierers (oder ähnlichem) dessen korrekte und eingerastete Position im Winkelstück kontrollieren.
Sollte es doch zu diesem Zwischenfall kommen empfiehlt sich dieses Vorgehen:
Der Volltext zu dieser Thematik finden Sie hier.