von Michael Logies
Der aus Verzweiflung über den intraoralen Speichelfluß 1864 von Barnum eingeführte Kofferdam geriet mit der Erfindung intraoraler, maschineller Absaugung fast in Vergessenheit, auch wenn er mittlerweile wieder zum Standardhilfsmittel insbesondere in der Endodontie geworden ist.
Die maschinelle Absaugung blieb dann in ihrer klinischen Anwendung die letzten Jahrzehnte aber nahezu unverändert: Ein dünneres, rundes Saugendstück (Speichelsauger), das mangels Saugkraft nur Flüssigkeit vom jeweils tiefsten Punkt der Mundhöhle effizient aufnehmen kann, wird meist mit einem runden Saugendstück größeren Durchmessers kombiniert, mit dem sich auch Spraynebel auffangen läßt. Beide Sauger müssen von Zahnarzt und Stuhlassistenz während des gesamten Behandlungsablaufes mehr oder weniger virtuos gehandhabt werden, was ständiges Nachstellen erfordert, zahnärztliche Zeit und Aufmerksamkeit beansprucht und einen Großteil der klinischen Arbeitszeit der Assistenz bindet. Innovativ war hier die letzten Jahrzehnte nur die Strömungsoptimierung im großen Sauger, die die Geräuschentwicklung dämpfte (Dürr).
Ich war daher elektrisiert, als ich, lt. meinem Zoteroarchiv 2011, auf Isolite aufmerksam wurde (Isolite Systems, gegründet 2001), das seit 2002 diverse Industriepreise gewonnen hatte (u. a. Dental Products Report, The Dental Advisor, Dentistry Today, Business Week, World Congress of Minimally Invasive Dentistry Inventor Award, Dental Town). Leider wollte die Firma mir das Produkt damals nicht nach Deutschland liefern, und ich gab das Projekt vorläufig auf.
Vor kurzem wurde ich durch eine Werbewurfsendung auf Mr. Thirsty aufmerksam (Zirc, deutscher Vertrieb durch Loser), der wie ein Klon von Isolite aussah.
Die Grundidee von Isolite und Mr. Thirsty ist, auf den großen, also saugstarken Saugschlauch eine Absaugvorrichtung zu setzen, die besser an die menschliche Anatomie und die zahnärztlichen Notwendigkeiten angepaßt ist, als ein rundes Saugschlauchendstück. Ein flaches, hohes, vom Mundboden zum Gaumendach reichendes Gummischild teilt die Mundhöhle schräg, vom Mundwinkel bis zur Molarenregion der Gegenseite, in 2 Bereiche auf: Arbeitsfeld und hinter dem Arbeitsfeld. Das Schild ist doppelwandig und bietet damit Platz für Saugkanäle. Außerdem ist unmittelbar hinter dem Mundwinkel ein Aufbißkeil integriert, der dem Patienten das aktive Öffnen des Mundes erspart. Um den letzten Molaren herum läuft noch eine schmalere, weichere Verlängerung des Schildes, die sich an die Innenseite der Wange anlegt und diese schützt, eventuell abhält. Die Zunge bleibt hinter diesem Schild, kann nicht mehr stören. Sowohl zum Mundboden hin wie zum Gaumen verschließt das Schild weitgehend die Mundhöhle nach dorsal, so daß Spraynebel oder fliegende Materialfragmente den Patienten nicht mehr belästigen. In Anlehnung an eine ähnliche Vorrichtung für Schweißarbeiten möchte ich dieses Hilfsmittel orales Absaugschild nennen.
Der Effekt für das klinische Arbeiten ist erstaunlich und durchschlagend. Viele Tätigkeiten, die bisher ohne Assistenz nicht oder nur mit Mühe vom Zahnarzt alleine zu bewältigen waren, können jetzt mühelos alleine durchgeführt werden. Z. B. Deep Scaling, Zahnpräparationen bis zum Umspritzen der Zahnstümpfe mit Abdruckmaterial – erst danach Entfernen des Schildes, um den Abformlöffel einbringen zu können. Für die Füllungstherapie im Seitenzahnbereich wird die Assistenz bis zur Schlußphase, fürs Anreichen der Füllungsmaterialien, verzichtbar. Bei OK-Frontzahnfüllungen ist der Entlastungseffekt geringer, weil die Helferin noch irgendwie versuchen muß, den ventral austretenden Spraynebel zu bändigen, was schwierig ist, wenn der große Absaugschlauch vom Absaugschild besetzt ist. Eine angebotene Lösung dafür ist ein Y-Adapter, der den großen Saugschlauch aufzweigt (nicht getestet).
Auch mit Assistenz erleichtert das Absaugschild durch das Abhalten der Zunge die Arbeit enorm: etwa beim Zementieren von Kronen oder in der Füllungstherapie im dorsalen UK-Bereich.
Während der Behandlung im Seitenzahnbereich entfällt die Notwendigkeit der Umpositionierung der Absaugungen. Der Absaugschild alleine reicht, Watterollen entfallen fast völlig bzw. werden nur noch als Abstandshalter für die Lippe gebraucht. Kräftiges Sprayen und Luftpusten ist jederzeit möglich, da das Absaugschild das Wasser praktisch sofort aufnimmt und den Patienten vor Rachenspritzern schützt.
Mark Frias, RDH (http://markrdh.com), veröffentlicht seit Jahren Produkttests insbesondere zu verschiedenen Absaughilfsmitteln. Hier hat er 4 marktgängige Absaugschilde verglichen:
DryShield vs. Isolite vs. Mr. Thirsty vs. Izolation
Mr. Thirsty schneidet in diesem Video in seiner Einschätzung der Absaugleistung am schlechtesten ab, aber es fehlt jede Analyse, warum. Die Physik scheint nicht so kompliziert: Die Designer, wie in dem Video zu sehen ist, haben jeweils die Absaugkanäle und -löcher in den unterschiedlichen Produkten anders angeordnet, mit auch sehr unterschiedlichen Größen dieser Kanäle. Wenn die Summe der Querschnittsflächen der Auslässe sehr groß wird, fällt die Saugleistung pro Auslaß stark ab. Auch die Höhe der Auslässe ist wichtig. Bei Mr. Thirsty liegen sie etwas oberhalb des Randes des Absaugschildes, was ihr Verschließen durch den weichen Mundboden verhindert, durch den symmetrischen Schildaufbau im Gaumenbereich aber zu Saugleistungsverlusten führt. Was dann noch an Saugleistung im Mund lokal ankommt, hängt aber auch entscheidend von der Saugmaschine ab und davon, was an Absaugleistung nach den Wegeverlusten überhaupt noch dem Absaugschild anliegt. Außerhalb eines kontrollierten Experimentes mit unterschiedlichen anliegenden Absaugleistungen halte ich es für unmöglich zu entscheiden, welches Produkt das zur verfügbaren Absaugleistung optimal passende ist.
Auch der Adapter, mit dem der Absaugschild verbunden wird, um die Verbindung zum Saugendstück herzustellen, hat deutlichen Einfluß. Mark Frias hat seine Kona Adapter, leider nur aus Aluminium, entwickelt und vertreibt sie, mit denen sich Isolite- bzw. Dryshield-Absaugschilde anschließen lassen, so daß man auf die teureren Originaladapter verzichten kann (https://konaadapter.wordpress.com). Mr. Thirsty braucht keinen Adapter bzw. bringt diesen mit jedem Absaugschild schon mit.
Mir reicht die Absaugleistung von Mr. Thirsty völlig in Verbindung mit einer Dürr-Naßabsaugung an einer Heka Unicline (1996) bzw. einer F1 Side (2016), letztere mit Cattani-Absaugschläuchen bzw. -endstücken. In das Heka- bzw. Dürr-Endstück des großen Schlauches läßt sich Mr. Thirsty direkt fest einstecken. Das Cattani-Endstück ist minimal zu groß, so daß Mr. Thirsty herausfiele, obwohl sonst an beiden Dentaleinheiten gleiche Absaugkanülen von Dürr verwendet werden. Hier hilft der leichte Zwischenschlauch der Firma, das Mr. Thirsty Comfort Kit. Das Ende des Schlauches stecken wir locker in das senkrechte Absaugschlauchendstück, das in seiner Halterung hängen bleibt, nur minimal herausgezogen wird, damit es anfängt zu saugen und dann fixiert wird mit einem fest zwischen Halterung und Absaugendstück eingepreßten Interdentalkeil.
Hier einige Videos zur klinischen Anwendung:
How to use Mr Thirsty One Step -DENTALKART
Alternative Einbringtechnik (=1mal Falten, gedrehtes Einbringen):
mr. thirsty® One-Step
Weitere, alternative Einbringtechnik der Konkurrenz, die am geschicktesten erscheint (=2faches Falten vorm Einbringen, Verzicht auf Drehung):
DryShield Tutorial – Maximize Your DryShield Experience
(In diesem Video wird dazu geraten, dem Patienten Nasenatmung zu empfehlen, um mit dem Absaugschild entspannen zu können.)
Im Dentalmarkt http://www.aera-online.de lassen sich durch eine Suche nach “thirsty” die verschiedenen Produktvarianten auffinden. Ein Trial-Kit mit je 5 großen und kleinen Ansätzen von Mr. Thirsty beginnt bei ca. 31 €. Angesichts der möglichen Zeitersparnis für Zahnarzt und Assistenz scheint ein Preis von unter 3 € pro Stück (100er Packung) angemessen, auch wenn zu hoffen ist, daß die Konkurrenz unter verschiedenen Absaugschilden mit den Jahren noch zu deutlich günstigeren Preisen führen wird.
Mr. Thirsty ist als Einmalprodukt gekennzeichnet, was einer Aufbereitung nach europäischem Medizinprodukterecht nicht im Wege steht, vorausgesetzt, man kann eine korrekte Aufbereitung gewährleisten. Mr. Thirsty besteht aus 2 Teilen, die nur zusammengesteckt sind: einem harten Plastikrohrwinkel, der die Verbindung zur Absaugung herstellt und dem weichen Absaugschild, s. Fotos. Einmal auseinandergezogen, sind die Teile einzeln auch von innen vollständig inspizierbar, zumindest mit Lupenbrille und LED-Licht, die bei uns auch die Mitarbeiterinnen tragen, was Mr. Thirsty als semikritisch A qualifiziert. Wenn eine deutliche Verunreinigung stattgefunden hat, etwa durch eingesaugtes Abformmaterial, scheint mir die Reinigung zu zeitaufwendig – aber wir sind hier noch in der Testphase. Rückstände z. B. in den Silikonwaben des Aufbißblockes könnten ein Problem sein, s. Fotos.
Der weiche Absaugschild hat bei uns Tauchdesinfektion, Geschirrspüler (70 °C) und Autoklav problemlos überstanden. Das harte Verbindungsstück hat sich aber im Autoklaven und auch noch im strömenden Dampf bei 100 °C stark verformt. Da dieser Teil aber außerhalb des Mundes sich befindet und damit als unkritisch A zu klassifizieren ist, ist hier Autoklavieren nicht zwingend, denn bis semikritisch A ist Desinfektion alleine schon ausreichend, also chemisch oder im Thermodesinfektor, sofern dort temperaturstabil (nicht getestet). Die Recherche, ob dieser Winkel z. B. durch einen gleich dimensionierten, metallischen aus dem Sanitärhandel ersetzbar wäre, ist noch nicht abgeschlossen. Auch eine gußtechnische Duplikation in NEM mit dem Kunststoffteil als verlorener Form wäre denkbar.
Mr. Thirsty hat sich nicht als bei jedem von bisher ca. 15 Patienten einsetzbar herausgestellt. Manchen ist das Draufbeißenmüssen auf den Aufbißkeil zu anstrengend, andere genießen es, den Mund nicht mehr aktiv aufhalten zu müssen. Würger sind auch mit Mr. Thirsty schwierig. Bei den beiden Größen von Mr. Thirsty (blau, lila) hat das kleinere Absaugschild (lila) auch einen flacheren Aufbißkeil, was schon helfen kann. Beschneiden des Absaugschildes mit der Papierschere ist leicht möglich. Wichtig scheinen die ersten 1-2 min der Nutzung, danach läßt die initiale Anspannung des Patienten angesichts des bisher unbekannten Hilfsmittels sichtbar nach und entscheidet sich die Akzeptanz. Auch vorherige, ruhige Aufklärung des Patienten und souveräne, standardisierte Einbringtechink helfen. Ich strebe initial immer die Plazierung distal des OK- u. UK-Eckzahnes an, weil die Eckzahnspitzen das Herausrutschen von Thirsty nach vorne blockieren helfen.
Obwohl die Zahl meiner damit behandelten Patienten noch überschaubar ist, bin ich mir sicher, daß das orale Absaugschild, von welchem Hersteller auch immer, künftig aus der Zahnheilkunde nicht mehr wegzudenken ist.
Michael Logies, Stand 22.10.17
Danke für diesen super Bericht! Wir benutzen den Isovac Adapter (der kleine Bruder vom Isolite). Diesen gibt es in D mittlerweile über Gerl zu kaufen. Vorteil aus meiner Sicht: Es gibt wesentlich mehr Größen zur Auswahl, sodass auch kleinere Mundöffnungen machbar sind.
Danke fürs Lob und den Hinweis! Ja, Isolite-Produkte sind jetzt auch bei http://www.aera-online.de gelistet, ausschließlich bei Gerl. Bislang kommen wir mit den 2 Größen von Mr.Thirtsy aus. Meine Mitarbeiterin hat die kleine Größe auch schon bei einer normal großen 7-Jährigen zur Fissurenversiegelung eingesetzt. Kann es sein, daß Isolite vom Material her etwas steifer ist und man deshalb mehrere Größen braucht? Mr. Thirsty ist im Randbereich, wo er noch einwandig ist, weich und gut komprimierbar. Wie jung sind Ihre jüngsten Patienten, die Sie mit der kleinsten (?) Größe von Isolite behandeln können?
Klinisch das größte Problem ist die Abwehr mancher Patienten schon in den ersten 30 Sekunden. Spiegel in die Hand drücken, damit sie sehen, was passiert, hilft. Vorher Film (s. o.) zu zeigen, auch. Da bin ich noch am Überlegen, wie ich die vorherige Aufklärung professioneller mache. Bildermappe Wartezimmer? Film auf Tablet?
Ja, aber ist denn die hygienische Aufbereitung dieses Medizinproduktes nicht extrem aufwendig?
Wenn der Verschmutzungsgrad gering ist oder z. B. nur kurz einprobiert wurde, ist die Aufbereitung nicht aufwendiger als bei jedem anderen Medizinprodukt oder großem Sauger (bei uns also Tauchdesinfektion, Geschirrspüler, Autoklav). Bislang hat sich Mr. Thirsty als leicht zu reinigen erwiesen (senkrecht im Geschirrspüler mit den verschiedenen, oralen Öffnungen nach oben). Ansonsten kann man ihn natürlich auch als Einmalprodukt handhaben. Den Winkel möchte ich noch durch etwas sterilisationsfähiges ersetzen, weil das unsere Abläufe standardisiert halten würde. Es gibt klinisch sicher einen Zeitgewinn, der auch noch lohnend ist, wenn die Aufbereitung dafür ein bis zwei Teile mehr umfaßt, IMHO.