Zahnarzt neu in der Schweiz – die Fortsetzung von: „Zahnarzt in Deutschland- Nichts wie weg“

von Torsten Hatzky

Nun wohnen  wir seit ca.  1 Jahr und  8 Monaten in der Schweiz. Natürlich war es spannend, nach so vielen Jahren der Berufstätigkeit noch mal ganz neu anzufangen. Und es kamen Patienten. Anfangs nur sehr wenige, aber es war und ist eine stetige Steigerung zu verzeichnen. Aber es kamen nicht so viele wie gedacht. Man hatte uns von verschiedener Seite gewarnt, dass es wenigstens zwei Jahre dauern würde, bis die Praxis gut läuft. Das habe ich nicht geglaubt. Selbst heute gibt es immer noch Tage, an denen Termine frei bleiben und wir freuen uns über jeden, der kommt. Nur in einer einzigen Woche waren wir mal komplett ausgebucht. Das hatte ich so nicht erwartet. Meine erste Praxis in Südwestdeutschland war nach einem Jahr nahezu voll ausgelastet. Nach zwei Jahren habe ich es kaum noch geschafft, alle Patienten zeitnah und gründlich zu versorgen.  Der Unterschied liegt in einem völlig anderen „Zahnarzt-Verhalten“ der Schweizer. In Deutschland, zumindest war es bei meiner ersten Praxis1988 so, kamen nicht wenige Patienten nur aus Neugierde, um dann später wieder woanders hinzugehen. Als Richtzahl konnte ein guter Zahnarzt damit rechnen, dass von fünf Patienten maximal drei dauerhaft in der Praxis blieben. Ein paar Spezialitäten aus der Hightech- Ecke des Dentalhändlers waren unter Umständen recht hilfreich, um den Zulauf zu erhöhen.

Hier sind bislang nur Patienten zu mir gekommen, die keinen Zahnarzt hatten. Der Schweizer wechselt seinen Zahnarzt normalerweise nicht. Gründe, die doch dazu führen könnten, sind: Ortswechsel des Patienten, Abgabe der Zahnarztpraxis an einen Nachfolger (wenn der Patient mit dem den Nachfolger nicht so gut auskommt), wenn ein Zahnarzt aus Gesundheits- oder Altergründen den Umfang seiner Praxis reduzieren muss. Unzufriedenheit mit dem Zahnarzt ist extrem selten und kommt erst auf, wenn der Zahnarzt mehrere Male in Folge Fehler macht. Sehr unwahrscheinlich ist der Fall, dass ein Patient wechselt, weil ein anderer Zahnarzt ein digitales Röntgen, einen Laser oder etwas anders „Tolles“ zu bieten hat.

Aber die Zahnärzte verhalten sich hier auch anders. Die Mehrzahl (ich kann   natürlich nur für meine Region sprechen) versorgt Ihre Patienten auf hohem fachlichen Niveau. Falls sinnvolle Therapien, insbesondere Paro und Implantologie in der Praxis nicht angeboten werden, wird viel häufiger als in Deutschland zum Spezialisten überwiesen.   Wenn eine Praxis so ausgelastet ist, dass die Wartezeit auf einen Termin zu lang ist, wird ein rigoroser Aufnahmestopp für Neupatienten verhängt, bis sich die Lage wieder normalisiert hat. Gute Praxen haben ihr festes Klientel und nehmen, wenn überhaupt, nur Familienmitglieder von Stammpatienten neu an.  Von Deutschland weiß ich, dass Zahnärzte meist  jeden aufnehmen, den sie bekommen können. Hauptsache, er geht nicht zum Nachbarkollegen.  Notfalls wird halt etwas schneller oder abends etwas länger gearbeitet. Und beim Kampf um Neupatienten wird manchmal ohne Grund die Arbeit eines Kollegen schlecht geredet.

Die korrekte Bezahlung der zahnärztlichen Leistungen macht es ganz offensichtlich möglich, fast grundsätzlich „lege artis“ zu arbeiten. In Deutschland hatte ich früher sehr oft  bei Neupatienten das Problem, dass Kofferdam nicht bekannt war und sie auch nicht bereit waren, ihn ohne lange Diskussion zu akzeptieren. Hier ist das anders. Man kennt es, ja es wird meist auch  erwartet. Auf jeden Fall wird so gut wie nie darüber diskutiert.

Hier werden selten mehr als 8-10 Patienten pro Tag bestellt.  Die umschichtige Behandlung von zwei Patienten nahezu zeitgleich in zwei Zimmern gibt es offenbar kaum mal. Wie mir glaubhaft erzählt wurde, haben Zahnärzte aus Deutschland, die dieses missachtet hatten, ihre teuer gekauften Praxen innerhalb eines Jahres zugrunde gerichtet. Der Patient in der Schweiz verlangt für sein Geld wesentlich mehr Zuwendung und vor allem eine ganz besonders gründliche Beratung.

So wundert es nicht, dass hier die Qualität zahnärztlicher Arbeiten ein gutes Stück besser ist. Obwohl das Spektrum auch von mangelhaft bis erstklassig reicht, sehe ich insgesamt wesentlich mehr Arbeiten, die die Bewertung  gut oder sehr gut verdienen. Speziell beim Zahnersatz ist dies so. So habe ich bislang nur ganz wenige Arbeiten gesehen, bei denen der Verdacht bestand, dass von Anfang an geschludert worden ist.  Bei einer suboptimalen Arbeit lohnt es sich auch mal zu fragen, wo sie gemacht wurde.  Nicht selten erfährt man dann, dass es anlässlich einer Reise in Ungarn, Bulgarien oder sonst wo in der Welt geschah. Nicht wenige Patienten versuchen so, günstiger zu ihrem Zahnersatz zu kommen. Die Schweizer Zahnärzteorganisation SSO hat mal solche Arbeiten routinemäßig überprüfen lassen mit dem Ergebnis, dass die Mängelquote signifikant über der von in der Schweiz gefertigten Arbeiten lag.

Es gibt aber noch andere Unterschiede:

Zum einen gibt es sie bezogen auf das Patientenalter:  Bei Patienten ab einem Alter vom ca.45 Jahren sieht man recht viele mit schlechtem Gebiss-Status, vielen fehlenden Zähnen, umfangreichen, oft überlasteten Füllungsrestaurationen. Bei den jüngeren Patienten haben ganz offensichtlich die Prophylaxe-Bemühungen, die die Schweizer Zahnärzte zusammen mit der Regierung in vorbildlicher Weise eingeführt haben, Früchte getragen. Ich hatte in dieser Altersgruppe früher nie so viele absolut kariesfreie Patienten gesehen. Bei denen, die Füllungen hatten, waren diese meist von geringer Ausdehnung. Nahezu alle diese Patienten gehen ein Mal pro Jahr zur Vorsorgeuntersuchung. Das wird dann generell mit einer professionellen Zahnreinigung verbunden. Dazu arbeitet in nahezu jeder Praxis mindestens eine Prophylaxe-Assistentin oder DH. Bissflügelaufnahmen werden  hier übrigens viel häufiger gemacht als in Deutschland, oft sogar im Jahresturnus. Und welch Wunder: Es gibt nie Diskussionen über die Strahlenbelastung.  Die Patienten wurden hier bislang nicht von übereifrigen Politikern, die weit über alle vernünftigen Ziele hinausgeschossen sind, unnötig aufgehetzt. Interessant ist auch das Thema Amalgam. Gute Amalgam-Restaurationen bleiben generell im Mund. Nur dann, wenn sie schadhaft sind, sollte ein anderes, möglichst verträglicheres und zahnfarbenes Material verwendet werden.

Für die Versorgung der anspruchsvolleren Patienten gibt es hier in fast jeder Praxis ein Cerec- Gerät. Sämtliche Cerec- Restaurationen  sind  im Schweizer Zahnarzttarif enthalten (CHF 700-1000.-) So haben die Patienten die Möglichkeit, zu recht günstigen Preisen eine langlebige Füllungstherapie  zu bekommen. Da ein laborgefertigtes dreiflächiges Inlay allein beim Zahntechniker zwischen CHF 500.- und 550.-  kostet, ist diese Therapieform hier kaum anzuwenden. Ähnlich verhält es sich mit partiellem Zahnersatz. Hier gilt die Modellguss-Prothese mit Klammen als Standartversorgung. Kombi-Arbeiten mit Teleskopen, Geschieben oder Stegen sind absolute Ausnahmen. Auch Implantate werden offenbar deutlich  seltener als in Deutschland gesetzt.

Eine zahnmedizinische „Problemgruppe“ bilden Patienten aus den so genannten „bildungsferneren“ Schichten und häufig auch solche mit Migrations- Hintergrund. Hier ist das Zahnbewusstsein oft sehr schlecht. Diese Patienten kommen normalerweise erst zum Zahnarzt, wenn Schmerzen auftreten. Dann ist es meist zu  spät und ich muss Zähne extrahieren, die mit einer Endo gut zu retten gewesen wären. Wenn überhaupt, werden dann sehr oft Composite- Füllungen mit stark überzogener Indikation gelegt. Eine Füllungstherapie durchzuführen, scheitert oft an der Bereitschaft, dafür Geld bereitzustellen oder auch  am niedrigen Einkommen. Die Terminmoral dieser Leute ist schlecht und auch mit der Bezahlung meiner Rechnung klappt es bisweilen nicht. Häufiger als in meiner früheren Praxis habe ich einen finanziellen Totalverlust hinnehmen müssen. Hier sichern wir uns inzwischen etwas besser ab, z.B. mit Voraus- und Abschlagszahlungen. Besonders wichtig ist dies beim Notfalldienst am Wochenende.

Da fast alle Patienten nahezu immer alles aus eigener Tasche bezahlen müssen, wird insbesondere dann, wenn mehr als eine Füllung nötig ist, zunächst eine ausführliche Offerte erstellt. Diese Leistung kann nicht berechnet werden, selbst dann nicht, wenn eine umfangreiche prothetische Planung damit verbunden ist. Um unterschiedlichen Erwartungen gerecht zu werden, mache ich sehr oft mehrere  verschiedene Therapievorschläge.  Dann kann es auch vorkommen, dass nach längerem Nachdenken die Behandlung aufgeschoben wird, bis das nötige Geld angespart ist. Nicht selten werden Therapieformen aus finanziellen Gründen gewählt, bei denen die Indikation überzogen ist, wie z.B. mehrflächige Composite- Füllungen mit dem Ersatz von zwei, drei oder gar vier Höckern als Dauerversorgung anstelle eine Krone oder Teilkrone. Oder: Eine Kunststoff-Interimsprothese mit gebogenen Draht-Klammen anstelle einer Modellguss- Prothese.

Wesentlich besser als ich das von früher gewohnt war, scheint das Verhältnis der Zahnärzte untereinander zu sein,  Als meine Praxiseröffnung nahte, habe ich beim Nachbarkollegen im selben Ort angerufen um anzufragen, ob ich mich mal vorstellen könne.  Am sogleich vereinbarten Termin wurde ich außerordentlich freundlich empfangen. Nach einem informativen Gespräch  hat er mir gleich das „Du“ angeboten und obendrein  die nächste Urlaubsvertretung übertragen.  Seinen Vorschlag zur Mitarbeit in der regionalen Study-Group habe ich gern angenommen.

Und so habe ich schon bald  die anderen Kollegen der näheren Umgebung kennen gelernt.  Und wieder gab es eine Überraschung für mich: Obwohl sie theoretisch direkte Konkurrenten sind, haben alle ein überaus freundschaftliches Verhältnis zueinander. Es gab nie irgendwelche Anzeichen von Misstrauen oder Missgunst.  Im Gegenteil: Von allen Seiten schlug mir  freundliches Interesse entgegen.  Und wenn sich in den anderen Praxen neue Schmerzpatienten meldeten und keine Zeit für Ihre Behandlung  war, wurden diese oft an mich verwiesen. Das ist bis heute so geblieben und hat mir sehr geholfen.

Fazit:

Es macht mir Freunde, in einem Alter, in dem mancher schon langsam an den Ruhestand denkt, noch einmal neu durchzustarten, auch wenn es finanziell zur Zeit immer noch „eng“ ist. Dass die meisten Neupatienten inzwischen auf Empfehlung anderer kommen zeigt, dass meine Arbeit gern angenommen wird. Das gibt mir viel Bestätigung. Ganz wichtig auch: Ich fühle mich korrekt bezahlt. Das höhere Honorar muss man natürlich „relativ“ sehen.  Ihm stehen auch ein deutlich höherer Zeitaufwand bei der Behandlung sowie höhere Praxiskosten gegenüber. Privat stehen den angenehm niedrigen Steuern wiederum höhere Lebenshaltungskosten entgegen. Trotzdem bleibt mehr übrig und ich kann nachts wieder durchschlafen. In Deutschland hatte ich in den letzten Jahren oft mit sorgenvollen Zukunftsgedanken wach gelegen.  Die Lebensqualität und die Stimmung der Bevölkerung in der Schweiz sind wesentlich besser als in Deutschland. Wir, d.h. meine Frau und ich, sowie mit etwas Verzögerung auch unsere Tochter, haben den Schritt nicht bereut,

Was ich aus heutiger Sicht anders machen würde:

Eine Praxisübernahme wäre gegenüber der Neugründung wahrscheinlich die bessere Alternative gewesen, weil die mühsame Startup-Phase  weggefallen wäre. Auch hätten wir die Entscheidung zur Auswanderung besser ein paar Jahre früher getroffen. Dann hätte man vielleicht auf eine erneute Kreditaufnahme verzichten können.

Ein paar Tipps an alle, die auswandern wollen (ohne Anspruch auf Vollzähligkeit und nicht nur auf die Schweiz bezogen):


  • Unbedingt den Schritt mit allen Familienangehörigen und nahe stehenden Verwandten abstimmen. Es sollten alle an einem Strang ziehen.
  • Ganz wichtig: Kein Schnellschuss! Ausreichend lange recherchieren (Internet, Reisen, Bücher, private Kontakte). Ein paar Wochen oder Monate genügen nicht
  • Finanzielle Situation prüfen. Dazu eventuell die Kreditwürdigkeit bei der Hausbank klären. Den Verkauf der alten Praxis rechtzeitig versuchen und auch einen Misserfolg einplanen.
  • Die zahnmedizinische Situation im neuen Land genau abklären. Kontakt suchen zu deutschen Kollegen, die dort schon arbeiten, zu Dentalhändlern, Niederlassungsberatern und Banken.
  • Zahnmedizinische Versorgungslage der avisierten Region abklären.
  • Ganz wichtig: Wirtschaftliche Lage der Region klären. Gibt es Bevölkerungswachstum oder Abwanderung. Letzteres wäre fatal.
  • Bei einer Praxisübernahme den finanziellen Ertrag der Praxis unbedingt von einem unabhängigen Gutachter prüfen lassen.  (Mir wurde hier von einem Betrugsfall berichtet, bei dem ein unkritischer deutscher Zahnarzt nur knapp einer Pleite entging, weil der alte Praxisinhaber im letzten Jahr mit massiv überhöhten Preisen zwar die Gewinnmarge erhöht, jedoch damit die meisten Patienten aus der Praxis getrieben hatte).
  • Frühzeitig Kontakt mit Behörden des neuen Landes aufnehmen zur Abklärung eventueller Einwanderungsbeschränkungen,  Anerkennung des Staatsexamens, Mitnahme von Umzugsgut und Vorschriften für vorhandene Fahrzeuge.

5 Gedanken zu „Zahnarzt neu in der Schweiz – die Fortsetzung von: „Zahnarzt in Deutschland- Nichts wie weg“

  1. Ich will vielleicht auch auswandern. Aber ich frage mich warum hat die Schweiz ein Mangel an Zahnärzte? Studiert da keiner Zahnmedizin?

  2. Hallo Thorsten,
    Danke für Deinen ausführlichen Bericht!
    Nach dem ich nach meinem Studium ernsthaft über die Alternative Schweiz nachgedacht habe, bin ich nun seit 10 Jahren in Dresden niedergelassen.
    Ich hab seither sehr versucht, dem Schweizer Vorbild zu folgen. Und wenn ich Deine Schilderung lese, bin ich nicht soo weit weg davon. Klar verdienen andere mehr, aber ich kann fast jede Nacht gut schlafen, hab selten mehr als 10 Patienten am Tag, das Verhältnis zu den meisten Nachbarn ist entspannt, da sie in mir keine Konkurrenz sehen.
    Einiges an der Spannung eine Neuanfangs und der Stimmung in der Schweiz geht hier natürlich ab, aber ein Teil Deiner Erfahrung könnte man auch in Deutschland schaffen, wenn man das Ziel vor Augen hat.
    Ich finde Deinen ausführlichen uns kritischen Berucht sehr stark! Bitte Halte uns auf dem Laufenden :-)
    Stephan

  3. Hallo,

    mache Ende des Jahres mein Examen in Tübingen und spiele mit dem Gedanken direkt, also währen der Assitenzarztzeit, in die Schweiz zu gehen. Hat jemand damit Erfahrungswerte oder einen guten Tipp wo oder von wem ich jene bekommen kann.

    Lieber Gruss

    Denise

  4. Einfach unglaublich, dass es noch so tolle und ehrliche Kollegen gibt. Vielen lieben Dank für die ausführlichen Infos.

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