von Hans – Willi Herrmann
Kürzlich habe ich in einer Patientenkarteikarte geblättert eines Patienten, der am ersten Tag meiner Selbstständigkeit in meiner Praxis war.
Ich bin nun seit fast 16 Jahren in eigener Praxis niedergelassen.
Wenn ich meine Einträge aus der Anfangszeit mir anschaue, fällt sofort ins Auge, wie schön geschrieben ich meine Karteikarteneinträge damals gemacht habe.
Und heute – Fast unleserlich.
Die Eintragungen dahingekritzelt, in aller Eile.
Gehetzt, getrieben von dem Stress des Berufsalltags.
Und das hat nichts damit zu tun, dass ich einfach damals als Praxisanfänger nichts zu tun hatte.
Ich habe 1993 eine Alterspraxis übernommen. Und – hatte von Tag 1 an einen ausgefüllten Bestellplan.
Trotzdem gab es damals mehr Zeit als heute.
Wenn ich nur an die Quartalsabrechnung denke. Unsere erste Quartalabrechnung haben wir noch mit handschriftlich eingetragenen Krankenscheinen gemacht. Da war die Praxis 2,5 Tag zu.
Dann kam der Krankenscheinausdruck mit Nadeldrucker auf Endlospapier. Die Abrechnung ging in einem Tag über die Bühne.
Und heute ? Dank EDV und Diskettenabrechnung oder Online -Abrechnung bedarf die Abrechnung keinerlei Ausfallzeiten in der Praxis, sie wird “en passant”, nebenbei erledigt.
Eine gute Sache ?
Teils, teils.
Mein Praxisvorgänger hatte bei 4 Quartalen 12 Tage im Jahr Freizeit, Urlaub oder zumindest Zeit, sich den Dingen in der Praxis zu widmen, die im Tagesgeschäft immer liegen bleiben.
Heute brauchen wir die Zeit am Stuhl, in der Behandlung, um kostendeckend arbeiten zu können. Die Preissteigerungen der letzten 15 Jahre auffangen zu können.
Was kostete der Liter Benzin 1993 ? 72 Cent. Und 2008 ? Waren wir schon bei den berühmten 3 Mark 10, von denen “Ich geb Gas, ich will Spass” – Markus in den 80er Jahren glaubte, dass er es nie erleben würde, dass diese Vision einmal wahr werden würde.
Wir brauchen die gewonnene Zeit, um die vielen Regulatorien und bürokratischen Nebenschauplätze bedienen zu können.
Ein Antrag für eine einfache Zahnersatzversorgung ? Dass können schon mal 12 Blätter Papier sein, die man ausdrucken muss. Oder mehr, wenn man seiner Aufklärungspflicht in extenso nachkommen möchte.
Machen wir uns nichts vor: Der Stress ist nicht geringer geworden in den letzten Jahren, da geht es uns nicht anders als unseren Patienten. Überall wird gestrichen, eingespart, rationalisiert. Aber nicht wie früher, offensichtlich, als der REFA – Mann mit der Stoppuhr am Fliessband stand. Nein. Heute funktioniert soetwas sozialverträglich. Arbeitnehmer gehen in Ruhestand und ihre Stelle wird nicht mehr besetzt. Die Arbeit, die anfällt, muss von den verbliebenen Kollegen mitgemacht werden.
Oder es gibt neue zusätzliche Aufgaben (wie z.B. alle Massnahmen, die mit Einführung der neuen RKI – Richtlinien hinzugekommen sind), die dann eben einfach so zum ohnehin schon straffen Pensum an Arbeit noch einmal hinzukommen.
So werden Umdehung um Umdrehung die Daumenschrauben fester und fester angezogen.
Und das Hamsterrad dreht sich schneller und schneller.