von Hans -Willi Herrmann
Ich habe gestern an einem Zahn 128 Minuten damit zugebracht, zwei abgebrochene Instrumente aus einem Wurzelkanal zu entfernen, um diesen dann in der nächsten Behandlungssitzung fertig aufbereiten und füllen zu können.
In den mir noch verbliebenen 12 Minuten unserer Mittagspause (wir hatten knapp 50 Minuten überzogen, weil die Fragmententfernung sich als wesentlich schwieriger herausstellte als zunächst vermutet) fiel mir dann nachfolgender Artikel in der Zeitschrift DZW (Ausgabe 49/08) in die Hände.
Unter der Überschrift “Zahnerhalt durch Endodontie künftig nicht mehr gefragt” heißt es dort:
Berechne man auf Basis BMG – eigener Zahlen (Drucksache 16/657) (Anmerkung des Verfassers: BMG – die Abkürzung steht für Bundesministerium für Gesundheit) die pro Leistung zur Verfügung stehende Zeit, werde deutlich, so die DGEndo, das die Erbringung zahnärztlicher Leistungen in der erforderlichen Qualität vielfach nicht mehr gewährleistet ist. Hierbei seien Leistungen aus dem Bereich Zahnerhaltung besonders betroffen:
- Für Maßnahmen zur Erhaltung eines freiliegenden Zahnnervs, inklusive der Entfernung aller Karies und einer temporären Füllung bekommt der Zahnarzt 2,2 Minuten Zeit.
- Die Aufbereitung eines Wurzelkanals darf insgesamt 11 Minuten Zeit in Anspruch nehmen.
- Für die Füllung eines Wurzelkanals hat der Zahnarzt 6,4 Minuten Zeit.
- Das behandlungsentscheidende Aufsuchen und die Darstellung aller Wurzelkanäle eines Zahnes wird ebenso wie die wichtige Anwendung elektrophysikalisch-chemischer Methoden zur Reinigung und Desinfektion des Wurzelkanals überhaupt nicht mehr vergütet.
Über diese Auflistung hinaus zeigten die ergänzenden Bestimmungen des Entwurfs zu den enthaltenen Leistungspositionen deutlich auf, so die DGEndo, dass den Verfassern fachliche Zusammenhänge der endodontischen Behandlung zum Teil völlig unklar sein müssen.
Ach – und da war noch eine Pressemeldung, von mir aufgeschnappt am Abend zuvor: Nachdem seit zwölf Jahren die Honorare der Architekten und Ingenieure nicht mehr angehoben wurden, beabsichtigt die Bundesregierung nunmehr eine lineare Erhöhung der Honorare um 10 Prozent.
Und in diesem Zusammenhang noch eine Info: Bereits im April diesen Jahres war die Erhöhung der Gebührenordnung für Tierärzte um 12 Prozent angekündigt worden.
Kommen wir zurück zur angestrebten neuen Gebührenordnung für Zahnärzte: Die Erhöhung, die vorgesehen ist, 21 Jahre, nachdem die letzte Änderung stattgefunden hat: Rund 0.4 Prozent.
Das entspricht einer rückwirkenden Erhöhung von 0.021 Prozent pro Jahr.
Also, noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben: 0.21 Promille pro Jahr.
Und damit sie nicht denken, hier geht es wieder einmal nur ums Geld, sage ich es ganz klar.
Nein, hier geht es nämlich nicht um Geld.
Hier geht es darum, wie man mit den Leistungserbringern und auch den Leistungsempfängern im Gesundheitswesen umgeht.
Und ich lade jedes Mitglied des Bundestags herzlich ein, einen Tag lang in unserer Praxis zu hospitieren, um sich selbst ein detailliertes Bild davon zu machen, was Zahnmedizin bedeutet. Für uns und unsere Patienten.
0,021 Prozent pro Jahr.
Jetzt mal ganz ehrlich. Wie würden sie reagieren, wenn man Ihnen, in ihrem Job, dies für die nächsten 20 Jahre als “Tarifvertrag” vorschlagen würde?
Erfreut? Gleichgültig? Frustriert? Wütend? Resignierend?
Und ein solches Verhalten, das nichts anderes bedeutet als die Aussage: “Mehr als diese 0,021 Prozent ist uns eure Leistung nicht wert”, das betrifft und trifft nicht nur Zahnärzte und Ärzte.
Sondern in gleichem oder sogar noch stärkerem Maße vor allem auch Krankenschwestern und Altenpfleger, Masseure und Ergotherapeutinnen und und und.
Ein Haus, eine Brücke, ein Hund, ein Katze zählen für die Politik mehr als ein Mensch, insbesondere wenn es sich um einen kranken oder alten Menschen handelt.
Oder um den, der alte und kranke Menschen betreut.
So sieht es aus in Deutschland.
Im Jahr 2008 kurz vor Weihnachten.