von Stefan Verch
Der endodontisch engagierte Kollege sucht Röntgenbilder routinemäßig nach apikalen Läsionen ab.
In der Regel ist eine apikale Aufhellung dann auch tatsächlich einer endodontischen Ursache zuzuführen und durch eine Beseitigung der Ursache, also durch eine entsprechende Wurzelkanalbehandlung, zu heilen.
Differentialdiagnostisch können jedoch einfache Projektionsphänomene falsche Diagnosen provozieren und somit falsche Therapieren induzieren.
Ich möchte zwei Beispiele aufzeigen: in einem Fall ist die Ursache für die vermeintliche apikale Aufhellung am Nachbarzahn zu finden und im anderen Fall am gleichen Zahn, jedoch anderer Ätiologie als einer endodontischen.
Fall 1 zeigt auf dem Röntgenbild 3 eine große apikale Aufhellung, die sich scheinbar von der distalen Wurzelspitze des Zahnes 36 bis nach 37 hinzieht. Der Zahn 36 ist seit mehreren Jahren mit einer Wurzelfüllung, einem Stiftaufbau und einer Krone versorgt. Die Patientin klagte nie über Auffälligkeiten an diesem Zahn. Ca. 9 Monate vor der Röntgenaufnahme 3 wurde 37 mit einer Krone versehen auf einer alten Wurzelfüllung, die der Behandler für akzeptabel und nicht revisionsbedürftig einstufte. Die Kronenkeramik platzte trotz Einschleifens ca. 3 Monate okklusal ab. 9 Monate später klagte die Patientin über heftige Schmerzen, die der Behandler laut Röntgenbefund einer Exazerbation der kleinen apikalen Läsion an Zahn 36 ( s. Röntgenbefunde 1 und 2, die den Zustand vor Überkronung 37 darstellen)zuordnete. Er empfahl eine Wurzelspitzenresektion ohne orthograde Revision des Zahnes 36.
Differentialdiagnose:
Die Patientin zeigt zum Zeitpunkt der Röntgenaufnahme 3 Perkussionsschmerz an 37 und etwas an 36, der Aufbiß wird an 37 stärker unangenehm empfunden als an 36. Der Loslass Test zeigt keinen eindeutigen Befund, Sondierungen liegen bei 3-4 mm Taschentiefen an beiden Zähnen, lediglich mesial am 37 gibt es etwas tiefere Taschenwerte bis 5 mm. Die Patientin erzählt, daß sie ca. 5 Monate zuvor einmal einen heftigen Schmerz beim Kauen in der Region empfunden hatte.
Offenbar ist es in 9 Monaten zu einer sehr großen Läsion gekommen; eine Exazerbation der dezenten Aufhellung an 36 ist eher unwahrscheinlich; differentialdiagnostisch ist eine Fraktur auszuschließen.
Ich habe die Diagnose Fraktur an 37 gestellt und zu einem diagnostischem Aufklappen geraten. Da die Patientin bereits einen Termin zur WSR hatte bei ihrer Chirurgin ihres Vertrauens, kommunizierte ich im Arztbrief meine Diagnose.
Die Chirurgin befolgte das dianostische Vorgehen, obwohl auch sie fest von einer Ursache an der distalen apikalen Aufhellung an 36 ausging. Intraoperativ stellte sich ein Riss der mesialen Wurzel 37 dar, der zur Extraktion des Zahnes führte. Zahn 36 ist in situ und macht keine Beschwerden, die Patientin nimmt zur Zeit noch Abstand von einer möglichen Revisionsbehandlung.
Ich habe aus dem Fall noch einmal gelernt, daß es durch Projektionsphänomene schnell zu Fehldiagnosen kommen kann und das betrachtende Auge immer wieder von der scheinbar evidenten Ursache lösen sollte und an andere, benachbarte Ursachen gedacht werden sollte.
Im Fall 2 sieht man an Zahn 31 eine vermeintliche apikale Läsion, die ohne weitere Befunde schnell zu einer ursachenbezogenen Wurzelkanaltherapie führen würde.
Zahn 31 ist jedoch vital und steht in einem parodontal vorgeschädigten Gebiß. Die Taschenwerte reichten im Jahr 2005 mesial bis 10 mm und distal bis 2mm.
Es handelte sich um eine rein parodontale Läsion, die auf dem Röntgenbild projektionsbedingt bis zum Apex reichte.
Der Zahn wurde zunächst geschlossen kürettiert und später in einer Lappenoperation mit Emdogain behandelt.
Die Messwerte im Jahre 2009 betrugen mesial 3mm und ansonsten 2mm und kann als parodontal geheilt betrachtet werden. Der Zahn ist vital und das Röntgenbild zeigt das vermeintliche Ausheilen der apikalen Läsion – ohne Wurzelkanalbehandlung… Tatsächlich ist die parodontale Läsion ausgeheilt.
Solange eine deutliche Sensibilität auf Kältereiz bei einwurzeligen Zähnen feststellbar ist, ist zunächst eine parodontale Läsion anzunehmen. Bei mehrwurzeligen Zähnen hingegen kann auch bei vorliegendem positivem Kältetest eine endodontische Beteiligung nicht ausschließen. In diesen Fällen gehe ich zunächst primär parodontal vor und beobachte den Zahn in engen Abständen auf Vitalität und röntgenolgischem Befund, um ggf. dann doch noch zusätzlich endodontisch vorzugehen.